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»Was für eine Medizin braucht ihr?«, fragte sie unwirsch.

»Eine für das Herz«, erwiderte Kelda ohne zu zögern. »Eine für die Seele unseres Volkes.«

Ozah schien nicht überrascht. Sie zog an ihrer Pfeife und ließ Wolken aus gelbem Rauch zwischen den Lippen hervorwabern.

»Man sagt, dass du Kontakt hast zu ...«

»Ja«, unterbrach sie ihn, »ich weiß, man sagt das. Aber es behaupten viele, sie zu kennen. Wieso kommt ihr ausgerechnet zu mir?«

»Weil du dich verborgen hältst«, sagte Kelda. »Wer die Wahrheit kennt, kennt auch die Gefahr.«

Dichte Schwaden verschleierten ihr Gesicht. »Und wenn es stimmt ... was wollt ihr von mir hören?«

»Wir sind auf der Suche nach ihr. Wir wollen uns anschließen.«

»Das sagen viele. Wenige kennen die Bedeutung ihrer Worte.«

»Wir kommen von weit her. Wir waren in Aradon, sind den Gewässern des Horrùn gefolgt, reisten entlang der Küste. Wir sind bereit, noch dreimal so weit zu wandern, um sie zu finden. Der Weg zu ihr soll unsere Probe sein; sie zu erreichen, wird beweisen, dass wir ihrer würdig sind.«

Ozah sah sie schweigend an. Dann trat sie näher, legte die Pfeife auf den Tisch und stützte die Hände auf. »Wie du sagst: Der Weg zu ihr ist ihre Prüfung für euch. Wer sie besteht, den wird sie in die Arme schließen und retten. Aber viele wollen nicht gerettet werden, auch wenn sie es sagen. Viele wissen nicht, dass Errettung Opfer bedeutet.«

Kelda verneigte sich. Ozah beobachtete ihn aus kalten Augen. Dann begann sie, schnell und eindringlich in der Sprache der Isen zu reden. Für Hel hörte es sich wie eine Beschwörung an. Der Raum schien in Schatten und gelbem Dunst zu versinken. Das Blut pumpte ihr durch die Schläfen. Sie wollte hier raus.

Kelda fragte etwas. Ozahs starrer Blick glomm auf. Sie antwortete in Zischlauten, die durch das Zimmer schlichen, sie umschlossen wie Schlangen. Das Gespräch zog sich hin, und einmal hörte Hel das Wort ›Dämon‹ heraus, doch sonst verstand sie nichts. Ein Lächeln glitt über Ozahs Gesicht, bei dem sie eine Gänsehaut bekam.

Schließlich legte Kelda eine Hand auf die Brust und sagte: »Ich danke dir. Mögen die Geister der Ahnen dich beschützen.«

Ozah nahm ihre Pfeife und ging zum Kamin, um sie zu entzünden. Rauchend blieb sie stehen. Kelda berührte Hel am Arm, damit sie ihm aus dem Raum folgte. Leise traten sie durch den Vorhang. Als Hel sich noch einmal umdrehte, sah sie den Flammenschein in Ozahs großen, blanken Augen. Plötzlich blickte die Isin sie an. Hel erschrak. Sie wollte ihr zum Abschied zunicken, stattdessen senkte sie nur den Kopf und lief eilig Kelda nach, hinaus auf die Straße.

Der Weg in die Nacht

Kelda ging schnell. Hel musste fast rennen, um ihn einzuholen. »Was hat sie gesagt?«

Kelda schüttelte knapp den Kopf. »Wir sprechen, wenn wir zurück sind.«

Als sie das Ende der überdachten Gasse erreichten, sah er sich in alle Richtungen um, ehe er den Weg zurück einschlug. Schweigend liefen sie durch das heruntergekommene Viertel. Einmal hörten sie ganz nah tobende Stimmen; ein Stück Pflaster flog über die Dächer hinweg und Hel duckte sich erschrocken. Dann wieder lag eine dicke, unheimliche Stille über den Straßen.

Viel schneller als erwartet erreichten sie die Herberge. Als sie die Stube betraten, war der Wirt gerade beim Essen. Er blinzelte überrascht; offenbar hatte er gedacht, dass sie oben schliefen.

»Wollen die Herrschaften frühstücken?«, fragte er und wies zum Kessel, der über dem Kaminfeuer köchelte und Kohlgeruch verströmte.

»Nein, danke. Vielleicht später«, sagte Kelda höflich und erklomm die Stiege.

Die Gefährten saßen alle in einem Zimmer beisammen und schienen sich unterhalten zu haben, als Kelda und Hel eintraten. Der Ise schloss die Tür und ließ sich auf einer der Pritschen nieder. Alle rückten näher, um seinen Bericht zu hören.

»Ozah behauptet, Mutter Meer, die Anführerin der neuen Isenbewegung, zu kennen. Angeblich hält sie sich mit ihren Anhängern im Westen verborgen, um die Rebellion vorzubereiten. In Naruhl.«

»Naruhl!«, stieß Olowain aus.

»Was ist Naruhl?«, fragte Harlem.

Olowain stützte seinen Stab auf und furchte die Stirn – ein sicheres Zeichen, dass ein Wortschwall bevorstand. »Nun, Naruhl kommt aus der Alten Sprache und bedeutet direkt übersetzt ›Nabel‹. Allerdings steht Naruhl im Allgemeinen eher für ›Quelle‹ oder ›Ursprung‹. Ich weiß das, weil ebenjener Ort, den Kelda erwähnt hat, Naruhl heißt und in der magischen Lehre, vor allem der Geschichte der antiken Magie, eine große Rolle spielt. Naruhl liegt – korrigiere mich bitte, wenn ich mich irre, Kelda – in den Gebirgen des Mittlands. Manche behaupten auch, es liege noch weiter im Westen, an der Grenze zu den Silbernen Steppen. Es ist ein Ort, an dem man angeblich vor Angriffen des Lebendigen Landes sicher ist. Einst, vor der Erfindung der Feenlichter, waren die Menschen – und alle anderen Völker natürlich auch – ständig in Gefahr, von der unkontrollierten Magie der Natur angegriffen zu werden. Naruhl war damals eine Art Wunderort.«

»Hätte man dann nicht dort eine Stadt errichtet?«, warf Arill ein. »Ich habe nie von einer alten Stadt mit dem Namen gehört.«

Olowain nickte. »Es gab Menschen, die sich dort niederließen. Aber nur sehr wenige. Man sagt, Naruhl ist verflucht. Keine Magie kann den Ort durchdringen. Er ist lebensfeindlich. Was auch immer das Lebendige Land davon abhält, nach Naruhl zu kommen, sollte auch uns davon abhalten.«

Hel und Nova sahen sich beunruhigt an.

»Aber das sind nur Legenden«, fuhr Olowain fort. »Nicht einmal die Bibliothek von Aradon besitzt genug Literatur über Naruhl, als dass ich ernst zu nehmende historische Quellen anführen könnte, die sie bestätigen. Es ist wahrlich sehr unbefriedigend.« Er presste verdrießlich die Lippen zusammen. Kelda nutzte den Moment der Stille, um zum Thema zurückzukommen.

»Jedenfalls behauptet Ozah, dass sich die Rebellenführerin in Naruhl verbirgt. Möglich wäre es.«

Olowain legte nachdenklich den Kopf schief. »Möglich wäre es, in der Tat. Allerdings würde es mich ein wenig überraschen. Die Geschichten, die sich um Naruhl ranken, sind heute nur noch wenigen bekannt – ich würde meinen, ausschließlich Akademikern der Magierschaft, die sich mit diesen Dingen beschäftigen. Dass eine Ungebildete, noch dazu eine vom Isenvolk, davon wissen sollte, wäre erstaunlich.«

Kelda schlug die Augen nieder. »Ich wiederhole nur, was Ozah behauptet.«

»Oh, ich weiß – das sollte kein Vorwurf an dich sein«, beeilte sich Olowain.

»Ich verstehe Eure Zweifel, Meister Olowain. Aber schließlich ist es auch eine Ungebildete vom Isenvolk, die Naruhl erwähnt hat. Wenn Ozah den Ort kennt, wieso dann nicht auch Mutter Meer?«

Olowain zwirbelte eine Strähne seines Bartes. »Ja ... hm. Nun, schien sie dir denn vertrauenswürdig, diese Ozah?«

»Sonst wäre ich nicht zu ihr gegangen.«

»Sie behauptet, Mutter Meer zu kennen? Dann glaubt sie also wirklich, dass es sie gibt?«

»Ich habe natürlich nachgehakt«, erwiderte Kelda. »Sie wollte mir nicht sagen, unter welchen Umständen sie Mutter Meer begegnet ist. Aber sie hat abgestritten, dass Mutter Meer oder sonst einer ihrer Anhänger Magie betreibt. Sie sagte, die Rebellen können keine Schiffe zum Abstürzen bringen. Noch nicht.«

Olowain zuckte irritiert mit den Augenbrauen. »Nun. Alles kann diese Ozah auch nicht wissen. Und wenn sich die Geschichten über eine Rebellenanführerin als wahr herausstellen, dann muss sie diejenige sein, die hinter den Angriffen steckt.«