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Aus den Bogenfenstern der Kapitänskajüte drang ein matter Schimmer. Hel klopfte an und drehte den Türring, ohne auf Erlaubnis zu warten. Suppe schwappte auf ihr Handgelenk, als sie eintrat. Fluchend schob sie die Tür mit dem Fuß hinter sich zu.

»Gharra? Ich bin’s!«, rief sie in den leeren Raum.

Der Sand

Hel?« Der Lehnstuhl am Fernrohr knarzte, als Kapitän Gharra hinter der Lehne auftauchte. »Ach, mein hübsches Monster. Und Abendessen!« Er schnupperte. »Sandwurm?«

»Was sonst.«

Gharra überhörte den missvergnügten Ton und nahm die Schüssel entgegen. Der Kapitän der Schwalbe war in den letzten Jahren deutlich gealtert. Zwar konnte der gefütterte Rock kaschieren, wie Gharra abmagerte, doch über seine Erschöpfung täuschte das nicht hinweg. Er war stiller geworden als früher und zog sich immer mehr zurück; die Zeiten, in denen der Kapitän brüllend und fluchend über das Deck gepoltert war, lagen lange zurück. Vielleicht, weil auch die Zeit der Sturmjagd zu Ende zu gehen schien.

»Hmm«, machte Gharra und atmete tief den Duft der Suppe ein. Hel musste lächeln. Wenigstens schien er im Alter die kleinen Freuden des Lebens entdeckt zu haben. »Im Schrank muss noch sauberes Besteck sein. Und bring den Wein vom Nachttisch her, ja?«

Hel holte zwei Löffel und Kelche und die halb geleerte Flasche. Nachdem sie die Löffel an ihrer Tunika abgewischt und den letzten Weintropfen aus der Flasche geschüttelt hatte, setzte sie sich auf die Truhe unterhalb des Fensters.

Sie aßen ihr Mahl schweigend. Aber das störte Hel nicht. Im Gegenteil, die Ruhe hier oben war eine willkommene Abwechslung zum Lärm des Speiseraums. Gharras vertrautes Schmatzen, das Platschen eines Wurmstücks, das ihm vom Löffel rutschte ... all das erinnerte Hel an den Frieden so mancher Abende, die sie allein verbracht hatten. Es war eine Tradition, die nur ihnen gehörte.

Als Hel den letzten Schluck Suppe getrunken hatte, war Gharra noch längst nicht mit seiner Portion fertig. Das lag vor allem am Zittern der Hände; die meiste Suppe tropfte in die Schüssel zurück, bevor er den Löffel im Mund hatte.

Hel nippte am Wein. Es war ein süßer, dunkler Trank aus den Schwesterreichen, Moia vermutlich oder Orrún. Gharra hatte ihr von den Ländern erzählt, in denen er einst ge – jagt hatte: von tiefen, geheimnisvollen Wäldern im Mittland, den fernen Küstengebieten im Süden und sogar den westlichen Steppen, wo die bekannte Welt endete. Hel war selbst nie dort gewesen. Heute bestimmte die Magierschaft, wo welches Schiff jagte, und die Schwalbe war, so lange Hel sich erinnern konnte, immer in den Wüstenregionen unterwegs.

»Ich habe etwas gesehen«, begann Hel nachdenklich, als sie die Hälfte ihres Kelchs geleert hatte. »Es war nur ganz kurz da ... ein Funkeln.«

Gharra hielt im Kauen inne.

»Kein Sturm«, beeilte sie sich. »Eher ein ... ja, ein Aufleuchten. Es war gleich wieder weg. So was hab ich noch nie gesehen, mitten im toten Land. Vielleicht habe ich mich nur getäuscht, aber ...«

Bevor sie den Satz beenden konnte, stellte Gharra die Schüssel weg und stemmte sich aus dem Stuhl hoch. »Tix! Wo steckst du, du vermaledeiter – Hel, sieh mal dort auf dem Schreibtisch nach, meine Kette müsste zwischen den Schriftrollen liegen.«

Hel ging hinüber und fand unter halb ausgerollten und bekritzelten Landkarten ein gläsernes Medaillon. Darin glomm ein Herz, kaum größer als Hels Daumennagel.

Gharra hatte den Pixie irgendwann auf den Märkten von Aradon erstanden, wo Geister aller Art feilgeboten wurden. Die Kinder wohlhabender Händler hielten sich Kobolde als Haustiere, Magier mit Verfolgungswahn vertrauten auf Gnome, um sich vor Feinden zu schützen, und auch in der Liga der Sturmjäger erfreuten sich Geister wegen ihrem Gespür für Lirium großer Beliebtheit. Wobei das Erfreuen relativ war. Man musste etwas von einem Geist besitzen – sei es ein Knöchelchen, ein Auge, ein Fuß oder das Herz -, um sich seine Dienste zu erzwingen. Freiwillig gab ein Geist höchstens einen Tritt. Doch zum Glück hatten sie eine Schwäche für Tauschgeschäfte und opferten ihre Freiheit nicht selten für einen Fingerhut voll Lirium.

Ungeduldig nahm Gharra das Medaillon an sich und schwenkte die Kette hin und her. »Tix! Komm her!« Das Herz flackerte violett auf und bald strahlte ein ganz ähnliches Licht durch die oberste Schublade des Schreibtischs. Hel zog sie auf. Inmitten himmlischer Messgeräte, alter Notizen, abgesprungener Knöpfe und Flakons schwebte ein kleines, schnarchendes Wesen mit weit gespreizten Gliedern. Das Gesicht sah aus wie von einem Frosch, wären nicht die spitzen Zähne und Ohren gewesen, die mit jedem grunzenden Atemzug erzitterten. Ein Kreis aus Helligkeit umstrahlte den Pixie, denn anders als bei Wesen aus Fleisch und Blut war das Licht, das alles Lebendige umgab, bei Geistern sichtbar.

Vorsichtig stupste sie den Pixiebauch an, der für den Rest des spinnenhaften Körpers eindeutig überproportioniert war. Sofort wachte Tix auf – falls er überhaupt geschlafen hatte. Pfeilschnell schoss er auf Hel zu, umschwirrte sie viermal und streckte ihr die Zunge heraus. Winzige Spucketropfen landeten auf ihrer Nasenspitze.

»Tix!« Gharra rang die Hände. »Hör auf mit dem Schabernack und komm her.«

Tix salutierte, wobei er die Hand an sein gerecktes Hinterteil legte. »Zu Diensten, Meisterchen!« Auf Umwegen schwirrte er zu Gharra. »Was gibt’s? Frühstück?«

»Du sollst Bericht erstatten. Hel hat möglicherweise einen Sturm gesehen.«

»Nein, nein. Es war bestimmt kein Sturm, bloß -« Gharra zerrte bereits am Fenster. »Ach verflixt! Hilf mir mal, mein Golddukaten.«

Hel zog das Fenster für ihn auf. Rauschender Fahrtwind drang ins Zimmer ein.

»Wo hast du das Licht gesehen?«

»Im ... Südwesten«, sagte sie kleinlaut und deutete in die Richtung. Gharra scheuchte Tix nach draußen, wobei der Pixie achtgab, dass die Hand des Kapitäns nicht sein Licht berührte. Nähe war Geistern grundlegend zuwider. Doch kaum war er draußen, schlüpfte Tix durch das Fenster wieder herein.

»Hast du nicht verstanden? Sieh nach, ob sich ein Sturm zusammenbraut!«, befahl Gharra.

»Aye, Aye!«, zirpte Tix inbrünstig. Dann schwebte er auf der Stelle und kratzte sich gelassen die Fußsohlen.

»Worauf wartest du denn noch?«

»Auf meine Wegzehrung!« Der Pixie riss das Maul so weit auf, dass er sich selbst hätte verschlucken können. Gharra stieß leise Flüche aus, zog aber dann einen Flakon aus der Innentasche seines Rocks. Er hatte die Größe eines Fingers, weshalb man Flakons dieser Art einen Finger voll Lirium nannte. Man trug ihn stets bei sich, wie Geldring und Dolch. Gharra schraubte den silbernen Verschluss auf und tauchte den Daumen in die Öffnung. Aufgeregt umschwirrte ihn der Pixie. Kaum hatte Gharra den Daumen herausgezogen, stürzte sich Tix darauf und schleckte die schwarz funkelnde Substanz ab. Gharra ertrug es mit Fassung. Als der letzte Funke vertilgt war, ließ Tix von ihm ab und schwirrte in die Nacht hinaus. Abschiedslos. Wenn man die zwei Rülpser nicht zählte.

»Gieriges Viech«, knurrte Gharra und schüttelte die violette Spucke von seinem Finger. Seufzend ließ er sich in den Stuhl fallen. Obwohl sein Blick aufmerksam in die Nacht hinausging, kam er Hel unendlich müde vor. Die Arme schienen sich an den Lehnen festhalten zu müssen, damit er nicht einfach zwischen den Polstern versank.

»Hoffentlich findet dieser vertrottelte Pixie den Sturm«, murmelte Gharra. »Sieben Monate liegt die letzte Jagd zurück. Ach was, schon fast acht Monate. Acht Monate, ohne einen Sturm zu sichten ...«