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Stimmen waberten durch seinen Kopf. Blasse Gestalten schwebten durch die Dunkelheit. Karat wusste, dass er sie kannte ... sie hatten ihn schon lange begleitet, jeden seiner Schritte verfolgt. Seit er die Wälder betreten hatte, waren sie seine stillen Gefährten.

Er hat das dunkle Herz ... Du hast das dunkle Herz in dir ... in ihm ist das dunkle Herz. In mir.

Karat wollte fragen, wer sie waren. Und woher sie wussten, was er nicht wusste. Doch die Worte fielen ihm nicht ein. Er fand nicht einmal seine Stimme.

Lachen plätscherte durch die Dunkelheit, das von weit her kam, aus den Wolken.

Wir sind die, die immer waren ... immer sein werden. Wir sind die, die wissen ... wir speisen die Früchte aller Bäume. Du kannst uns glauben, Sohn der Inseln ... glaube uns.

Er spürte das Pochen in sich wie Ebbe und Flut. Es schwoll an, sank tiefer, sank ... Es war nicht Teil von ihm. Es war etwas Fremdes, das sich mit tausend tastenden Fingern in ihm vergrub.

Vier gibt es ... es gibt vier. Du musst sie finden, Sohn der Inseln. Sie müssen sich alle finden. Sie müssen sich verbinden ... vereint in einem Herzen ...

Warum, dachte er. Bilder von Sybahl durchzogen ihn. Bilder von einer fernen Kindheit unter Pinien, an einem kleinen Strand zwischen Felsen. All diese Bilder fragten, warum.

Das Lachen streichelte und kitzelte seine Ohren.

Die Antwort auf das Warum, Sohn der Inseln, ist immer dieselbe. Die Antwort... ist Wüste...

»Sohn der Inseln«, murmelte eine Stimme. »Halte durch.«

Er war an einem warmen, trockenen Ort. Weiche Felle umgaben ihn und es roch nach Holz. Ein Feuer knisterte. Träge öffnete Karat die Augen.

Er befand sich in einem runden Raum mit Marmorwänden. Die Decke war gewölbt und überzogen mit geheimnisvollen, halb verwitterten Reliefs. In der Mitte befand sich ein Loch. Darunter brannte ein Altarfeuer. Blasser Rauch floh nach oben. Ein Holzscheit brach und Funken stoben auf.

Karat schloss die Augen wieder. Er wusste, dass er sich nicht bewegen konnte; ein vager Schmerz in Schulter und Brust mahnte ihn, ruhig liegen zu bleiben. Ohne es zu merken, schlief er ein.

Als er erwachte, erklangen Schritte. Jemand kam eine gewundene Treppe hinab. Das Feuer war zur Glut niedergebrannt, sodass Karat nur den Umriss der Gestalt erkennen konnte. Sie war nicht sehr groß, aber kräftig gebaut, trug einen Waffenrock und ein Araidann. Kornfarbenes Haar fiel auf die Schulterpanzer wie eine Mähne.

Neben dem Altar blieb sie stehen, eine Hand am Griff des kostbaren Isenschwertes. »Bist du wach?«

Es war eine Frauenstimme, und sie sprach Isisch, mit dem kantigen Dialekt der Lagunen, die am weitesten im Meer draußen lagen. Ohne auf eine Antwort zu warten, zog sie ein paar Holzscheite unter dem Altar hervor und entfachte das Feuer wieder. Das Licht wurde immer stärker und Karat konnte die Frau allmählich erkennen. Sie hatte Arme und Beine wie ein Mann. Ihre Hände waren breit wie Pranken. Doch das Gesicht hatte trotz der markanten Kinnlinie etwas eindeutig Weibliches. Vielleicht lag es an den vollen, weich geschwungenen Lippen. Oder an den Katzenaugen. Ihre Wimpern warfen Schatten über die Wangen wie Tränenspuren. Als die Flammen wieder loderten, wandte sie sich Karat zu und erwiderte seinen Blick. Wie alt sie wohl sein mochte? Sie gehörte zu jenen zeitlosen Wesen, deren Anmut ihre Jahre völlig überstrahlt. Er hätte sie ebenso leicht auf Anfang zwanzig wie vierzig schätzen können.

»Wie geht es dir, Sohn?«, fragte sie.

»Gut. Besser«, antwortete Karat, noch bevor er sich über die ungewöhnliche Anrede wundern konnte. »Wo bin ich?«

Sie trat um die Feuerstelle herum und stand ihm offen gegenüber, hingegossen wie eine Statue. »Weißt du das denn nicht?«

Er sammelte die Feuchtigkeit in seinem Mund und räusperte sich. Ein drohender Stich fuhr ihm durch die Schulter. Dabei bemerkte er, dass er einen Verband trug. »Wer bist du?«, fragte er.

Er wusste nicht, ob er sich ihr Lächeln nur einbildete. Vielleicht täuschte ihn der unruhige Feuerschein. Sie trat direkt neben ihn. Ihre Hand kam auf dem Kopfkissen neben ihm zum Liegen. Er spürte Wärme, fast Hitze davon ausstrahlen.

»Weißt du das nicht?«, wiederholte sie leiser. Blinzelnd starrte er zu ihr auf. Sie nickte. Dann begann sie, eine Melodie zu summen, ein Lied, das so tief in Karats Herz versunken war wie verlorene Briefe im Meer.

Und wenn die Wolken ziehen,

zähl sie – eins, zwei, drei.

Und wenn die Möwen fliegen,

sei gewiss, alles geht einmal vorbei!

Und wenn Jungen Männer werden,

dann sind die Mädchen Frauen.

Zähl sie – eins, zwei, drei,

wem wirst du deine Hütte bauen?

Vergiss nicht, alles geht einmal vorbei!

Und alles kommt alsbald zurück,

wem wird das Herz schon schwer?

Mit Flut und Ebbe tanzt das Glück

und ewig wiegt uns Mutter Meer ...

Karat starrte sie an. Nachdem sie die Worte gesungen hatte, summte sie noch eine Weile die Melodie, bis sie sanft irgendwo hinter verschlossenen Lippen erstarb.

»Du ... Mutter Meer«, sagte Karat. Die Bemerkung kam ihm reichlich dümmlich vor. »Wie hast du mich gefunden?«

Sie runzelte die Stirn. »Aber du hast mich gefunden, mein Sohn.« Sie hielt kurz inne. »Ich kenne deine Geschichte. Ich kenne die Geschichte aller meiner Kinder, Brüder, Schwestern, Väter und Mütter. Du bist einer von den Verlorenen gewesen. Nicht wahr? Sie haben dich aus der Hütte deiner Eltern gerissen und in die Nacht gejagt. Du bist lange durch ihr Dunkel geirrt. Und doch hast du nie vergessen, dass es irgendwo ein Licht geben muss. Jetzt hast du es gefunden.« Ihre Hand berührte seine Stirn. Sie war warm und trocken, voller Schwielen vom Kämpfen mit dem Schwert. »Wir sind in Naruhl. Du wirst unsere Familie kennenlernen. Doch ruhe aus, so lange du willst. Nach der langen Verirrung, was sind schon ein paar Nächte?« Ihre Hand glitt fort und sie wandte sich zum Gehen.

»Ich bin nicht wegen dir hier.«

Sie blieb stehen. Langsam drehte sie sich zu ihm um, ihre Miene zeigte weder Überraschung noch Enttäuschung.

»Ich habe nicht geglaubt, dass es dich gibt. Und ich wusste nichts von eurem Versteck. Trotzdem danke, dass ihr mich gerettet habt.« Er schloss die Augen. »Ich werde schlafen, und wenn ich aufwache, gehe ich.«

Er hörte, wie sie näher trat. Dann wartete sie, bis er die Augen wieder aufschlug.

»Was hat dich hergeführt?«

»Ein Dämon«, erwiderte er ruhig.

Ein Zucken ging durch ihr Gesicht. »Meinst du den einen Dämon? Bist du ein Kopfgeldjäger? Für die Magierschaft?«

Er sah ihr in die Augen. Sie waren hellblau, so wie die Lagunen. »Ich bin für niemanden irgendwas. Ich bin nur für mich selbst.«

»Für das Geld, meinst du.«

»Andere Worte, die dasselbe beschreiben.«

Sie nickte. Er beobachtete sie aufmerksam, doch ihr Blick blieb unverändert; er war nicht ein Grad kühler geworden. »Dann hat der Dämon dich so zugerichtet?« Er musste nicht antworten. »Wie hast du ihn überlebt?«

»Ich habe ihn erschlagen.«

»Dann kannst du dir deine Belohnung von der Magierschaft abholen«, sagte sie ohne Bitterkeit. »Gib nur acht. Die Menschen neigen seit Neuestem dazu, unsereins wie Vieh abzuschlachten.« Sie trat ein paar Schritte zurück. »Ruhe dich aus, so lange du willst. Gehe, wann du willst. Oder bleibe.«