Выбрать главу

»Zwerge!«, stieß Olowain aus.

Harlem schob ihre Waffen zurück und verneigte sich tief. Dann rief sie etwas zurück.

Die Reiter lenkten ihre Keilpferde näher. Kapuzenumhänge schützten sie gegen den Regen, darunter ragten die Griffe von Streitäxten und klobigen Kurzschwertern hervor. Es waren allesamt Männer. Kunstvoll geflochtene Bärte fielen ihnen über die Brust. Ihre Haut war von gelblicher Blässe.

»Keine Angst!«, sagte der Zwerg nun in der Sprache der Menschen. Er hatte den stärksten Akzent, den Hel je gehört hatte. Die Worte klangen so abgehackt, als wäre seine Zunge eine stumpfe Klinge. Ein dichter, von grauen Strähnen durchwirkter Bart umwucherte sein Gesicht, in dem eine große Hakennase und Augen saßen, die überraschend hell unter den buschigen Brauen vorblitzten. Er zügelte sein Keilpferd und schob sich die Kapuze zurück. Ein Goldreif schmiegte sich um seine Stirn. Seine ganze kompakte Gestalt strahlte Würde aus.

»Ich bin König Moradin von Gondurill, dies sind meine Männer!« Er machte eine weit ausholende Geste mit der Hand. »Wir suchen Überlebende. Seid Ihr Bewohner des Dorfes?«

»Gondurill«, murmelte Olowain erstaunt, dann trat er vor und schob sich ebenfalls die Kapuze zurück. Schreck breitete sich auf den Gesichtern der Zwerge aus, als sie erkannten, dass er ein Magier war.

»Es ist mir eine Ehre, Euer Hoheit.« Olowain deutete eine Verneigung an. »Ich bin Meister Olowain, Bibliothekshüter von Aradon, Gelehrter der magischen Geschichte und antiken Magie. Meine Gefährten und ich sind zufällig vorbeigekommen.« Er hielt kurz inne. »Es war mir nicht bewusst, dass wir so nah an Gondurills Grenzen sind.«

Ein nachsichtiges Lächeln umflackerte den Mund des Königs. »Gondurill ist den wenigsten Männern Eures Blutes bewusst. Das soll Euch nicht beleidigen, es ist eine Tatsache.«

Olowain nickte. »Ihr haltet Euch schließlich gut versteckt.«

König Moradin lächelte. Doch sein Blick war wachsam wie der eines Raubvogels. »Und Ihr, Magier, seid auf der Suche nach dem Dämon, nehme ich an.«

Hel hörte, wie Olowain den Atem anhielt. Dann nahm er den Stab auf die andere Seite. »Wisst Ihr etwas über einen Dämon, Hoheit?«

Der König stieß ein grimmiges Lachen aus. »Nur das, was man sehen kann: dass er Dörfer ausrottet und selten etwas am Leben lässt. Doch es kommt vor – wenn auch aus Nachlässigkeit und nicht aus Gnade. Darum sind wir hier. Wir suchen Überlebende.« Er sah sich um und holte tief Luft, als wollte er die Umgebung in sich aufnehmen. »Der Dämon scheint immer gründlicher vorzugehen ... mal sehen. Vielleicht ist noch jemand in den Häusern.«

»Wie viele Dörfer habt Ihr schon durchsucht?«, fragte Olowain mit schwankender Stimme.

»Hier in der Nähe? Vier.«

»Und seid Ihr auch auf ... Isen gestoßen?«

Der König sah ihn eindringlich an. »Natürlich. Die Kämpfe Eurer Völker haben viele Flüchtlinge, viele Verwundete auf beiden Seiten hinterlassen. Wir bieten ihnen allen Zuflucht in Gondurill. Anfangs dachten wir auch, die Dörfer seien von Eurem Krieg zerstört worden. Aber die Überlebenden haben anderes berichtet.«

»Es gibt Zeugen?«, hauchte Olowain. Lauter sagte er: »Befinden sich die Opfer noch in Eurer Obhut, Hoheit? Dann müsst Ihr uns zu ihnen bringen. Im Namen der Magierschaft.«

Der König musterte sie schweigend. Sein Blick wanderte von einem zum nächsten, bis er in jedem Gesicht gelesen hatte. »Was den Hass Eurer Völker verursacht hat, ist für uns so unerheblich wie die Vergabe von Sieg und Niederlage. Gondurills Tore stehen allen offen. Außer denen, die Feindschaft im Herzen tragen. Doch ich sehe ... dass ein Magier und ein Ise zusammen reisen. Wenn es Euer Ziel ist, den Krieg zu beenden, und nicht, ihn zu gewinnen, dann seid unsere Gäste.«

Olowain verneigte sich ehrerbietig. »Ihr habt mein Wort, König.«

Hel musste den Zwergen erklären, dass es keinen Grund gab, das Dorf nach Überlebenden abzusuchen: Als sie von ihrer zweiten Sicht sprach, betrachtete der König ihre Augenklappe so intensiv, als könnte er mit schierer Willenskraft durch den Stoff sehen.

»Woher hast du diese Gabe? Haben die Magier dich für ihre Experimente hergenommen?«, fragte der Zwergenkönig und sah dabei Olowain an.

Hel schüttelte irritiert den Kopf. »Äh, nein. Ich weiß nicht, warum ich die zweite Sicht habe.«

König Moradin brummte nachdenklich, doch es war offensichtlich, dass er sich mit dieser Antwort nicht zufriedengab. Dann bemerkte er Keldas Arm und sagte schlicht: »Sobald wir in Gondurill sind, wird sich ein Heiler um dich kümmern.«

Kelda neigte dankend den Kopf.

»Habt ihr Reittiere?«, erkundigte der König sich weiter. Als Olowain verneinte, deutete er zum Waldrand. »Wir haben Tragen mitgebracht, für Verletzte. Wenn wir sie abnehmen, können vier von euch auf Keilpferden reiten.«

Sie folgten den Zwergen aus dem Dorf. Nachdem die Tragen abgeschnallt worden waren, schwang sich Olowain umständlich auf eines der Reittiere, wobei er die Beine anwinkeln musste, damit er den Boden nicht berührte. Dann bestand er darauf, dass Kelda ebenfalls ritt, obwohl der Ise beteuerte, laufen zu können.

»Nicht mein Bein ist gebrochen, sondern mein Arm«, murmelte er, doch die Gefährten waren einstimmig dafür, dass er reiten sollte. Fast meinte Hel, ihn erröten zu sehen, doch schließlich fügte er sich dem Willen der anderen.

Das dritte Keilpferd nahm Harlem, die lächelnd erklärte, dass ihre Beine zu kurz waren, um Schritt zu halten. Geschickt schwang sie sich in den Sattel und lenkte das Keilpferd herum – es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie auf den Tieren ritt. Für eine Zwergin war das auch nicht verwunderlich. Keilpferde waren die beliebtesten Reittiere ihres Volkes.

Das letzte freie Keilpferd sollte, wie Hel schon befürchtet hatte, sie nehmen.

»Wieso, ich kann genauso gut laufen wie ihr!«, protestierte sie, als Arill sie auf das Tier zuschob. »Nova, willst du nicht ...?«

»Auf keinen Fall. Du bist die Einzige von uns, die auf einem Keilpferd sitzen und dabei ihre Würde wahren kann.« Er zeigte auf Olowain. »Ich mache mich bestimmt nicht lächerlich mit meinen langen Beinen.«

»Also – ich muss doch bitten!«, hustete Olowain. Nova grinste Hel an. Dann hob er sie auf das Keilpferd, ohne auf ihren Protest einzugehen. Hel umklammerte die Zügel und presste die Knie in den Sattel. Es war merkwürdig, zu reiten und dabei von Nova, der neben ihr lief, überragt zu werden. Die ganze Zeit wurde sie den Verdacht nicht los, dass sie genauso komisch aussah wie Olowain. Wenigstens musste sie nicht permanent die Beine anwinkeln.

Die Zwerge führten sie einen schmalen Pfad bergauf, über vorspringende Felsen und durch dichtes Blätterwerk. Hel schwankte im Sattel, doch das Keilpferd bewegte sich mit großer Sicherheit durch das Gelände. Wahrscheinlich konnten sie, wie die Zwerge, gut in der Dunkelheit sehen; Hel jedoch war dankbar für Keldas Leuchtkugel und das Licht, das Olowains Stab erzeugte. Altes Laub knisterte unter den Hufen. Der Weg verwandelte sich in einen schmalen Vorsprung an den Felsen entlang. Der Himmel kam in Sicht, blass durchleuchtet von Sternen und einem dünnen Mond. Hel blickte auf das weite Land hinab. Mit der zweiten Sicht konnte sie in der Ferne noch immer den blinden Fleck sehen, wo das Dorf lag.

Der Pfad machte eine Biegung und führte in den Berg hinein. Ihre Schritte hallten laut von den Wänden wider. Dann erschien etwas vor ihnen, das wie ein rundes Tor aussah: Die Felsen öffneten sich über ihnen, sodass das Mondlicht einfiel. Hel erkannte schwungvolle Gravuren im Fels – die Schriftzeichen der Zwerge. König Moradin zog einen langen Schlüssel unter dem Umhang hervor und reichte ihn einem seiner Männer, der vom Keilpferd sprang und das Tor aufsperrte.

»Willkommen in Gondurill, dem Granitzahn!«, rief der König über die Schulter. Dann trieb er sein Keilpferd durch das Tor und die anderen ritten ihm nach.