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Karat begann, vor Angst zu zittern. Er hatte den Dämon beim Töten gesehen. Aber nichts war so erschreckend wie der Anblick der verhüllten Gestalt, die das Brot in drei Bissen zerriss und fraß. Nur schwer konnte er die Panik zurückkämpfen.

Dann erhob sich der Dämon. Karat wollte wegkriechen, doch die Furcht lähmte ihn. Der Dämon aber stand mit dem Rücken zu ihm und sah ihn nicht. Wie schwebend setzte er sich in Bewegung. Karat blinzelte. Der Dämon bewegte sich schneller als ein Mensch. Seine Gestalt schien in der Luft zu flimmern. Innerhalb von Sekunden war er in der Dunkelheit des Waldes abgetaucht, schneller, als das Leben ringsum welken konnte.

In der Dunkelheit sprachen die Bäume zu Karat. Ja, sie wussten von dem Dämon. Sie hatten ihn ebenfalls gesehen und sahen ihn noch, wie er irgendwo dort draußen durch die Nacht glitt wie ein Hai durch schwarze Gewässer. Karat erinnerte sich daran, wie er als Kind auf den Inseln von Haien geträumt hatte, furchtbare Albträume. Der alte Mann im Dorf hatte nur noch ein Bein, seit ein Hai ihn angegriffen hatte. Die Kinder fürchteten sich vor ihm und seinen Geschichten.

Aber wie ... hatte er den Hai überlebt? Hatte er ihn getötet?

Zwischen Vergangenheit und Fieber glitten Schatten an Karat vorüber. Er wusste nicht, was sie waren, dachte aber auch nicht über mögliche Antworten nach. Zitterndes Mondlicht fiel durch die schwankenden Tannen und verebbte wieder, wie Finger, die nach ihm greifen wollten und ihn nie fanden. Fingerkinder im Uferwasser.

Du musst ... ich muss ... ihn töten.

Wie sollte er den Dämon nur töten? Er musste an ihn herankommen, wenn er so schwach war wie vorhin. Er war also doch schwach. Er war auch schwach. Er musste essen wie ein Mensch. Aber die Schmerzen! Es hatte so wehgetan, in seine Nähe zu kommen.

Du könntest ... ich könnte ihn töten.

Wenn er nur nahe genug herankam. In der Dunkelheit umfasste er den Griff seines Araidann. Er schloss sie Augen und betete, wie er seit seiner Kindheit nicht mehr gebetet hatte. Doch er rief nicht die Geister von Wind und Meer an, nicht den Gott der Fische und die Göttin der Sonne – diese Götter waren tote Märchen. Er rief die Stimmen des Waldes an, die mit ihm sprachen. Mochten sie ihn führen. Mochten sie sein Schwert führen, wenn der Augenblick gekommen war.

Ich könnte ... ja, wir könnten ...

Geister

Sie brachen früh morgens auf und verzehrten den Rest des Abendessens auf dem Weg. Olowain hatte ganz offensichtlich keine Ahnung, wo Naruhl lag, und führte sie einfach westlich bergab; immer wieder sah er sich um, als wollte er die Bäume um Rat fragen, oder warf Hel hoffnungsvolle Blicke zu. Aber ihr fiel mit der zweiten Sicht nichts auf. Die Wälder waren kaum lebendig. Tief unter der Erde glommen dünne Adern Lirium, doch nur selten reichten sie bis an die Oberfläche, um Bäche, Felsen oder Pflanzen mit Magie zu füllen. Selbst wenn Naruhl ganz nahe war – oder ein ausgerottetes Dorf -, würde es nicht leicht zu erkennen sein. Hel musste aufmerksam bleiben.

Den ganzen Tag wanderten sie durch die Gebirge. Die Sonne blieb ein ferner Fleck hinter Zweigen, Berggipfeln und Wolken. Wenn der Umhang von Hels Arm rutschte, spürte sie, wie kühl es war. Als die Nacht anbrach, gefror ihr Atem in der Luft.

Wie gestern benutzten die Söldner Novas Taschentuch, bevor sie auf Jagd gingen. Hel erspähte Tiere mit der zweiten Sicht, die bei einem Bach in der Nähe tranken, und wies den Söldnern den Weg. Es dauerte nicht lange, bis sie mit einem erlegten Reh wiederkehrten.

Nova runzelte die Stirn. »Wird das nicht schlecht? Ich meine, so viel können wir doch nicht essen ...«

»Es ist kalt. Da hält sich das Fleisch«, erwiderte Kelda und begann, das Reh mit seinem Messer zu zerteilen. »Außerdem sind wir zu neunt. Es wird schnell gegessen sein.«

Das abendliche Mahl verlief stiller und weniger fröhlich als gestern. Der lange Tagesmarsch hatte sie erschöpft. Vor allem aber bedrückte sie, dass sie nicht wussten, ob sie auf dem richtigen Weg waren. Es war gut möglich, dass sie heute nur weiter von Naruhl weggelaufen waren, ohne es zu ahnen.

»Lasst uns morgen einen Ort suchen, wo man einen guten Blick auf das Land ringsum hat«, murmelte Hel. »Dann sehe ich vielleicht was ...«

Olowain nickte gedankenverloren. Dann räusperte er sich. »Ja. Das ist eine sehr gute Idee. Morgen.«

Als sie in der Dunkelheit lagen, konnte Hel keinen Schlaf finden. Ohne dass ein besonderer Gedanke sie wachhielt, starrte sie in die Nacht.

Dann hörte sie Nova neben sich die Nase hochziehen. »Nova?«, flüsterte sie.

Er drehte den Kopf. »Hm?«

»Bist du wach?«

»Hmhm. Du?« Er klang eher, als wäre er schon halb eingedöst.

Sie schob sich die Hände unter das Gesicht. »Die Isen stecken nicht hinter den abgestürzten Schiffen. Und auch nicht hinter den ausgelöschten Dörfern.«

Er drehte sich ganz zu ihr um. Sie hörte, wie er die Zunge vom Gaumen löste und schluckte. »Das glaube ich auch nicht.«

»Warum?«, flüsterte sie.

Er zuckte die Schultern. »Ich hab so ein Gefühl ... Außerdem haben die Isen ein Ziel, nämlich Rebellion oder Krieg gegen die Magierschaft oder was weiß ich. Wenn sie die Macht hätten, so viel Zerstörung anzurichten, würden sie ganz andere Sachen machen. Sachen, die ihnen mehr nützen.«

Hel schloss die Augen. »Eben ...«

Eine Weile schwiegen sie. Trotzdem wusste Hel, dass er nicht einschlief.

»Ich habe überlegt«, sagte sie dann so leise, dass sie sich selbst kaum hörte, »ob, wenn ich Naruhl sehen sollte ... ob ich dann nicht einfach ...«

»Ich weiß«, wisperte er.

Sie atmete zitternd aus. »Wenn es die isische Rebellenanführerin gibt, ist sie denn wirklich ... ich meine, vielleicht ist sie gar keine Mörderin.«

Er seufzte leise, ohne zu antworten. Auch sie sagte nichts mehr. Sie dachten dasselbe.

Am nächsten Tag setzten sie ihren Weg fort, bis sie einen Felsvorsprung erreichten, der sich über die Klippen beugte. In alle Richtungen erstreckten sich die Gebirge, ein Meer aus Schatten und Formen. Hel drehte sich im Kreis und suchte das Land ab. Die Gesandten ließen sich nieder, um zu rasten.

»Die Wrauden würden uns hier nicht finden, oder?«, fragte Harlem. »Wir wären schneller mit ihnen.«

»Wir finden uns immer. Aber ich kann sie nicht rufen«, sagte Kelda. Olowain runzelte die Stirn, sodass Kelda fortfuhr: »Es gibt keine Straße, die sie zu uns führt. Es wäre zu gefährlich für die Wrauden. Ich rufe sie nicht ins Lebendige Land, schließlich tragen sie keine Feenlichter wie wir.«

»Hm. Verstehe«, sagte Olowain, doch es klang nicht, als würde er verstehen. Er hielt Keldas Sorge um die Wrauden, die schließlich nur Tiere waren, wohl für eine isische Eigenart.

Hel deutete ins Land hinab. »Da hinten ist kaum Leben. Es wäre möglich, dass Naruhl in dieser Richtung liegt.«

Olowain erhob sich und trat neben sie. »Wo? Im Süden?«

»Dort. Bei den zwei Gipfeln.«

»Südosten. Bist du sicher?«

Hel schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich würde es zuerst dort versuchen.«

Olowain sah mit verkniffenem Mund hinab. Dann nahm er seinen Stab fester und reckte sich. »Nun denn. Dann ist das unsere Richtung.«

Die Wälder schienen dunkler zu werden, je tiefer sie stiegen. Mächtige Klippen ragten über ihnen auf und schluckten das Tageslicht. Auch die Stille wurde immer dichter. Das gelegentliche Vogelrufen blieb bald aus und kein Wind bewegte die Zweige. Irgendetwas behagte Hel hier nicht, auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass es nur die allgemeine Stimmung und Orientierungslosigkeit waren. Aber das erklärte nicht, warum sie sich immer wieder umdrehen wollte, als wäre etwas hinter ihnen. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, beobachtet zu werden. Als wären die Tannen Gestalten in schwarzen Mänteln.