»Am besten ein paar Kröten für den Meister«, murmelte Berano.
»In Gondurill scheinen sie ihm ja gut geschmeckt zu haben«, erwiderte Caiden.
Olowain räusperte sich laut. »Ihr seid unsichtbar, meine Herren! Das heißt nicht, dass man euch nicht hören kann!«
Kichernd wie Jungen liefen die Söldner davon.
Währenddessen begannen die anderen Gefährten, Zweige für ein Feuer zu suchen. Harlem summte ein zwergisches Lied. Nova pikste Hel mit einem Zweig in den Arm. Sie schlug ihm mit einem Zweig auf den Hintern. Lachend wich er aus, und eine Weile duellierten sie sich ohne Rücksicht auf verletzliche Körperstellen, bis Hel über eine Wurzel stolperte und ihr das ganze Holz aus den Armen fiel. Ernst strich sie sich ihre Tunika glatt und sammelte alles wieder ein.
»Trottel!«, sagte sie zu Nova, weil ihr nichts anderes einfiel.
»Tollpatsch«, gab er unvermittelt zurück. Dann begannen sie, Schimpfwörter auszutauschen, bis sie so viel Feuerholz hatten, dass man damit einen Scheiterhaufen hätte bauen können, und ihnen die Beleidigungen ausgegangen waren. Rot vor Lachen schleppten sie sich zu Olowain und Harlem zurück, die bereits ein kleines Feuer entfacht hatten. Mit gerunzelter Stirn betrachteten sie den riesigen Berg aus Zweigen, den Hel und Nova neben ihnen ablegten.
»Würstchen«, sagte Hel, von Olowains Anblick neu inspiriert.
»Warzenweib«, sagte Nova.
»Schluss jetzt«, sagte Harlem.
Es dauerte nicht lange, bis die Söldner – inzwischen wieder vollkommen sichtbar – zurückkehrten. Sie hatten eine Gans erlegt und Hel spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Hoffentlich hatten sie die Gans schnell und schmerzlos getötet.
Kelda übernahm die Zubereitung. Als die Gans über den Flammen briet, ließ der Duft ihre Mägen knurren, und bald sprachen sie nur noch über ihre Lieblingsspeisen. Harlem sorgte dabei für einiges Gelächter, und ihre Runde wurde so fröhlich, dass Hel fast vergaß, wieso sie hier waren. Es war lange her, dass sie einen so unbeschwerten Abend erlebt hatte. Die Erinnerung an Gharra und die Sturmjäger pochte in ihr, aber zum ersten Mal machte es sie nicht traurig.
Als die Gans fertig war, brachte Harlem zur Überraschung aller einen kleinen Beutel Salz zum Vorschein – echtes Salz aus den Minen von Gondurill. Damit wurde ihr Mahl zu einem kleinen Festessen. Sie konnten gerade noch verhindern, dass Harlem zwergisches Sauergewürz dazugab.
Erscheinungen und Stimmen
Er hatte seit zwei Tagen nichts gegessen. Seine Stiefel hatten Löcher und er konnte vor Kälte nicht mehr als zwei Stunden am Stück schlafen. Er zitterte schon seit so langer Zeit, es war erbärmlich.
Die Ader, jegliche menschliche Zivilisation lagen längst hinter ihm. Alles, was Karat sehen konnte, waren Berge. Berge, die geneigten Häupter der Welt, schlummernd in Daunendecken aus Nebel. Noch immer folgte er der Spur des Dämons, die nur noch selten unterbrochen war, und wenn, dann nur über kurze Strecken. Er verlor sie nicht mehr so oft und hatte das Gefühl, ihm immer näher zu kommen. Nichts konnte ihn aufhalten. Solange er dem toten Pfad folgte, musste er auch das Lebendige Land nicht fürchten. Der Dämon hinterließ ihm einen sicheren Weg.
Einmal fand er ein totes Kaninchen, das in der Mitte aufgerissen war. Karat untersuchte den Kadaver. Es gab keine Spuren von Zähnen oder Krallen. Die Wunde, die längs durch den Körper ging, stammte von einer Klinge. Das Blut leuchtete noch hellrot, es war nicht lange tot. Der Dämon war vor Kurzem hier gewesen. Karats Herz hämmerte vor Aufregung. Er aß die Reste des Kaninchens. Roh, so wie der Dämon es gegessen haben musste.
Bald. Bald werde ich mich über dich beugen, dein Blut an meinen Händen. Oder umgekehrt.
Oder umgekehrt.
Die Wälder hatten sich verändert. Karat konnte nicht sagen, woran es lag – vielleicht an der Luft, oder dem Licht, oder der Stille. Diese Stille, als würde die Welt den Atem anhalten. Aber es war mehr als alles andere ein Gefühl. Kalter Schweiß benetzte seine Stirn, er fühlte sich verfolgt und wachte mit fernen Stimmen auf, die aus dem Nebel zu ihm flüsterten. Er hatte wahrscheinlich Fieber.
Trotzdem beobachtete er Dinge, die sich nicht durch Fieber erklären ließen. Zum Beispiel, dass die Bäume reglos blieben, obwohl der Wind an seinen Kleidern zerrte. Oder dass er Schritte im Moos neben sich hörte, wenn gar kein Moos den Boden bedeckte.
Etwas stimmte nicht. Auch wenn er ihm keinen Namen geben konnte.
Dann sah er ihn.
Es war ein eisiger Morgen. Die Luft war so trocken und dünn, dass sie in den Lungen kratzte. Karats Atem war Dampf; ihm war, als würde er nach und nach seine ganze Lebenskraft aushauchen. Erschöpft taumelte er den Spuren nach, durch verdorrtes Unterholz und an grauen Bäumen vorüber, an denen nicht einmal Frost geblieben war. Er fühlte sich immer noch fiebrig. Die Umgebung verwischte vor seinen Augen und die Erinnerungen überkamen ihn wie ein Schauder ...
Sybahl, in einer fernen, warmen Welt ... flimmernde Wüste. Ihre Haut, so weich, mit den schrecklichen Narben auf dem Rücken und der sanften Vertiefung ihres Bauches ... Verflucht, wenn er das alles nur überlebte, um sie noch einmal zu berühren!
Er biss die Zähne zusammen. Er bildete sich nicht ein, dass er sie liebte. Er hatte zu viel von der Welt gesehen und zu tief in sich selbst geblickt, um lieben zu können. Aber in diesem Moment gab er sich gerne der Vorstellung hin, dass Sybahl mehr war als eine Kurtisane in Har’punaptra, mehr als erkaufte Zärtlichkeit.
Die Nebel zogen auf. Dann erklang ein Schrei. Verdutzt blieb er stehen, nicht sicher, ob seine Sinne ihn getäuscht hatten. Dann folgte eine ganze Kaskade kreischender Stimmen. Ihr Echo hallte durch die Gebirge wie ein Gewitter.
Karat ging schneller. Er schlitterte einen Hang hinab. Tote Pflanzen zerstoben unter seinen Füßen zu farbloser Asche.
Plötzlich traf ihn etwas vor die Brust wie ein Hammerschlag. Keuchend stürzte er vornüber.
Benommen vor Schmerz blieb er liegen, das Gesicht im gefrorenen Gras, und konnte sich nicht bewegen. Ihm war, als würde etwas die Haut von seinem Fleisch ziehen – sein ganzer Körper war eine offene Wunde, alles stürzte aus ihm heraus -
Bilder fielen durch seinen Kopf, übergossen von Funken aus Schmerz. Der Boden begann zu dampfen. In wenigen Herzschlägen vertrocknete das Gras, knisternd wie Stroh im Feuer -
Dann war es vorbei. Karat japste nach Luft. Es fühlte sich an wie der erste Atemzug seines Lebens. Erst jetzt fand er die Kraft, den Kopf zu heben. Durch Tränen, Dunst und Dreck sah er eine Gestalt, die unter den hohen Bäumen zusammensackte. Ringsum lagen Körper. Ein Vogel fiel aus den Ästen wie ein Sack, gefolgt von losen Blättern. Irgendwo erklang ein panisches Wiehern. Nicht weit von Karat war ein Pferd zu Boden gestürzt und kämpfte sich nun wieder auf die Beine. Ein isischer Reiter glitt aus dem Sattel und wurde noch ein Stück am Steigbügel mitgezogen, ehe sein Fuß herausglitt und der Mann reglos im alten Laub liegen blieb. Hinkend trabte das Pferd in Karats Richtung. Es war die langsamste Flucht, die er je gesehen hatte. Doch das Pferd interessierte ihn nicht.
Gebannt starrte er die Gestalt an, die zwischen den Toten und Halbtoten kniete. Ein Umhang verbarg sie völlig. Nur eine Hand war zu sehen, die sich bebend auf der Erde abstützte. Die Finger gruben sich in welkendes Moos. Der Dämon. Er war es. Karat konnte vor Schreck und Freude nicht atmen.
Zitternd kroch der Dämon über den Waldboden. Er kroch auf einen Reiter zu – ebenfalls ein Ise -, der halb unter seinem Pferd begraben war, aber noch lebte. Er versuchte freizukommen, doch zu spät. Der Dämon erreichte ihn und presste eine schlanke weiße Hand auf seinen Rücken. Der Ise hörte auf, sich zu bewegen.
Langsam, mit gebeugtem Rücken, wühlte der Dämon in der Satteltasche des Toten. Als er einen halben Brotlaib fand, stopfte er sich alles auf einmal unter die Kapuze, verschlang das Brot gierig wie ein ausgehungertes Tier.