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»Schlangenei«, raunte Nova neben ihr. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. Sie hätte sich noch etwas einreden können.

Der Diener löffelte reichlich dunklen Honig auf ihre Teller. Dann hob er die Glocken von den restlichen Schalen und teilte etwas aus, das wie dicke weiße Bohnen aussah, und faustgroße, schrumpelige Fleischbrocken – Hel erkannte an den Fleischbrocken Füße. Sie presste sich unauffällig die Knöchel auf den Mund. Frösche. Oder eher Kröten, wenn man sich die Warzen ansah.

Der Diener bot ihnen auch verschiedene Knollensorten an. Hel wählte eine kleine dunkelviolette und eine dickere, leicht haarige. Sie hoffte inständig, dass es tatsächlich eine Wurzel und nicht der Körperteil irgendeines Tieres war. Ihr Magen schrumpfte in sich zusammen.

Bei genauerer Betrachtung stellte sie fest, dass die Bohnen gar keine Bohnen waren. Sondern fette Raupen. Kaum hatte sie es erkannt, goss der Diener eine schwere braune Soße darüber.

»Auf volle Bäuche!«, wünschte der König, nahm eine zweizinkige Gabel und bohrte sie in eine Bratkröte.

»Guten Appetit«, murmelte Olowain. Es klang, als wollte er sich selbst überzeugen. Vorsichtig begannen sie, die Speisen auf ihren Tellern herumzuschieben und so zu arrangieren, dass es nach möglichst wenig aussah. Hel beschloss, ein Ei zu pellen, damit sie die Raupen unter der Schale verstecken konnte. Allerdings war das Ei nur weich gekocht und die lauwarme Soße floss ihr über die Hände. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Finger abzulecken. Der König starrte sie an wie eine Wilde.

Dann wandte er sich an Olowain. »War die Unterhaltung mit den Flüchtlingen aufschlussreich?«

Olowain würgte hinunter, was auch immer er sich in den Mund gesteckt hatte. »In der Tat. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Dämon bald finden werden.«

König Moradin runzelte die Stirn. »Wie wollt Ihr ihn finden? Niemand weiß, wohin er unterwegs ist und wo er als Nächstes auftaucht. Manchmal erscheint er innerhalb kürzester Zeit an Orten, die mehrere Tagesreisen auseinanderliegen.«

Olowain senkte überrascht seine Gabel. »Nun. Es ist gut möglich, dass es nicht nur einen Dämon gibt.«

»Zwei Dämonen? Das gefällt mir nicht.« Der König wollte trinken und merkte, dass sein Kelch leer war. Ärgerlich winkte er den Diener herbei und ließ sich Wein einschenken. Auch die Becher der Gefährten wurden hastig gefüllt.

»Was könnt Ihr über die Magie des Dämons sagen? Benutzt er Feenlichter, um das Leben seiner Opfer aufzusaugen?«

»Feenlichter können nur freies Lirium aufnehmen. Aber ich bin sicher, dass der Dämon eine magische, uns unbekannte Waffe benutzt – er ist also weniger ein Dämon als ein Wahnsinniger mit einer gefährlichen Erfindung.«

»Ich dachte, die Magie des Dämons sei eine Erfindung der Magierschaft.« Moradin trank, ohne Olowain aus den Augen zu lassen.

»Oh, nein. Nein. Über solche Kräfte verfügen wir nicht.« Olowain faltete die Hände und fügte eilig hinzu: »Das heißt, natürlich ist das blinde Wüten des Dämons nichts im Vergleich zu den Fähigkeiten und dem enormen Wissensschatz der Magierschaft. Eine Waffe, die nichts kann als zerstören, ist weitaus leichter zu erschaffen und verlangt viel weniger Genialität als friedliche Erfindungen. Wenn ich hin und wieder Schüler durch meinen Teil der Bibliothek führe, pflege ich zu sagen: Wir brauchten nur einen einzigen Tag, um zu entdecken, wie man mit Lirium tötet. Aber es dauerte siebenhundert Jahre, bis wir Leuchtkugeln schufen, die bei gelbem Licht Vanilleduft und bei rotem Licht Rosenduft verströmen.«

König Moradin nickte lächelnd. »Ihr seid ein Mann des Friedens. Das ist gut.« Er schwieg einen Moment. Dann nahm er eine dunkle Knolle und biss die Hälfte ab. Nachdenklich kaute er. »Siebenhundert Jahre für eine duftende Leuchtkugel?«

»Es gab natürlich viele Vorläufer. Allerdings war immer der Geruch von heißem Leder ein Problem. Und die Düfte sollten ja der Farbe entsprechend -«

»Vielleicht«, fuhr der König ihm dazwischen, »hat es so lange gedauert, weil die Magierschaft stets mit anderen Erfindungen beschäftigt war. Erfindungen für den Krieg.«

Olowain verstummte. Schließlich richtete er sich auf und schob den Teller von sich weg. »Ich sehe, worauf Ihr hinauswollt, König. In der Tat hat die Magierschaft mehr Interesse daran, den Frieden zwischen den Reichen zu wahren als Spielzeug zu perfektionieren.«

»Frieden wahren?«, lachte der König. »Aber das ist ein Widerspruch in sich! Ihr rüstet die Königreiche, Ihr profitiert von ihren Kriegen. So macht Ihr sie von Euch abhängig. Ihr seid jedermanns Verbündeter. Und noch viel mehr: jedermanns Feind.«

Olowain saß sehr gerade auf seinem Stuhl. »Ich halte es für ausgeschlossen, dass ihr einen Gast je beleidigen würdet. Lasst mich also auf Eure Bemerkung eingehen, Euer Hoheit. Waffen und Frieden sind kein Widerspruch. Im Gegenteil. Wenn wir die Kräfte unseres Gegenübers kennen, wird ein Kräftemessen überflüssig. Die Magierschaft versorgt, wie Ihr vielleicht wisst, nicht nur die ganze Welt mit Lirium. Wir haben auch ein Interesse daran, wozu unser Lirium verwendet wird. Wir bemühen uns um diplomatische Beziehungen zwischen allen Ländern. Wir haben hundertmal mehr Kriege verhindert als unterstützt – und das ohne Gewalt, ohne einen vergossenen Tropfen Blut, allein durch Verhandlungen.«

Mehrere atemlose Sekunden lang sahen der König und Olowain sich nur an. Dann lehnte Moradin sich zurück. Sein Blick schweifte durch die große Halle. »Vielleicht sind meine Ansichten tatsächlich ferner der Wirklichkeit als Eure. Immerhin ... ist Gondurill ein versunkenes Reich. Und ich der Letzte eines vergessenen Königshauses.« Er räusperte sich leise. »Es gab eine Zeit vor der Magierschaft, vor den großen Städten an der Oberfläche, vor der Zähmung des Landes, als Gondurill für alle Zwerge der Mittelpunkt der Welt war. Wir waren ein Volk. Und nun ... wo ist unser Volk? In Har’punaptra, diesem Kessel der Geldgier, des gepflegten Verbrechens? Hah, die Zwerge von Har’punaptra können nicht einmal mehr in der Dunkelheit sehen, die Wüstensonne hat sie blind werden lassen wie Menschen. Und sie haben ihre eigene Sprache verlernt! Sie kennen nur noch die Sprache des Geldes. Wer aber kommt nach Gondurill? Wer folgt noch dem Ruf der Heimat, des Herzens? Hier ist die Wiege unseres Volkes, Gondurill, der Granitzahn! Unser Ursprung, verraten und vergessen für die Annehmlichkeiten der Magie. Keine Rebellion hat unser Königtum vernichtet. Kein ehrenhafter Kampf hat uns die Kehle durchgeschnitten, sauber und schnell. Wir sind alt geworden. Langsam dahinvegetiert. Wofür? Für hübsches Licht und Wärme, Waffen, für Tand. Es gehen Schätze mit Gondurill unter, die niemand je wieder entdecken wird. Die Kultur des Zwergenvolks, die Entwicklung von Jahrtausenden, dahin. Zwergische Kultur wird nicht mehr sein als geistlose Tanzlieder, ein paar Gerichte in den Tavernen Eurer Städte.« Er seufzte so schwer und tief, als würden ihn alle Lebensgeister verlassen.

»Nun, ganz so düster müsst Ihr es nicht sehen«, beschwichtigte ihn Olowain, doch er klang kühl. »Noch ist Gondurill bekannt für seine Künstler. Nach wie vor kann sich niemand mit den Schmieden Gondurills messen. Eure Klingen sind legendär. Daran wird sich so schnell nichts ändern.« Er drehte die Daumen. »Der Grund, warum Gondurill nicht mehr die Hauptstadt der Zwerge ist, scheint mir, mit Verlaub, eher zu sein, dass eine gewisse Weltoffenheit fehlt. Nicht nur, dass wir Menschen uns mit den Dimensionen Eurer Häuser und Straßen sehr schwer tun, ihr erlaubt auch keinen Handel hier unten. Wenn Ihr daran etwas ändern würdet, wer weiß – wir könnten etwas aushandeln, eine neue Ader direkt von Aradon bis zu Euren Toren, magische Vertretung und Beratung ...«

Verdrießlich legte der König die Fäuste auf die Armlehnen. »Mir ist durchaus bewusst, worauf Gondurill verzichtet, indem es die zwergische Kultur zu wahren versucht. Aber danke für das großzügige Angebot.« Er atmete tief durch. »Ich erzähle Euch von unserer Situation, damit Ihr seht, dass auch meine Anschauung der Dinge durch Persönliches getrübt wird. Ich bin weise genug, um meine eigenen Vorurteile zu erkennen. Doch auch wenn ich alle Gefühle beiseitelasse, halte ich immer noch an dieser einen Meinung fest: Magie, mit all ihrer Bequemlichkeit, hat unsere Welt weder friedlicher gemacht noch irgendwen glücklicher. Ihr Magier habt den Leuten Macht in die Hände gelegt, eine überwältigende, trügerische Macht für einen fatalen Preis! Unsere Fehler sind dieselben wie vor Jahrhunderten, nur ihre Folgen werden immer verhängnisvoller. Es gab eine Zeit, da wurde ein Kampf mit Fäusten entschieden. Und nun seht, wo der sogenannte Fortschritt der Magie uns hingeführt hat: Ein Dämon, vielleicht mehrere Dämonen, zieht durch die Welt und vernichtet Dörfer, rottet ganze Familien aus.«