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Kelda stützte vorsichtig seinen verbundenen Arm auf den Tisch. Bis jetzt war er immer abseits der Runde geblieben, und Hel kannte ihn inzwischen gut genug, um der kleinen Geste eine größere Bedeutung beizumessen. »Zu wissen, dass Euer Wissen begrenzt ist, Meister Olowain, ist bereits eine Menge«, sagte er leise und senkte den Blick.

Olowain schmunzelte, um zu verbergen, wie überrascht er über die Bemerkung war.

Dann fragte Heclass="underline" »Was denken denn die Isen, wo die Welt aufhört?«

»Mit dem Meer natürlich«, erwiderte Kelda prompt. »Das Meer ist überall und umschließt alles. Die Länder sind nur Inseln darin. Denn die Welt, die wir sehen, ist immer das Spiegelbild unseres eigenen Lebens. Und für die meisten von uns ist das Leben nichts als der Moment im Jetzt und die ferne Sicht auf vergangene Momente, verstreut wie Inseln im Meer der Zeit. Wenn du weißt, was jenseits der Momente liegt, aus denen dein Leben besteht, dann weißt du auch, was hinter den Grenzen der Welt liegt.«

Alle sahen ihn stumm an. Kelda nahm seinen Tee und trank.

Eines Morgens stießen die Türme von Aradon aus den Nebeln. Sie entdeckten die gigantischen schwarzen Felsbauten erst so spät, dass Kapitän Nord eine scharfe Kurve fliegen und die Türme einmal umrunden musste. Nieselregen machte die Anlegestelle glitschig, und alle Sturmjäger waren durchnässt, als sie das Schiff gelandet hatten. Nur die Gefährten, die die magischen Umhänge trugen, blieben trocken.

Ihre Ankunft war bereits per Eilige Feder angekündigt worden, sodass Palairon, der Vorsitzende der Magierschaft, und seine engsten Berater im Eingang warteten. Nach der förmlichen Begrüßung wurden die Sturmjäger in ihr Quartier gebracht, die Gefährten aber bezogen ein Stockwerk höher ihre Zimmer. Es schien Hel, dass die Einrichtung prächtiger war; das Abendessen, das auf einer glänzenden Tafel für sie bereitstand, war ganz sicher erlesener als das der Sturmjäger. Mehrere Diener warteten, um die Glocken von den Tellern zu heben, und dann wurde ein Gang nach dem anderen serviert, als hätte ein übereifriger Koch jedes ihm bekannte Gericht zubereiten wollen.

Palairon und die Magier aßen mit ihnen. Die Tischgespräche blieben oberflächlich, es wurde nichts von Totenlichtern gesagt, obwohl Palairons Blick zwischen den Gefährten hin und her huschte wie Pfeile und er ganz offensichtlich darauf wartete, sich endlich offen mit Olowain zu unterhalten.

Nach dem Mahl forderte er sie auf, sich auszuruhen. Obwohl keiner besonders müde war, erkannten sie in der höflichen Geste den Befehl und nahmen an. Während die Gesandten sich in ihre jeweiligen Zimmer zurückzogen, folgte er den anderen Magierin in den Westturm.

Nach wenigen Minuten verließen Hel und Nova ihre Zimmer, um die Sturmjäger zu begrüßen. In der Speisehalle wurden sie lautstark begrüßt und so viel in den Arm genommen und gedrückt, dass Hel danach fast Bauchschmerzen hatte. Sie mussten zugeben, dass sie sich nicht die ganze Zeit in Moia aufgehalten hatten wie die anderen Sturmjäger, fügten aber hinzu, dass sie nicht mehr verraten durften. Natürlich gab sich damit keiner zufrieden. Selbst als die Sturmjäger erzählten, wie sie in den vergangenen Wochen fast an Langeweile gestorben waren – was zu sinnlosen Streitigkeiten mit den Magiern und Liebeleien innerhalb der Liga geführt hatte -, versuchten sie noch, Nova und Hel Informationen zu entlocken. Schließlich wurden die beiden der Ausfragerei so müde, dass sie sich in einen kleineren Raum zurückzogen. Seufzend, aber mit einem Lächeln sanken sie vor dem Kamin in die Sessel. Eine Weile schwiegen sie und blickten nur ins Feuer.

»Ich frage mich, was die Magierschaft nun beschließt ... und wo es dann hingeht«, murmelte Hel irgendwann.

Nova blickte auf ihre Hand, die auf der Armlehne neben ihm ruhte. »Du weißt, dass ich in der Sache nicht von deiner Seite weiche.«

»Nicht, solange Aricaa hinter dir her ist, ich weiß.«

Er grunzte. »Du hast einfach keinen Sinn für Romantik.«

»Du liest zu viele Gedichte.«

»Du solltest vielleicht mehr lesen.«

»Von dir? Du willst bloß mein Herz erobern. Bemüh dich nicht, ich nehme kein Gedicht von dir an.«

Er fuhr in gespielter Aufregung hoch. »Das heißt – insgeheim weißt du, dass ich dich rumkriegen könnte, und um dich zu schützen, bleibst du mir fern!«

Sie verdrehte die Augen. Er ließ sich lächelnd wieder zurücksinken und tat so, als werfe er einen Krümel nach ihr. »He, Hel.«

»Hm?«

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sie konnte ihm ansehen, dass er wieder ernst wurde. »Als ... als der Dämon dich in der Wüste gefunden hat ...«

Sie sah ihn ausdruckslos an, doch ihre Muskeln verkrampften sich. Sie hoffte, dass er es nicht bemerkte.

Er zögerte. »Ach, nichts.« Dann stand er auf und fuhr sich durch die Haare. »Ich bin müde. Außerdem stinke ich wie ein alter Wäschesack.«

»Ich auch«, murmelte Hel und erhob sich ebenfalls. Sie gingen auf ihre Zimmer. Als sie einem Diener über den Weg liefen, baten sie ihn, sich waschen zu dürfen. Der Mann zeigte ihnen, dass es hier ein ausziehbares Bad in jedem Zimmer gab: Staunend beobachteten sie, wie er ein Rädchen voll Lirium drehte und heißes Seifenwasser aus einer Öffnung in die Wanne strömte. Dabei begann irgendwo ein kleines Glockenlied zu spielen. Solcher Luxus war normalerweise Magiern oder dem Adel vorbehalten.

Als die Wanne voll war und der Diener gegangen, ließ Hel sich ins heiße Wasser gleiten. Sie blieb so lange in dem schaumigen Bad liegen, bis ihre Haut schrumpelte. Dann schlüpfte sie in die frischen Bettkleider und verkroch sich unter den Decken.

Ein aufgeregtes Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Als sie sich aufrichtete, kam Nova mit einem Haufen Sturmjäger herein.

»Die Magier machen eine öffentliche Verkündung!«, rief Nova. »Komm, alle versammeln sich im Westturm. Beeil dich!«

Hastig klaubte Hel ein paar Kleidungsstücke zusammen und warf sie über. Die Sturmjäger waren bereits weitergelaufen, nur Nova stand noch im Gang. Als sie die Tür schloss und gehen wollte, machte er keine Anstalten mitzukommen. Sie sah ihn fragend an.

»Ich kann nicht«, murmelte er gequält.

»Wieso?«

»Alle sind da ... auch sie

Hel seufzte. »Du weißt, sie wird so oder so rausfinden, dass wir zurück sind, oder? Du kannst nicht für immer vor Aricaa weglaufen. Und es gibt auch keinen Grund. Sie wird dir nicht den Kopf abreißen.«

Er sah sie düster an.

»Gut. Wie du meinst«, sagte sie.

»Aber du erzählst mir alles, was passiert, ja?«, rief er ihr nach. »Und Hel? Wenn du sie siehst ... kannst du mir sagen, wie es ihr geht?«

Sie nickte. Dann lief sie die breiten Wendeltreppen hinab und schloss sich den Sturmjägern an, die zum Westturm aufbrachen. Die Wolken jagten über die Brücke hinweg und rissen hier und da auf, sodass der Sonnenuntergang hindurchblutete wie eine frische Wunde. Die Welt lag in einem unnatürlichen Glanz aus schmuddeligem Rot und Blau. Hel hatte lange nicht mehr einen so zornigen Abendhimmel gesehen.

Als sie den Westturm erreichten, erspähten sie bereits eine Menschenansammlung in einer offenen Halle. Säulen stützten die Decke, dazwischen heulte der Wind. Magier in Roben tummelten sich auf dem Parkett, aber auch Schüler, die in Trauben beieinanderstanden. Die jüngsten trugen blassgelbe und weiße Gewänder, die älteren dunkelgrüne, blaue und rote. Die Jäger der Liga wirkten dazwischen wie braune Flecken in einer Kiste voller Naschwerk.

Getuschel lag in der Luft. Hel fand Kapitän Nord und die Sturmjäger der Taube und blieb bei ihnen. Dass Nova nicht dabei war, schien niemanden zu überraschen.

Hel hielt nach Aricaa Ausschau. Nach einer Weile entdeckte sie die junge Magierin bei den Schülern in den gelben Roben. Ihr weißes Haar war zu zwei imposanten Zwiebeltürmen aufgesteckt, und obwohl sie weit weg stand, hätte Hel schwören können, dass sie Wangenrot und Lippenfarbe aufgetragen hatte. Andere Schüler schwatzten mit ihr, doch Hel entging nicht, dass Aricaas Blick immer wieder durch die Menge schweifte und an den Sturmjägern hängen blieb. Unbemerkt schob sich Hel hinter Kapitän Nord. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte, wenn ihre Blicke sich trafen. Besser, sie sah sie nicht.