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Sie schwiegen. Palairon sah jeden einzeln an. »Hat noch jemand Fragen?«

Harlem legte die Arme auf die Lehnen und sagte ruhig: »Ja, ich. Geht es hier um die Isen oder um das Alte Reich?«

»Ich wüsste zwar nicht, welchen Unterschied die Antwort machen würde, aber: Es geht um beide. Der Ise hat etwas, was weder den Rebellen noch dem Alten Reich in die Hände fallen darf.«

Die Verwirrung auf den Gesichtern der Gefährten verblasste ein wenig. Nun war nicht mehr schwer zu erraten, dass es um die magischen Waffen ging, die Palairon bei der Bekanntmachung erwähnt hatte.

»Und soll ich ihn nun statt Mutter Meer töten?«, fragte Harlem.

Hel lief ein Schauder über den Rücken, als die Zwergin so gelassen fragte, doch Palairon zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Das müssen wir noch entscheiden. Meister Olowain hat noch einige Nachforschungen in der Bibliothek anzustellen. Wie lange wird das schätzungsweise dauern?«

Olowain legte die Stirn in Falten. »Nun, das liegt daran, wie aufschlussreich die Bücher sind, an die ich denke. Wenn sie die nötigen Antworten nicht liefern, werde ich Bücher finden müssen, von deren Existenz ich nicht weiß oder deren Existenz mir entfallen ist ...« Auf einen warnenden Blick Palairons hin schluckte Olowain und verstummte. »Eine Woche. Höchstens zwei. Dann weiß ich, was es zu wissen gibt.«

»Fein«, sagte Palairon. »Dann wird Meister Olowain euch über alles Weitere aufklären. Bereitet euch bis dahin auf die Mission vor.«

Mit einem Nicken entließ er sie.

Ein Ziel

Er heilte schneller, als irgendjemand für möglich gehalten hätte. Der offene Schulterbruch machte sich regelrecht rückgängig. Innerhalb von zwei Wochen war die Wunde zugewachsen, nur die Stiche und ein paar schwarze Blutergüsse blieben zurück.

»Warst du schon immer so?«, fragte Mutter Meer, als sie mit Hyrab kam, die ihm die Fäden ziehen sollte. Mit zusammengebissenen Zähnen sah er zu Mutter Meer auf. Zu Oyara. Er hatte sie noch nicht beim Namen genannt, aber er hatte gehört, wie andere sie damit ansprachen. War sie aber abwesend, nannten alle sie respektvoll Mutter Meer.

Er schüttelte knapp den Kopf.

»Wie erklärst du dir deine außergewöhnlichen Heilungskräfte?« Oyaras Blick war so durchdringend, dass er gar nicht anders konnte, als darüber nachzudenken. Schließlich sagte er: »Vielleicht sind die Verletzungen, die der Dämon zufügt, nur von kurzer Dauer. Immerhin benutzt er Magie, vielleicht schwinden die Schäden ebenso schnell, wie die Magie schwindet.« Karat schniefte. Er war nicht gut darin, Erklärungen zu finden. Sie interessierten ihn auch nicht – was zählte, waren Tatsachen. Dass er jetzt gesund war und weitermachen konnte, wo er zuletzt aufgehört hatte, das zählte. Er hätte es gerne Mutter Meer ins Gesicht gesagt. Doch er merkte, dass sie sich nicht so leicht zufriedengeben würde. Für sie war es eine Notwendigkeit, alles zu verstehen.

Nachdenklich verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein aufs andere und hakte den Daumen im breiten Ledergurt ein, der über ihrer Schulter hing und das Schwert am Rücken hielt. »Vermutlich wirst du in ein paar Tagen vollkommen genesen sein. Weißt du schon, was du dann vorhast?«

Karat zuckte zusammen, als Hyrab ein langes Stück Faden zog. Er antwortete nicht. Doch dann sah er zu Mutter Meer auf, hielt ihrem Blick stand und holte langsam Luft. »Ich werde nicht mit euch in den Krieg ziehen.«

»Das habe ich nicht gefragt«, erwiderte sie ruhig. Doch in ihren Augen blitzte ein Lächeln; nun hatte er verraten, dass er darüber nachgedacht hatte. Sie hatte wirklich ein Talent, Oyara – man fühlte sich in ihrer Gegenwart wie ein Kind, durchschaut und hilflos auf ihre Barmherzigkeit angewiesen. Er konnte verstehen, wie manche in ihr die große Retterin sahen. Keine hätte Mutter Meer besser spielen können als sie.

Sie drehte sich halb um. »Komm nachher in meine Räume. Ich will dir etwas geben, bevor du gehst.«

Karat wusste, dass er es nicht haben wollte, was auch immer es war. Aber er konnte es nicht sagen, sonst hätte er sich eine noch größere Blöße gegeben. Also erwiderte er nur: »Bis dann.«

Er hatte vorgehabt, sich ein wenig Zeit zu lassen, Mutter Meers Befehl nachzukommen – vielleicht erst kurz vor dem Abendessen zu erscheinen, damit sie nicht so lange alleine waren -, doch als Hyrab mit den Fäden fertig war, packte sie ihre Sachen zusammen und blieb vor ihm stehen. Offenbar erwartete sie, dass sie zusammen in das Gebäude hinübergingen, in dem Mutter Meer schlief.

Karat blieb nichts anderes übrig, als mitzukommen. Er nahm seine Schulter als Vorwand, besonders langsam zu gehen, und blieb auf jeder Stufe stehen. Hyrab, die alt war, erduldete es mit einem nachsichtigen Lächeln. Karat fragte sich, ob die Heilerin ahnte, dass er ihr etwas vorspielte ... er beschleunigte seinen Schritt kaum merklich.

Oyaras private Räume lagen nicht weit von der großen Halle entfernt, in der die Rebellen gemeinsam zu Abend aßen und die meiste Zeit des Tages verbrachten. Es gab keine Schlösser oder Riegel; jeder konnte zu ihr, wenn er wollte. In den Vorzimmern bedeckten Felle und Sitzmatten den Boden – und Waffen und Bücher. Karat war schon öfter hier gewesen, die Räume waren nie leer. Auch jetzt saßen mehrere Isen allein oder zusammen im Licht, das durch die Deckenrisse drang, und lasen. Gelegentlich kam jemand herein, um Schwerter, Stäbe oder Schilder zu holen oder zurückzubringen. Das Klappern und Rufen der Kämpfenden, die draußen übten, drang verschwommen zu ihnen herein.

»Karat, Hyrab.«

Sie drehten sich um. Hinter Vorhängen aus vertrocknetem Efeu erhob sich Mutter Meer. Sie verabschiedete sich von der Gruppe, mit der sie zusammengesessen hatte, und kam auf sie zu. Sie fasste Hyrab am Arm. »Siehst du nach Gonza? Er hat einen Schlag gegen den Rücken bekommen und klagt jetzt über Schmerzen, wenn er läuft.«

»Natürlich. Wo ist er?«

»Draußen bei den anderen.«

Hyrab nickte und machte kehrt. Dann bedeutete Oyara ihm, mit ihr mitzukommen. Sie führte ihn durch eine Tür in einen Raum, in dem er noch nicht gewesen war. Ein Schlaflager befand sich in einer Ecke neben einem runden Kamin, in dem vor Kurzem noch ein Feuer gebrannt haben musste. Frisches Holz lag daneben. Und noch mehr Bücher.

Karat fragte sich, wie oft Oyara hier schlief. Er hatte immer wieder gesehen, wie sie mit den anderen in der großen Halle eingeschlafen war, im sanften Wiegen der Trommeln und Gesänge. Sie hievte eine schwere Truhe auf und hielt sie mit einem Arm offen, während sie darin wühlte. Karat betrachtete die Sehnen und Muskeln, die sich unter ihrer Haut abzeichneten. Sie war vermutlich die stärkste Frau, die er je gesehen hatte. Er fragte sich, wer bei einem Zweikampf zwischen ihnen beiden gewinnen würde, und der Gedanke trieb ihm das Blut in die Wangen. Dann fand sie, was sie suchte.

»Komm zu mir, Karat«, befahl sie freundlich. Er trat neben sie. Sie nahm seinen Unterarm, drehte seine Handfläche nach oben und legte etwas hinein. Als er nachsehen wollte, hielt sie ihn fest – mit ihren Händen und ihren Augen. »Egal wo dein Weg dich noch hinführen mag. Das Schicksal hat uns für einen Moment zusammengebracht. In diesem Moment sind wir zwei auf derselben Insel im weiten Meer. Das heißt, wir sind dazu bestimmt, das Leben des anderen zu verändern.«

Er wusste nicht, was erwidern. Also konzentrierte er sich darauf, nur zu atmen. Schließlich ließ der Druck ihrer Hände nach. Er blickte hinab.

Sie hatte ihm eine Muschel gegeben. Sie war schneckenförmig und so leuchtend weiß wie ein Haifischzahn. Doch sie hatte eine merkwürdige Verformung; das Ende wuchs in einer Krümmung zur Mitte der Muschel zurück, sodass es keine Öffnung gab. Außerdem war sie ungewöhnlich schwer; als Karat sie in der Hand wog, merkte er, dass sie voller Sand sein musste. Wahrscheinlich war über Jahrhunderte hinweg Korn um Korn durch einen winzigen Spalt geschlüpft. Wenn man die Muschel bewegte, rasselte sie.