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»Woher?«, murmelte sie, aber dann erinnerte sie sich, dass Nova schließlich ein Experte in Herzensangelegenheiten war. Und Mercurin war eine Herzensangelegenheit, verdammt, das war er. Sie war zu schwach, um es jetzt zu leugnen.

Ja, ich habe an ihn gedacht, und ich weiß nicht, ob er der Dämon ist, denn ... er könnte es sein, aber ich kann es nicht, ich will es nicht glauben. Er heißt Mercurin. Er ist ein Junge, und er kann Magie wirken wie kein anderer. Er hat mir das Leben gerettet. Wie könnte er ein Mörder sein, wenn er mir das Leben gerettet hat?

Hel biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste nicht, ob sie die Worte ausgesprochen hatte oder nicht. Sie bekam Angst. Hatte sie Nova alles verraten? Wenn sie sich doch nur erinnern könnte! Aber vielleicht erinnerte auch er sich nicht daran ... Sie spürte, dass sie seine Hand hielt, und sie drückten sich fest, und sie brauchten keine Worte.

Wie merkwürdig, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der Nova jemand ganz anderes für sie gewesen war. In einer dämmrigen Vergangenheit hatte ihr Herz geklopft bei dem Gedanken an ihn, und sie hatte sich davor gefürchtet, ihm bei den Treffen der Liga zu begegnen. Und sie hatte ihn so wenig leiden können ...

Irgendwann verließen sie den Gasthof. Hel erinnerte sich erst daran, wie sie aufgestanden war, als sie bereits durch die Gassen gingen und Harlem sie zum Palast zurückführte. Der Weg durch die Zwergenstadt kam ihr ins Bewusstsein, als sie bereits die Treppen zum Balkon erklommen hatten. Und sie dachte an die nadelgroßen Lichter der Häuser unter ihnen, als sie bereits auf eine Strohmatte sank, die Gefährten an ihrer Seite, zwischen den schlafenden Flüchtlingen. Der Geruch von Medizin und Baumwolle verflocht sich mit dem Geschmack des Pfeifenrauchs, der noch immer auf ihrer Zunge lag, und alles wirbelte hinab in ihre Träume.

Im Dunkel

Jahre schienen im Schlaf verflogen zu sein, als Olowain sie sanft an der Schulter rüttelte.

»Wacht auf«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Wir reisen weiter.«

»Wir reisen weiter?«, wiederholte Hel verwirrt. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, geschweige denn, was Olowain meinte. Träge wie Rauchschwaden zog der Schlaf auf, um sie in die Wirklichkeit zu entlassen. Die anderen Gefährten schienen ebenso durcheinander zu sein wie Hel. Nur Harlem war bereits auf den Beinen und wartete geduldig neben Olowain. Kummer härtete ihr Gesicht. Fern erinnerte Hel sich, dass Harlem letzte Nacht gegangen und erst spät wiedergekommen war. Hel musste nicht nachfragen, um zu wissen, dass sie bei ihrer Familie gewesen war. Der Schmerz leuchtete durch ihre gefasste Miene – ein Schmerz, der nicht darauf drängte, ausgesprochen zu werden, sondern im Stillen versinken wollte.

»Packt eure Sachen, Freunde«, sagte Olowain. »Der König wartet, um uns zu verabschieden.«

»Wohin geht es denn?«, nuschelte Nova und wollte sich das Auge reiben, verpasste sich stattdessen aber selbst einen Kinnhaken. Hel war froh, dass nicht nur sie benebelt war.

Olowain umfasste seinen Stab. »Nach Naruhl natürlich. Wir nehmen einen Tunnel durch die Gebirge Richtung Westen.«

Hel blickte verdutzt zu ihm auf. Dann sah sie sich nach den anderen um, doch nur Nova reagierte wie sie. Kelda zog sich den Umhang über, als hätte er nicht gehört, was Olowain gesagt hatte. Die Söldner tauschten flüchtige Blicke, blieben aber stumm.

»Aber ... ich dachte, wir suchen einen Dämon«, sagte Hel. Sie sah Olowain fest in die Augen. »Ihr glaubt doch nicht, dass die Leute hier gelogen haben?«

Olowain sah sie ruhig an. Dann deutete er zum Flur hinaus. »Naruhl war unser Ziel und bleibt es. Auf mit euch.«

Hel erhob sich und blieb vor Olowain stehen. Sie konnte es nicht verstehen. Es war doch nun klar, dass die Isen unschuldig waren. Es gab Zeugen. Hätte eine Rebellenanführerin die Macht besessen, Lebewesen ihr Licht zu rauben, hätte sie doch nicht wahllos Dörfer ausgerottet, sondern die Magierschaft gezielt angegriffen. Olowain musste das doch auch erkennen.

Aber Kelda hatte recht ... sie waren nicht von der Magierschaft ausgesandt worden, um die Wahrheit aufzudecken. Sie waren auf der Suche nach einem greifbaren Feind. Einem Feind, der zu schwach war, sich zu verteidigen oder seine Unschuld zu beweisen.

Die Erkenntnis war so bitter, dass Hel die Fingernägel in ihre Handflächen grub. »Aber wir wissen jetzt, dass ein Dämon hinter den Überfällen steckt. Es gibt keinen Grund, nach Naruhl zu gehen. Wir sollten versuchen, den Dämon zu finden.«

»Wir reisen nach Naruhl«, wiederholte Olowain leise, endgültig.

Niemand widersprach mehr. Kelda stand auf und ging los; Olowain und Harlem folgten. Nova zupfte Hel am Ärmel und bedeutete ihr, mitzukommen.

Vor einem dunklen Durchgang in den Gewölben erwartete sie der König mit seinen Männern. Er und Olowain nickten sich ernst zu.

»Der Tunnel führt drei Tagesreisen weit nach Westen. Der Fels ist schon so lange tot wie die Wände von Gondurill – ihr habt nichts zu befürchten. Ihr werdet in den Gebirgen herauskommen, fernab aller Adern. Dann seid ihr auf eure Feenlichter angewiesen.« Er deutete eine Verneigung an, ohne den Blick zu senken. »Möget ihr Naruhl finden. Möget ihr Naruhl überleben, wenn ihr dem Dämon dort begegnet.«

Hel schielte zu Olowain hinüber. Offenbar hatte er dem König verschwiegen, dass nicht der Dämon, sondern die isischen Rebellen in Naruhl waren. Würde Moradin sie den Tunnel benutzen lassen, wenn er wusste, dass es in Wahrheit um die Isen ging? Hel biss die Zähne zusammen. Sie war kurz davor, es ihm zu sagen. Ihr Herz klopfte.

»Ich bin Euch zu tiefstem Dank verpflichtet, Hoheit«, sagte Olowain, doch der König schüttelte den Kopf.

»Ich trage meinen Teil dazu bei, den Frieden zu erhalten. Das ist kein Gefallen, sondern eine Pflicht, die wir alle haben.« Es klang wie ein Befehl. Ein Lächeln zuckte über Olowains Gesicht. Dann ließ er seinen Stab aufleuchten. Die Zwerge traten zur Seite und gaben den Weg frei.

»Viel Glück«, sagte der König von Gondurill. Hel schluckte trocken. Dann ballte sie die Fäuste und folgte den anderen ins tiefe Dunkel des Tunnels.

Der Gang zog sich auf verschlungenen Wegen durch die Berge. Manchmal ging es für Stunden bergauf, und sie erklommen Stufen, die halb in den Fels gemeißelt und halb einer Laune der Natur entsprungen zu sein schienen. Schluchten zogen vorüber, die sich in bodenloser Schwärze verloren. Sie überquerten Brücken, kaum fußbreit. Vorsichtig machte Hel einen Schritt nach dem anderen. Ihr Kopf fühlte sich von letzter Nacht noch wie mit Watte ausgestopft und eine ungreifbare Verwirrung färbte alle Gedanken. Sie wusste nicht, wo ihre Erinnerung endete und die Träume begannen.

Nach einer Weile machten sie Rast, und Olowain öffnete ein Proviantpaket, das der König ihnen mitgegeben hatte. Sie aßen faustgroße dunkle Knollen mit einer knirschenden Schale und einem weichen, leicht süßen Inneren. Sie schmeckten nicht so schlecht, wie Hel befürchtet hatte. Nur das nussähnliche Trockengemüse, das Olowain dazu verteilte, war völlig ungenießbar, jedenfalls für menschliche Gaumen.

Während sie aßen, beobachtete sie Nova aus den Augenwinkeln. Er ließ sich nicht anmerken, was letzte Nacht zwischen ihnen vorgefallen war. Etwas in Hel begann zu flattern. Was war denn vorgefallen? Sie erinnerte sich, neben ihm gelegen zu haben, und sie hatten gesprochen ... über Mercurin. Oder hatte sie das nur geträumt? Sie hatte eine Menge geträumt. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, Nova sehr nahe gewesen zu sein, so als wären sie Arm in Arm eingeschlafen und hätten sich große Geheimnisse anvertraut. Sie betete, dass das alles nicht passiert war. Oder wenigstens ... dass er sich nicht an mehr erinnerte als sie. Als er ihren Blick bemerkte, verschluckte sie sich so sehr, dass Olowain ihr den Wasserschlauch geben musste. Sie trank in schnellen Zügen.