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»Also. Also. Naruhl ist das hier nicht. Irgendwas hat die Leute getötet.« Olowain sprach so schnell, dass man ihn kaum verstand. Er schien sich selbst zuzureden. »Wir sollten in den anderen Häusern nachsehen, ob ...« Er packte seinen Stab fester und ließ ihn so hell aufstrahlen, dass Hel die Augen zusammenkniff. Dann steuerte er die nächste Hütte an. Die Haustür war verschlossen. Sie leuchteten durch das Fenster und sahen eine Frau über einem Kessel knien, als wäre sie beim Kochen eingenickt. Neben ihr lag reglos zwischen Äpfeln ein junges Mädchen. Wie im Traum gingen sie weiter. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass der Regen nur noch im Schein von Olowains Stab sichtbar war, ein dünner Vorhang aus Silber vor den schlafenden Häusern.

Im Eingang einer Hütte kauerten zwei Kinder. Mehrere Kätzchen waren rings um sie verstreut wie Wollknäule. Das Licht vorgestreckt, ging Olowain auf sie zu und kniete nieder. Bebend streckte er den Stab aus und hob damit den Kopf eines Kindes an.

Es war ein Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Ihre milchigen Augen starrten sie direkt an; ein Faden Speichel hing aus ihrem Mundwinkel. Dann kippte ihr Kopf in den Nacken wie eine geknickte Blüte, ihr Körper sank gegen die Tür und schob sie auf. Mit einem erschreckend lauten Geräusch schlug ihr Kopf auf den Boden. Das zweite Kind fiel neben sie.

»Sie ... sind unverletzt«, flüsterte Olowain und hielt das Licht über sie. Dann drehte er eins der Kätzchen um. Auch an ihm waren keine Wunden zu erkennen.

»Was hat sie umgebracht?«, stammelte Relis.

Olowain drehte sich zu der Söldnerin um. Sein Gesicht glänzte feucht. Er wischte sich Regen von der Lippe. »Magie ... Magie bedeutet, dass Lirium auf etwas anderes Einfluss nimmt, es verändert, indem es ihm Energie zufügt. Hier aber ... hier wurde Energie entzogen. Die Lebenskraft der Menschen ... und Tiere ... und Pflanzen.« Er wischte sich zittrig über die Stirn. »Es ist Magie, ja, es muss eine Form von Magie gewesen sein. Eine, die wir nicht kennen.«

»Dann ist es wahr«, murmelte Harlem. »Der Dämon existiert wirklich!« Sie starrte auf die Kinder und Katzen hinab und blähte die Nasenflügel. Vielleicht wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass ihr Gegner tatsächlich kein Wesen aus Fleisch und Blut sein könnte, das sich mittels Stiletten aus dem Weg räumen ließ.

»Nein«, widersprach Olowain und schüttelte entschieden den Kopf. »Wir müssen vernünftig bleiben. Dass Magie im Spiel war, wussten wir von Anfang an, das macht noch lange keinen Dämon. Aber ... das ist der größte magische Fortschritt seit der Erfindung der Feenlichter. Die Waffe, die hier eingesetzt wurde, ist eine Art Feenlicht! Es nimmt Lirium in sich auf, aber nicht nur Lirium in freier Form, sondern aus ... aus lebenden Körpern ... wie ist das bloß möglich?«

Die Faszination in seiner Stimme drehte Hel den Magen um. Sie schlang die Arme um sich. »Lasst uns hier weggehen«, flüsterte sie.

Harlem und die Söldner nickten. Sie wandten sich um, nur Olowain hob ein totes Kätzchen auf und untersuchte es im Licht. »Schwacher Verwesungsgeruch ... die Rebellen waren erst kürzlich hier. Nicht länger als drei Tage. Ich würde sagen, Mutter Meer ist nicht mehr als drei Tage von uns entfernt.«

Hel konnte sich nicht darüber freuen, und sie zweifelte, dass sonst jemand es tat. Alles, was sie wollte, war das Dorf verlassen.

Olowain zog eine Eilige Feder aus seinem Beutel und murmelte ihr leise Dinge zu. Dann befahl er der Feder: »Zu Meister Palairon in Aradon!« Die Feder begann in seiner Hand zu zittern, dann flog sie auf und schoss in den dunklen Himmel.

»Jemand muss die Leichen bergen, oder?«, fragte Nova leise. »Ich meine ... sie können ja nicht einfach hierbleiben ...«

»Sie müssen vor allem untersucht werden. Vielleicht verraten sie etwas über die Magie, die sie getötet hat.« Olowain nickte nach vorne. »Lasst uns die Wrauden finden und der Ader folgen. Hel, du musst Ausschau halten nach Kriegern! Mutter Meer ist irgendwo in der Nähe.«

Oder ein Dämon, dachte Hel im Stillen.

Als sie sich in Bewegung setzten, blieb nur Kelda zögernd stehen und sah zu den Häusern zurück. »Wartet.«

Sie drehten sich um. Kelda hatte seinen Arm in den Umhang gewickelt und hielt ihn sich gegen die Brust. »Könnten wir vielleicht nach Verbandszeug suchen?«

Olowain räusperte sich und trat auf den Isen zu. »Aber natürlich. Ich hätte gleich daran denken sollen. Machen wir uns sofort auf die Suche. Vielleicht können wir auch unseren Proviant aufstocken.«

Die Vorstellung, Essen aus den Häusern zu stehlen, missfiel Hel. Sie konnte an den Mienen der anderen ablesen, dass auch sie das Dorf am liebsten sofort hinter sich gelassen hätten. Aber sie konnten Kelda nicht widersprechen.

Weil sich niemand überwinden konnte, über die toten Kinder zu steigen, steuerten sie das Nachbarhaus an. Auch hier war die Tür offen. Ein schmaler Flur führte in eine Küche, die glücklicherweise leer war – Olowain leuchtete in alle Schränke, Truhen und Schubladen und fand zwei kleine Säcke Buchweizenkörner. Ein Tongefäß mit eingelegten Pflaumen wanderte in Harlems Beutel. Dann kletterten sie eine Stiege ins Dach hinauf und kamen in zwei Kammern mit schrägen Wänden. Die Strohpritschen waren leer. Doch als Hel genau hinsah, schien etwas unter der einen Decke zu liegen ... rasch wandte sie sich ab und half den anderen, die Kisten zu durchsuchen. Mit zitternden Händen wühlte sie in den fremden Sachen, ohne überhaupt zu wissen, wonach sie Ausschau hielt.

»Hier ist ein sauberes Hemd«, flüsterte einer der Söldner und zog den Stoff aus einem Korb. »Daraus kann man eine Armschlinge knoten.«

Kelda nickte langsam. »Lasst uns in die anderen Häuser gehen. Ich brauche etwas gegen die Schmerzen.«

Niemand sagte etwas dagegen. Es konnte sich aber auch niemand zu einer Zustimmung durchringen.

»Vielleicht finden wir ja Schnaps«, murmelte Arill. »Würde dir das helfen?«

Kelda nickte nachdenklich und stieg die Treppe nach unten. Leise, als könnte jemand geweckt werden, folgten die anderen ihm.

Als sie aus dem Haus traten, sah Kelda sich um. Hel wusste nicht, wonach er suchte, die Hütten sahen alle gleich aus.

»Ich bin hungrig«, murmelte er. »Lasst uns mehr zu essen suchen.«

Hel und Nova tauschten einen hilflosen Blick. Sie hätten beide lieber zwei Tage nichts gegessen, als länger in dem Dorf zu bleiben. Wieso wollte Kelda nicht gehen? Vielleicht war er einfach mutiger als alle anderen. Hel versuchte, vernünftig zu sein – es gab wirklich nichts zu fürchten, schließlich war niemand mehr am Leben, aber wie zum Henker konnte man ans Essen denken, wenn man in einem Dorf voller Toter war?

Olowain räusperte sich. »Ein Mittel gegen deine Schmerzen ist das Wichtigste. Aber natürlich können wir, wenn wir Nahrung finden, auch die mitnehmen ...« Er näherte sich einem Haus.

Hel hielt inne. Ihr Herz zog sich zusammen. Im Dorf stand jemand.

»Da«, ächzte sie. Aus Angst, dass die anderen sie nicht gehört hatten, hielt sie Nova und Harlem fest. Im nächsten Moment hatten die Söldner sich zum Kampf formiert. Olowain umklammerte seinen Stab.

Erst jetzt begriff Hel, dass die Fremden nicht nur mit der zweiten Sicht zu erkennen waren. Der Schein von Leuchtkugeln schwappte aus der Dunkelheit. Und dann standen ihnen Reiter gegenüber.

Sie tauchten überall hinter den Hütten auf, bis die Gesandten umstellt waren. Harlem zog ihre Stilette. Trotz der Dunkelheit erkannte Hel, dass die Fremden auf Keilpferden saßen – das buschige Brustfell und die Hauer, die den Mäulern entwuchsen, waren unverkennbar. Doch Keilpferde waren kaum größer als Ponys. Normalerweise berührten die Füße eines Mannes den Boden, wenn er auf einem Keilpferd saß. Die Gestalten jedoch hatten die perfekte Größe für die Tiere.

Einer der Reiter hob die Hand und rief etwas. Es klang, als würde er auf Knochen kauen. Hel verstand kein Wort.