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Bald war das Licht hinter den Bäumen verschwunden. Der Weg verschwamm zusehends in Dunkelheit. Irgendwann ließ Olowain seinen Stab aufleuchten und auch Kelda machte seine Leuchtkugel an. An einer Stelle, wo nur Moos und Wurzeln den Wegrand säumten, traten sie in den Wald ein, und Olowain stellte seinen Stab ab. Sie ließen sich rings darum nieder, um zu rasten und zu Abend zu essen.

»Also schlafen wir hier?«, fragte Hel, als sie ihr Mahl beendet hatten.

Kelda schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein.«

Hel wollte ihn schon auf die Wrauden ansprechen, als sie Laub knistern hörte. Sie drehte sich um und sah, wie die Katzenwesen angelaufen kamen. Wie sie sich so rasch und leise bewegten, kam Hel einfach nicht umhin, nervös zu werden. Es kostete sie einige Mühe, den Fluchtimpuls niederzuringen.

Die Wrauden strichen um Kelda herum, ließen sich streicheln und kraulen. Dabei beobachtete Hel mit Herzklopfen, wie eine der Wrauden das Maul öffnete, um ihn abzuschlecken – und für einen kurzen Moment seinen ganzen Arm zwischen den Zähnen hatte.

Dann suchten die Wrauden die anderen Gesandten auf. Sie kehrten zu denen zurück, die sie letzte Nacht getragen hatten – offenbar gehörten sie jetzt einander. Zögernd streckte Hel die Hand aus und strich ihrer Wraude über die weiche Schnauze. »Hallo«, murmelte sie. »Wo wart ihr den ganzen Tag?«

Die Wraude warf mit einem tiefen Knurrlaut den Kopf nach hinten und Hel zog erschrocken die Hand zurück. Dann ließ das Tier sich nieder und erlaubte ihr, auf seinen Rücken zu klettern. Relis stieg hinter ihr auf und die Wraude erhob sich. Olowains Stab und die Leuchtkugel erloschen. Sie liefen los.

In der Finsternis fielen Hel immer wieder die Augen zu und der Rhythmus der Sprünge ließ sie in einen angenehmen Dämmerzustand sinken. Blasse Träume zogen an ihr vorüber ... die Wüste, ihr Ritt auf dem Lymaerus mit ihm ... Wo er wohl gerade war? Irgendwo war er und schlief vielleicht, oder er ritt wie sie durch die Nacht, auf einem Lymaerus ...

Als die Morgendämmerung kam, schmerzten Hel die Augen vor Müdigkeit. Die Wrauden verlangsamten ihre Schritte, bis sie schließlich die Ader verließen und in den Wald liefen. Hinter einem Vorhang aus Fichten ließen sie sich nieder. Ohne sich abzusprechen glitten die Gefährten zu Boden, in ihre Umhänge gewickelt wie Raupen. Auch die Wrauden legten sich schlafen, ein Hügel aus grauem Fell und weichen Tatzen.

Als Hel zu sich kam, waren die Wrauden fort. Olowain, Kelda und die Söldner waren schon wach, Harlem und Nova schliefen noch. Unter den Bäumen ließ sich nur schwer erkennen, wie spät es war, aber Hel hatte das Gefühl, dass sie recht lange geschlafen hatte.

Nach einer Weile erwachten auch Nova und Harlem. Die Zwergin wirkte schlecht gelaunt und zerknittert; Hels »Guten Morgen« erwiderte sie mit einem Brummen. Dann stand sie auf und machte ein paar Dehn- und Streckübungen. Staunend beobachteten Hel und Nova, wie sie sich jeweils ein Bein bis hinter den Kopf schob. Dann hüpfte sie auf der Stelle und zog blitzschnell ihre Stilette. Nova zuckte zusammen. Als Harlem ihm einen überraschten Blick zuwarf, tat er, als würde er sich räkeln, und gähnte laut. Harlem steckte ihre Waffen wieder ein und ließ ihren Nacken knacken. »Hätte ich bloß meine Hängematte dabei. Ich glaube, ich habe auf lauter Wurzeln und Steinen gelegen.«

Auch die anderen Gefährten erwachten nun. Sie aßen und tranken, und Olowain nötigte Arill, ihm die Schultern zu massieren. Etwas gehemmt kam der Söldner dem Befehl nach. Während der Magier ihm Anweisungen erteilte, ließ Arill den Blick zwischen den Gefährten umherschweifen, damit ja niemand sich über ihn lustig machte. Relis und Berano drehten sich nach ihren Waffen um und grinsten breit.

Wie gestern kamen die Wrauden bei Einbruch der Nacht. Sie ritten los und diesmal wurde Hel nicht mehr so schnell müde. Die Straße schlängelte sich lange Hänge hinauf und durch finstere Täler. Einmal öffnete sich der Wald, und sie passierten eine Steinbrücke, die im klaren Mondlicht schimmerte wie Silber. Bis in die Ferne sah Hel bewaldete Hügel und Himmel. Dann tauchten sie wieder in die Umarmung der Bäume ein, und die Welt schrumpfte zusammen, bis sie nur noch aus der schmalen Straße zu bestehen schien.

Irgendwann in der Nacht sah Hel Lichter vor ihnen tanzen. Die Wrauden wurden langsamer. Über einem Hang brannten Feuer wie rote Augen im Schwarz. Jemand musste dort oben lagern. Die Wrauden witterten die Luft, wurden dann wieder schneller und preschten an den Lichtern vorüber. Hel glaubte, isischen Gesang zu hören ... gewiss waren es Isen, noch mehr Flüchtlinge. Vielleicht auf der Suche nach den Rebellen wie sie.

Bei Sonnenaufgang rasteten sie am Wegrand und Hel schlief sofort ein, geschützt und warm in ihrem Umhang.

Drei Tage und Nächte vergingen so. Allmählich gewöhnten sie sich an die Schlafumstellung, auch wenn Hel sich dem Leben seltsam entrückt fühlte, so fast ohne Sonnenlicht. Aber die Wrauden waren Nachttiere und sie bestimmten den Rhythmus ihrer Reise.

In der Dunkelheit begann Hel, den Silberling aus ihrer Augenklappe zu nehmen. Sie beobachtete die Welt mit der zweiten Sicht, sah das Licht der Tiere, die Magie im Land vorüberziehen wie Sternschnuppen ... alles erinnerte sie so sehr an früher, an Nächte auf der Schwalbe, als sie nach Stürmen Ausschau gehalten hatte ... und auch an ihre langen Märsche durch die Wüste, die Tiefe der Nächte, in denen die zweite Sicht umso strahlender gewesen war.

Hin und wieder ritten sie an anderen Wanderern vorbei. Sie sahen Lager, die am Wegrand aufgeschlagen waren; einmal bemerkte Hel eine Gruppe von mindestens fünfzig Leuten hinter den Bäumen. Weder Leuchtkugeln noch Fackeln verrieten sie, aber mit der zweiten Sicht sah Hel sie ganz deutlich. Die schlafenden Körper hatten etwas Unheimliches an sich, wie sie so in der Dunkelheit lagen, als hätte jemand leuchtende Samenkörner eingepflanzt.

Am Morgen des vierten Tages erschien eine kleine Stadt neben der Ader. Ein Wasserfall stürzte von den Felsen und strömte an den Häusern vorbei. Die Gesandten beschlossen, in einer Herberge einzukehren und neuen Proviant zu besorgen. In einiger Entfernung hielten die Wrauden an und ließen sie absteigen. Dann sprangen die großen Katzen in die Wälder zurück, um bald mit der Dämmerung zu verschmelzen. Hel sah ihnen nach und konnte trotz der Bewunderung für die anmutigen Tiere nicht ganz den Gedanken daran verdrängen, wie sie auf Jagd gingen. Sie fröstelte vor Mitleid mit den Rehen oder Wildschweinen, die von den Wrauden überrascht werden würden. Plötzlich musste sie sich an die Lager erinnern, an denen sie vorbeigeritten waren. Aber die Wrauden fraßen gewiss keine Isen – wo sie doch Kelda als einen von ihnen ansahen.

Gleich am Stadtrand war ein Wirtshaus, das sie mit seinem zerzausten, niedrigen Strohdach und den runden Fenstern anzulächeln schien wie ein gutmütiges Großmütterchen. Frühstücksduft hing in der Luft. Hel lief das Wasser im Mund zusammen.

Die Tür war verschlossen, also klopften sie an. Eine rundliche junge Magd öffnete ihnen. Als sie Kelda sah, schien sie zu zögern, trat aber dann zur Seite und ließ sie ein.

Ein paar Durchreisende saßen in der hellen Stube und aßen; die meisten schienen Händler zu sein, einer trug das Pentagramm der Magierschaft auf dem Wams – es musste ein Straßenmann sein, der die Adern entlangzog, um Feen lichter auszuwechseln. Dampf umwölkte eine geräumige Kochecke, wo Speck über mehreren Flammen brutzelte und eine rotwangige Wirtin ein Ei nach dem anderen in die Pfannen schlug. Die Gefährten ließen sich an einem Tisch nieder, ohne sich erst die Zimmer zeigen zu lassen. Keiner von ihnen würde die Küche verlassen, ohne gekostet zu haben, was die köstlichen Düfte verströmte.

Die Magd brachte ihnen ofenwarme Brotlaibe, golden und knusprig, Butter und Milch, Speck, Eier und Honig. Sie genossen das üppige Mahl in Schweigen, und sogar Harlem aß zum ersten Mal etwas, das nicht ihrem eigenen Proviantbeutel entstammte. Allerdings hielt sie sich dabei nur an die roheren Stücke vom Rührei, die sie dick mit Honig beträufelte.