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Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum.

Nach ein paar Stunden kam ein junger Mann und brachte Karat Wasser und eine Fleischbrühe. Karat beobachtete, wie er alles neben ihm abstellte und schweigend wieder ging. Als er alleine war, stillte Karat seinen Durst und Hunger. Dann öffnete er vorsichtig den Verband um seine Schulter. Er fluchte.

Wie er befürchtet hatte: Es war eine offene Wunde. Das Fleisch war geschwollen und dunkel angelaufen. Seufzend schloss er die Augen und überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis das heilte. So würde er gewiss nicht aufbrechen, um allein durch die Wildnis zu reisen. Konnte er so lange bei den Rebellen bleiben, ohne zwangsläufig ihre Bekehrungsversuche ertragen zu müssen?

Mutter Meer ... er musste schmunzeln. Er fragte sich, wie viele Gruppen von Isen sich inzwischen um eine Anführerin geschart hatten, die behauptete, die sehnlich erwartete Retterin zu sein. Aber ein Versteck so weit draußen im Niemandsland – das machte sie schon zu etwas Besonderem. Ein wenig mystischer als die Räuberbanden, die sich in den Kanalisationen der großen Städte herumtrieben und auf Marktplätzen für Krawall sorgten.

Er fragte sich, wie viele ›Söhne‹ die gute Mutter hatte. Vielleicht eine Handvoll. Bestimmt waren es arme Burschen, die aus irgendwelchen Dörfern vertrieben worden waren und sich nun mit Heugabeln für den Umsturz der Magierschaft vorbereiteten.

Schmerzlich erinnerte Karat sich an sein Araidann. Verloren, auf so unwürdige Weise ... er hatte sich das Schwert mit seinem ersten Geld gekauft. Mit all den dreckigen, blutverkrusteten Münzen, die er über Jahre hinweg auf Schlachtfeldern und in überfallenen Dörfern gesammelt hatte, verwahrt in einem geheimen Beutel in seiner Hose. Mit dem Schwert hatte er sich die Freiheit verschafft, ein Söldner zu werden, einer, der nur für sich selbst kämpfte. Das Araidann hatte ihm stets treue Dienste erwiesen, war ein Teil von ihm geworden, so unentbehrlich wie ein Arm. Die Vorstellung, dass es nun irgendwo im Dickicht lag, um in Laub und Moos zu versinken, war unerträglich. Karat öffnete die Augen, starrte in seine Handfläche und ballte langsam die Faust.

Er würde den zweiten Dämon stellen und töten. Was ihm einmal gelungen war, würde ihm wieder gelingen. Vielleicht erfuhr er dabei auch, was die Dämonen vorhatten. Schließlich wusste er jetzt, dass sie keine göttlichen Wesen ohne Verstand waren. Sie hatten sich aus einem bestimmten Grund bekämpft. Und der Junge hatte ihn gefragt, wer er war, als er das Mädchen erschlagen hatte. Er war berechnend, also musste auch er selbst berechenbar sein. Karat musste nur herausfinden, was er beabsichtigte.

Später kam ein anderer Krieger zu ihm. Er hatte bereits ergraute Haare, war aber sehnig und beweglich wie ein Schilfrohr und glitt lautlos in den Raum. Mit einem Lächeln stellte er Karat eine Pfeife und Rauchkraut vor das Bett.

»Ihr versucht wirklich, mein Herz zu erobern, was?«, meinte Karat trocken.

Der Krieger erwiderte nichts, lächelte nur und ging.

Als der Rauch seine Lungen füllte, fühlte Karat sich schon viel besser. Der Schmerz in seiner Schulter glitt in den Hintergrund. Nachdenklich lag er auf dem Rücken und beschloss, die Dauer seiner Heilung wie einen erholsamen Schlaf zu verbringen. Er konnte sich gedulden. Und der Dämon würde auf ihn warten. Da war er sicher. Er hatte ihn nicht nur verfolgt, um sich dafür zu rächen, dass er das Mädchen getötet hatte. Karat wusste, wie jemand rannte, den Rache trieb. Nein, der Dämon hatte ihn durch den Wald verfolgt wie jemand, der etwas Wichtiges zurückhaben will.

Karat blies gelbe Wölkchen gegen die Decke des Raumes. Was hatte er, was der Dämon wollte?

Er inhalierte tief, spürte, wie seine Brust sich hob. Zögernd tastete er nach der Stelle, wo sein Herzschlag war.

Karat schlief ein, erwachte und schlief wieder, bis erneut Besuch kam. Diesmal war es Mutter Meer in Begleitung von einer älteren Frau und einem hünenhaften Krieger, dessen Augen Karat fixierten. Zwei zwergische Äxte baumelten an seinem Waffengürtel. Die Frau trug lederne Taschen.

»Das sind Hyrab und Saion. Hyrab ist unsere Heilerin. Sie wird deine Wunde ansehen.«

Karat erwiderte Saions kalten Blick eine Weile, dann sah er zu Mutter Meer auf. »Danke.«

»Wie ist dein Name?«, verlangte Saion.

»Karat«, sagte er langsam.

»Schakal? Dann warst du wohl auch ein Kinderkrieger. Ein Jammer, dass du den Namen behalten hast, den dir deine Herren gegeben haben.« Zu seiner Verwunderung deutete Saion eine Verneigung an. Offenbar, dachte Karat höhnisch, hatte Mutter Meer ihrem Sohn Manieren beigebracht.

Hyrab packte ihre Taschen aus und bereitete eine Schüssel mit Wasser und Tüchern vor. Dann nahm sie ihm den Verband ab.

Verdutzt hielt sie inne. Die alte Heilerin starrte ihn an, dann drehte sie sich zu Mutter Meer um. Diese zog kaum merklich die Brauen hoch. Ihre klaren Augen richteten sich auf Karat.

Er sah an sich hinab – und keuchte. Die Wunde war geschlossen. Dunkle Adern standen hervor, die Haut war geschwollen – doch der offene Riss war verschwunden. Zitternd fuhr er mit dem Finger über die Verletzung. Heller Schmerz durchschoss ihn.

»Wer bist du?«, hauchte Mutter Meer.

Karat wagte nicht aufzublicken. Erstarrt wie ein Kind ließ er die Stille über sich ergehen.

Mutter Meer bot ihm an, ein Bad zu nehmen. Draußen, erklärte sie, als sie bereits die Treppe emporstiegen, gab es heiße Quellen, aus denen Heilwasser sprudelte. Karat fühlte sich unbehaglich zwischen ihr und Saion, der dicht hinter ihm ging. Er war unbewaffnet und schwach auf den Beinen – ein Zustand, in dem er niemanden in seiner Nähe haben wollte. Schon gar keinen Hünen mit Streitäxten, der ihm offensichtlich misstraute. Doch für ein Bad, ein echtes heißes Bad, verließ er sein Lager gerne. Es war lange her, dass er sich hatte waschen können, und er wollte den Angstschweiß der vergangenen Tage endlich loswerden.

Als sie ins graue Tageslicht traten, verschlug es ihm die Sprache.

Er hatte ein Zeltlager erwartet. Höchstens ein geplündertes Dörfchen. Doch rings um sie erhoben sich majestätische Gebäude aus weißem Stein, in einer Bauart, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Schlanke Säulen stützten Dächer in komplizierten Formen. Es sah aus wie ein Garten voller riesiger weißer Blüten. Dass Farn, Efeu und Moos alle freien Flächen bewucherten, konnte den Bauwerken ihre Anmut nicht nehmen.

»Was ... was ist das für ein Ort hier?«, murmelte Karat.

Mutter Meer sah ihn forschend an. »Naruhl. Die erste menschliche Siedlung der Welt. Die Wiege ihrer Zivilisation. Wir fanden es sehr passend, dass auch ihr Ende von hier kommen sollte.«

»Wieso haben sie den Ort dann verlassen?«

Mutter Meer betrachtete die kunstvollen Türme und Terrassen unter den Bäumen und schien zu seufzen. »Es spukt, sagt man. Nein, es ist so. Der Ort ist verflucht. Böses lauert in den alten Fluren und Hallen ...«

»Und dann versteckt ihr euch ausgerechnet hier?«

Sie sah ihn ernst an. »Wir kennen das Böse. Wir haben es alle erlebt. Wenn die Furcht verloren ist, bleibt nur die Vorsicht.« Sie deutete in eine Richtung. »Komm.«

Sie führte ihn durch dichtes Unterholz und über schmale Trampelpfade zwischen Felsen. Karat bemerkte, dass die Bauten alle unbeschädigt waren. Hier und da waren riesige alte Bäume auf die Dächer gestürzt, doch kein einziger Riss war im weißen Stein zu erkennen. Während alles ringsum Verfall und Vergangenheit atmete, standen die Türme wie ewige Säulen dazwischen, erhaben über die sterblichen Dinge, die sich an sie klammerten. Karat fragte sich, wie die Menschen diese Kunst vergessen haben konnten, wenn sie doch offenbar einmal dazu fähig gewesen waren. Er hätte nie gedacht, dass Entwicklung mit der Zeit zurück statt vorwärts gehen könnte ... das war doch widersprüchlich.