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»Ganz meine Meinung!«, sagte Hel.

»Aber ... es ist meine Mähne«, sagte Nova mit leisem Stolz. Sein Vater lachte auf und drückte ihn an sich.

»Wo ist Meisterin Medeah?«, fragte Nova dann. »Verabschiedet sie uns nicht?«

Nachdenklich sah Kapitän Nord ihn an. »Deine Mutter ist eine außergewöhnliche Frau. Und sie liebt dich. Daran darfst du nie zweifeln.«

Nova lächelte. Er wusste, dass sein Vater nicht nur zu ihm, sondern auch zu sich selbst gesprochen hatte, und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich weiß, Papa ...«

Die Taube hob ab. Der Hof von Moia blieb rasch unter ihnen zurück und dann war nichts mehr zu sehen außer Nebel und Meer.

Hel dachte fast schon, sie hätten Olowain in Moia vergessen, denn nichts deutete darauf hin, dass er an Bord war. Erst am Nachmittag, als es zu regnen begann und das Schiff in starken Böen schwankte, kam er an Deck getaumelt und schlug die Tür zum Steuerraum auf. Ein kompliziert wirkendes Gestell aus Leselicht und Vergrößerungsgläsern saß ihm auf der Nase und verwandelte seine Augen in leuchtende Spiegeleier.

»Könnt Ihr nicht ruhiger fliegen?«, rief er. »Ich muss mich konzentrieren!«

»Verzeiht vielmals, Meister«, rief Kapitän Nord zurück. »Wenn ich könnte, würde ich das Wetter für Euch schelten und ihm befehlen, sich zu beruhigen!«

Grunzend brauste Olowain wieder davon.

Kapitän Nord warf den Gefährten, die am Tisch Karten spielten, einen amüsierten Blick zu. »Ich würde ihm einen wunderhübschen Regenbogen zaubern ... ehrlich.«

Nach dem Abendessen wurde das Wetter immer schlechter. Es begann zu donnern. Mächtige Wassermassen stürzten aus dem Himmel. Weil niemand länger draußen bleiben wollte als eine Stunde, wechselten sie sich die ganze Nacht mit der Trollaufsicht und dem Steuerrad ab. Hel schlief nicht. Aber sie war noch erholt genug von der vorherigen Nacht. Als sie nach ihrer letzten Schicht bei den Trollen von einer anderen Sturmjägerin abgelöst wurde, ging sie nicht gleich unter Deck, sondern lief noch ein wenig über das dunkle Schiff. Der Regen peitschte gegen die Bretter. Blitze zuckten im tiefen Schwarz. Hel atmete durch und streckte dem Regen das Gesicht entgegen. Die Kälte, der Krach, der Wind, alles war irgendwie befreiend, so wie damals, als sie auf den Wrauden geritten waren. Vielleicht weil es Hel von dem ablenkte, was in ihr vorging – auch wenn da eigentlich nur Stille war. Aber sie wollte nicht über sich nachdenken. Sie wollte an gar nichts denken. Sie schloss die Hände um die Reling, fühlte das nasse Holz. Stumm und mit geschlossenen Augen stand sie im Regen, bis sie zu zittern begann.

Ein violettes Licht irrte auf sie zu. Hel blinzelte sich Regentropfen von den Wimpern. Seit sie die Gebirge verlassen hatten, war ihr immer wieder aufgefallen, dass Tix ihnen folgte. Er hatte sich aber nie bemerkbar gemacht. Wobei Hel ihre rechte Hand darauf verwettet hätte, dass er nachts in ihre Beutel gekrochen war und versucht hatte, Lirium zu stibitzen.

Nun schwirrte er ihr vor die Nase und begann, um ihren Kopf zu kreisen. Hel beachtete ihn nicht.

»Jemand zu Hause?«, zirpte er. Als sie nicht antwortete, flog er langsamer. »Oi. Jetzt ist es passiert. Sie ist komplett durch den Wind.«

Hel seufzte. »Hast du mir eine Ohrfeige auszurichten?«

»Nein. Willst du eine?«

»Dann lass mich in Ruhe, bitte.«

Er blieb vor ihr schweben und wrang sich die langen Ohren wie Waschlappen aus. »Für ein kleines Fressen.«

»Ich habe nichts.«

»Dann werde ich bei dir bleiben.« Als sie wieder nichts erwiderte, ließ er alle Glieder herabbaumeln. »He, hörst du mich noch? Pausbäckchen! Proppelklops. Du ... du ... Augensalat! Ein-Augen-Hel!«

Sie blinzelte ihn an. »Du kennst ja meinen Namen.« Sie lächelte verwundert. Das Licht des Pixies wurde blass. Sie trat zurück und ging.

»Wohin läufst du? Beleidigt, he? Holst du mir was zum Futtern? Holst du mir was? Hel? Hel! Heeeel!«

»Gute Nacht, Tix.« Sie winkte ihm, ehe sie unter Deck stieg und die Tür schloss.

Nass, wie sie war, ließ sie sich auf ihre Pritsche sinken. Nach einem langen Atemzug war sie eingeschlafen.

Ihre Kleider und Haare waren noch feucht, als sie erwachte. Draußen war ein grauer, nieselnder Tag angebrochen. Hel schlich zu Novas Zimmer und klopfte an. Als niemand antwortete, öffnete sie leise. Nova war nicht da. Hel schloss die Tür hinter sich und nahm sich eine trockene, einigermaßen saubere Tunika aus seinen Schubladen. Weil keine seiner Hosen ihr passte, musste sie sich mit langen Wollstrümpfen zufriedengeben. Aber die Tunika fiel ihr sowieso fast bis zu den Knien, also war ihr warm genug. Darüber zog sie Arus’ Weste, die sie bist jetzt in ihrer Kammer aufbewahrt hatte, und band alles mit ihrem Gürtel fest.

Als sie in den Speiseraum kam, verteilte Nova gerade Rührei an die Besatzung. Alle wirkten übernächtigt, nur Kapitän Nord sah frisch und munter aus. Der Aufenthalt in Moia schien ihm gutgetan zu haben. Oder hatte wenigstens seine Trinkfreude gemäßigt. Jedenfalls war seine gute Laune unerschütterlich und sie war ansteckend. Hel entging nicht, dass Nova wie ausgewechselt war, seit sein Vater seine Lebensfreude wiedergefunden hatte. Vielleicht war Nova bis jetzt selbst nicht bewusst gewesen, wie sehr ihn der Zustand seines Vaters belastet hatte. Seit sie wieder vereint waren, betrachtete er ihn mit so viel zärtlicher Sorge, als wäre Nova der Vater und Neremias der Sohn, der nach einer langen Krankheit wieder genesen ist.

»Morgen«, sagte Hel.

»Rührei?«, fragte Nova. Sie ließ sich ihr Frühstück geben und nahm einen herzhaften Bissen. Wie herrlich, endlich wieder richtiges Essen zu haben. Die Einzige, die sich nicht recht darüber freuen konnte, war Harlem. Während sie in ihren vor Honig triefenden Eiern stocherte, konnte sie nur schwer verbergen, dass sie sich nach ihren geliebten Knollen sehnte. Aber ihre Vorräte waren offenbar erschöpft.

Gerade als Hel bemerkte, dass jemand fehlte, seufzte Kapitän Nord: »Unser Ehrengast verschläft die besten Rühreier, die je ein Sturmjäger gemacht hat. Hoffentlich hat der schwungvolle Flug Meister Olowain nicht zu arg zugesetzt.« Er schob sich Rührei und Brot in den Mund. »Hoffentlich hat er sich nicht auf die gute Tapete erbrochen.«

»Ich glaube nicht, dass er schläft«, sagte Hel, um Olowain ein wenig zu verteidigen. »Er ist sehr damit beschäftigt, etwas herauszufinden. Bestimmt ist er wach und über seinen Büchern.«

»So?« Nord blickte neugierig zwischen ihr und Nova und den anderen Gesandten hin und her. »Was gibt es denn in Erfahrung zu bringen?«

»Das sind echt leckere Rühreier«, mampfte Hel. »Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst.«

Nova zwinkerte sie durch seine Gabel hindurch an. »Ein Junge mit vielen Talenten!«

»Also bewahrt Meister Olowain Bücher in seinem magischen Schrank auf, hm?«, fragte Kapitän Nord.

Hel stand überhastet auf und belud den leeren Teller mit Eiern, Fladenbrot und Speck. »Ich glaube, ich bringe Meister Olowain Frühstück. Er hat bestimmt vergessen, dass er etwas essen muss. Nova, kannst du die Milch tragen?« Sie drückte ihm den Krug in die Hand und ging voran.

Als sie im Flur waren, raunte sie: »So, nun leg die Karten auf den Tisch, Pienova Nord. Hast du deinen Vater in alles eingeweiht?«

»Nein«, entgegnete er erstaunt. »Ich schwöre es, nein.« Er trank einen Schluck von Olowains Milch und legte die Stirn in Falten. »Aber er weiß ziemlich genau über alles Bescheid. Meisterin Medeah hat keine Geheimnisse vor ihm. Außerdem bin ich sein Sohn, er würde nicht ruhen, bis er weiß, was ich treibe.«

Hel war für einen Moment sprachlos. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass eine Frau wie Medeah Geheimnisse der Magierschaft preisgeben würde. Doch schließlich hatte Nova recht: Neremias Nord würde nicht locker lassen, bis er wusste, in welchen Abenteuern sein Sohn steckte. Und Medeah liebte ihn wirklich, auf ihre Art. Selbst das Herz einer so nüchternen, berechnenden Frau wie Medeah war, wenn es für jemanden schlug, stärker als ein Schwur vor der Magierschaft. Liebe stand schlichtweg über alldem.