Выбрать главу

Er versuchte zu lächeln, aber irgendwie gelang es ihm nicht richtig. »Auch Karan hat sich diese Frage gestellt, beim ersten Mal. Und auch er hat keine Antwort gefunden.« Er machte ein weit ausholende Handbewegung.

»Dieser Bereich des Waldes ist sicher. Frag Karan nicht, warum es so ist. Es ist einfach so.«

Er log. Tally konnte nicht sagen wieso, aber sie wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß er log, im gleichen Moment, in dem sie die Worte hörte. Er log, oder zumindest verschwieg er ihr etwas, etwas Wichtiges.

Aber sie sprach nichts von alledem aus, sondern zwang sich zu einem neuerlichen, um Vergebung hei-schenden Lächeln. Dann deutete sie auf Karans Arm.

»Tut es sehr weh?«

»Ja«, sagte Karan. »Aber Schmerz bedeutet nichts. Er ist gut. Er sagt uns, daß wir leben.«

»Du solltest Hrhon nach deinem Arm sehen lassen«, sagte Tally. »Er versteht sich auf das Versorgen von Wunden.« Sie lächelte. »Mich hat er schon mehr als einmal zusammengeflickt.«

»Das ist nicht nötig.« Karan wich ein ganz kleines Stück von ihr zurück und legte die Hand auf den verletz-ten Arm. »Karan wird sterben, so oder so. Aber vorher wird er euch hier herausbringen.«

»Unsinn«, widersprach Tally gereizt. »Hör endlich auf, von nichts anderem als dem Tod zu reden, du alter Schwachkopf. Wir schaffen es schon.«

Sie fühlte sich hilflos. Ihre Gereiztheit war nicht echt, sondern nur Ausdruck der tiefen Betroffenheit, mit der sie Karans Worte erfüllte. Und er schien es zu spüren, denn als Antwort auf ihre scharfen Worte lächelte er plötzlich.

»Was schreckt dich so an dem Gedanken, sterben zu müssen?« fragte er. »Karan hat es immer gewußt. Er wußte, daß er den Tod finden würde, wenn er hierher zurückkehrt. Er ist dem Schlund einmal entwischt, aber niemand bekommt eine zweite Chance.«

»Hast du... dich deshalb geweigert, uns zu führen?«

fragte Tally.

Karan nickte. »Euch und andere, ja. Aber du mußt dir nichts vorwerfen - es ist gut, so wie es gekommen ist.«

»Was ist gut daran, zu sterben?«

»Manchmal ist es besser«, erwiderte Karan. »Du wirst Karans Worte verstehen, wenn du gelernt hast, den Schlund zu verstehen, Tally.

Du - «

Angella stieß einen erschrockenen Laut aus.

Tally fuhr herum, die linke Hand auf dem Schwert, die andere auf dem Griff des Lasers. Aber es gab nichts, wogegen sie die eine oder andere Waffe hätte ziehen können. Keines von all den Alptraummonstern, deren Bilder ihre überreizte Phantasie ihr in dem Sekundenbruchteil vorgaukelte, ehe sie sich zu Angella herumgedreht hatte, war wirklich da - das Mädchen mit dem Narbengesicht stand da, die rechte Hand ausgestreckt und auf den toten Drachen gerichtet. Ihre Lippen zitterten.

»Was ist los?« fragte Tally alarmiert. Angella reagierte nicht, sondern starrte weiter in die Tiefe. Ihre Augen waren unnatürlich weit und dunkel vor Furcht.

»Verdammt noch mal - was ist passiert?!« schrie Tally.

Wütend trat sie auf Angella zu und riß sie an der Schulter herum. »Rede!« befahl sie.

»Es... es war...« Angella atmete hörbar ein, streifte Tallys Hand ab und suchte Zuflucht in einem unsicheren Lächeln. »Für... für einen Moment dachte ich, ich hätte etwas gesehen« sagte sie.

»Etwas?« Tally hob zweifelnd die linke Augenbraue.

Wenn Angella vor Schrecken die Beherrschung verlor und aufschrie, dann hatte sie ganz entschieden mehr als etwas gesehen. »Zum Teufel, Angella - was hast du gesehen?« fragte sie scharf. »Was war es?«

»Ich... ich dachte, es wäre... Weller«, stammelte Angella.

»Weller?« Tally keuchte vor Unglauben. »Dort unten?«

Angella nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

»Ich muß mich getäuscht haben«, sagte sie, eine Spur zu hastig. »Ich... ich dachte, er wäre es, aber gleichzeitig war es...«

Sie brach ab, atmete hörbar ein und blickte unsicher an Tally vorbei nach unten. »Es war entsetzlich«, flüsterte sie. »Es war Weller, und gleichzeitig war es etwas...

etwas anderes.«

»Das ist unmöglich!« mischte sich Karan ein. »Vollkommen ausgeschlossen! Dort unten lebt nichts.«

»Woher willst du das wissen?« Tally fuhr herum und starrte Karan an. »Ich denke, du warst niemals dort?«

»Karan weiß es«, beharrte Karan. »Weller kann nicht mehr am Leben sein. Er wurde aus dem Gleiter geschleudert. Wenn ihn das Feuer des Drachen nicht getötet hat, so hat es der Sturz getan. Ihr seid Meilen von der Absturzstelle entfernt. Wie soll er hierherkommen? Er muß tot sein. Und wenn nicht, so wäre es besser für ihn, er wäre tot.«

»Jetzt reicht es«, sagte Tally, sehr leise, aber voller Wut. »Vielleicht habe ich mich geirrt, als ich dich vorhin in Schutz genommen habe. Gestern wußtest du noch, daß dort unten nichts lebt. Jetzt lebt er vielleicht, aber es wäre besser für ihn, er wäre tot!« Sie trat drohend auf Karan zu. »Welches Spiel spielst du mit uns, Karan? Was ist dort unten?«

»Der Tod«, sagte Karan. »Nicht der Tod, wie du oder Angella ihn kennen, Tally. Etwas, das tausendmal schlimmer ist.«

»Das reicht mir nicht«, sagte Tally. »Ich will jetzt eine klare Antwort von dir, Karan. Sag mir, was dort unten ist, oder ich schwöre dir, daß ich hinuntergehen und nachsehen werde. Und du wirst mich begleiten.«

»Niemals!«

Tally hob schweigend die Hand, und Hrhon trat mit einem raschen Schritt hinter Karan und legte eine seiner mächtigen Pranken auf seine Schultern.

»Niemals!« beharrte Karan. Seine Stimme zitterte, und sein Blick flackerte vor Angst. Aber es war nicht die Angst vor Hrhon, das begriff Tally plötzlich. Ganz gleich, was der Waga ihm antun mochte, es konnte nicht annä-

hernd so schlimm sein wie das, was dort unten auf sie lauerte.

»Hört auf!« sagte Angella plötzlich.

Tally starrte sie wütend an. »Misch dich nicht ein!«

sagte sie. »Ich - «

»Vielleicht wirfst du einmal einen Blick nach oben«, unterbrach sie Angella, »bevor du etwas sagst, was dir später leid tut.«

Tally starrte sie eine Sekunde lang verwirrt an, hob aber den Blick und sah in den kreisrunden Flecken blauen Himmels hinauf, der über dem Wald sichtbar geworden war.

Er war nicht mehr leer. Auf dem strahlenden Azurblau waren eine Anzahl weißer, wie hingetupft wirkender Wolken erschienen. Und darüber, sehr hoch darüber, aber nicht so hoch, daß sie nicht mehr sichtbar gewesen wären, kreisten drei gewaltige, nachtschwarze Drachen.

»Das... das ist doch unmöglich«, wisperte Tally. Der Anblick lähmte sie. »Das... das kann nicht sein... Sie können nicht wissen, daß wir hier sind!«

»Das wissen sie auch nicht«, sagte Angella nachdenklich. Sie deutete nach unten, auf den toten Drachen, und sie tat es, ohne hinabzusehen, wie Tally sehr wohl registrierte. »Sie suchen das da!«