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Doch im Augenblick beschäftigte ihn etwas anderes. So umgänglich Dr. Fell auf seine polternde Art auch war, so offen Inspektor Elliot sich gab, hatte er doch, wie ihm erst jetzt aufging, nicht das mindeste von ihnen erfahren. Sicher, beide würden weiterreden bis zum Jüngsten Tag. Aber wie sah es mit den eigentlichen Ermittlungen aus? Ein Fingerabdruck hier, eine Fußspur dort, Elliots Suche im Garten, ein Indiz, das in einen verschlossenen Umschlag kommt? Gewiß, vom Fund des Messers hatte er erfahren, doch auch das wohl nur deshalb, weil es unter den Umständen unvermeidbar war. Aber sonst – hatte er auch nur Vermutungen gehört? Aussagen waren aufgenommen worden; was war von diesen Aussagen nun zu halten?

Natürlich taten sie nur ihre Arbeit, aber trotzdem beunruhigte es ihn. Sie pflügten in einem Boden, von dem er gedacht hätte, er sei längst gründlich umstochen, und brachten neue Erkenntnisse zutage, so wie in Blenheim noch immer Totenschädel aus der Erde kamen, und man ahnte nichts, bis plötzlich der Schädel über den Tisch gerollt kam. Aber das war kein schönes Bild. Der gewaltige Rücken von Dr. Fell, der vor ihm ging, schien die ganze Breite des Ganges zu füllen.

»In welchem Zimmer ist sie?« fragte Elliot leise.

Molly wies auf die hintere der beiden Türen, gegenüber dem Zugang zum Dachboden. Elliot klopfte sanft an die Tür, doch aus dem Inneren drang ein unterdrückter Schrei.

»Betty«, flüsterte Madeline.

»Da drin?«

»Ja. Sie haben sie ins erste Schlafzimmer gebracht, das zur Hand war. Ihr Zustand«, fügte Madeline hinzu, »ist ernst.«

Was man sich darunter vorzustellen hatte, wurde Page erst allmählich klar. Dr. King öffnete die Zimmertür, warf einen Blick über die Schulter, schlüpfte hinaus auf den Gang und schloß sie leise hinter sich.

»Nein«, sagte er. »Sie können noch nicht zu ihr herein. Heute abend vielleicht; aber eher morgen oder erst übermorgen. Ich wünschte, die Beruhigungsmittel wirkten, aber sie schlagen nicht an.«

Elliot blickte ratlos und verwirrt drein. »Sicher, Doktor, aber es ist doch nicht – nicht …«

»Gefährlich, meinen Sie?« fragte Dr. King und senkte seinen grauen Bart, als wolle er damit zustoßen. »Lieber Himmel! Entschuldigen Sie mich.«

Nach einer Weile kam er wieder heraus.

»Hat sie etwas gesagt?«

»Nichts für Ihr Notizbuch, Inspektor. Delirium, die meiste Zeit. Ich wünschte, ich könnte aus ihr herausbekommen, was geschehen ist.«

Seine Zuhörer waren mäuschenstill. Molly, nun mit ganz anderer Miene, wandte sich offen an den Arzt. Dr. King und ihr Vater waren lebenslange Freunde gewesen, und der Doktor gehörte für sie fast zur Familie.

»Onkel Ned, sag mir die Wahrheit. Ich würde alles für Betty tun, das weißt du. Aber ich hatte nicht geglaubt, daß es – es steht doch nicht wirklich ernst um sie? Man verliert doch nicht wirklich den Verstand vor Schrecken? Oder doch?«

»Oh, so schlimm ist es nicht«, erwiderte der andere. »Ein gesundes, kräftiges Mädchen wie du mit Energie im Überfluß und Nerven wie Drahtseilen – wenn dir einer dumm kommt, dann schlägst du zu. So bist du nun einmal. Aber andere sind anders. Vielleicht war es nur eine Maus oder der Wind im Kamin. Doch was immer es war – ich hoffe, daß ich ihm nie begegne.« Sein Ton wurde milder. »Nein, sie kommt schon wieder in Ordnung. Ich brauche auch keine Hilfe, danke; Mrs. Apps und ich kommen zurecht. Eine Kanne Tee könnte nicht schaden.«

Die Tür schloß sich wieder hinter ihm.

»Tja, meine Freunde«, meinte Patrick Gore, die Hände tief in den Taschen vergraben, »etwas ist hier geschehen, da gibt es keinen Zweifel. Sollen wir jetzt hinaufgehen?«

Er öffnete die Tür gegenüber.

Die Treppe war steil, und es herrschte jener säuerliche Geruch, den man bei altem Stein findet, wenn die Luft nicht herankommt. Es war, als sähe man die Rippen und Knochen im Inneren des Hauses, noch nicht durch die Kunstfertigkeit späterer Zeiten gemildert. Die Dienstbotenkammern, das wußte Page, befanden sich am anderen Ende des Hauses. Im Aufgang gab es keine Fenster, und Elliot, der voranging, hatte eine elektrische Taschenlampe eingeschaltet. Dr. Fell folgte ihm, dann kam Molly, dann Madeline und Page, und Gore bildete die Nachhut.

Nichts an diesem Dachboden war verändert worden, seit Inigo Jones seine kleinen Fenster skizziert hatte und seinen Stein mit Backstein verkleidet. Oben kam der gewölbte Fußboden dermaßen schräg auf die Treppe zu, daß jeder falsche Schritt den Unachtsamen hinunterkatapultieren mußte. Die Eichenbalken waren von gewaltigen Ausmaßen, zu dick, als daß sie malerisch gewirkt hätten, nur ein Bild gewaltiger Macht, die stützen oder auch zermalmen konnte. Ein fahlgraues Licht drang herein, und die Luft war abgestanden, feucht und heiß.

Die Tür, nach der sie suchten, fanden sie am anderen Ende des Ganges. Es war eine schwere, schwarze Tür, die man eher in einem Keller als auf dem Dachboden vermutet hätte. Die Scharniere stammten aus dem achtzehnten Jahrhundert; der Knauf war fort, ein nicht ganz so altes Schloß unverschlossen, und statt dessen sicherte sie nun eine starke Kette mit einem Vorhängeschloß. Doch nicht auf das Schloß richtete Elliot zunächst den Strahl seiner Lampe.

Etwas war zu Boden geworfen und beim Schließen der Tür halb zerdrückt worden.

Es war ein angebissener Apfel.

Kapitel 13

Mit der Kante eines Sixpence als Schraubenzieher schraubte Elliot vorsichtig die Öse ab, an der die Kette befestigt war. Es war eine mühselige Arbeit, doch der Inspektor arbeitete unbeirrt wie ein Zimmermann. Als die Kette fiel, öffnete die Tür sich von selbst.

»Die Höhle der Goldhexe«, sagte Gore mit Gusto und stieß den angebissenen Apfel mit dem Fuß beiseite.

»Lassen Sie das, Sir«, sagte Elliot streng.

»Was? Wollen Sie den Apfel etwa als Beweismaterial mitnehmen?«

»So etwas weiß man nie. Wenn wir hineingehen, rühren Sie bitte nur an, was ich Ihnen gestatte.«

Das »Wenn wir hineingehen« erwies sich als optimistische Wendung. Page hatte ein Zimmer erwartet. Was er fand, war eine Art Bücherschrank von kaum zwei mal zwei Metern, mit einem schrägen Dach, in dem eine dick verkrustete Fensterscheibe wie Milchglas schimmerte. Auf den Regalbrettern, wo rissiges Kalbsleder sich mit neueren Einbänden mischte, gab es viele Lücken. Alles war von einer dünnen Staubschicht überzogen, doch war es der dünne, dunkle, rußige Staub der Dachspeicher, in dem kaum Spuren zurückbleiben. Ein frühviktorianischer Lehnstuhl war hineingezwängt – und die Hexe schien sie beinahe anzuspringen, als der Strahl von Elliots Taschenlampe sie traf.

Selbst Elliot zuckte ein wenig zurück. Die Alte war keine Schönheit. Früher mochte sie etwas Verführerisches gehabt haben, doch nun blickte das eine verbliebene Auge sie aus einem halben Gesicht an; die andere Seite des Kopfes war schwer beschädigt, das ehemals gelbe Kleid ganz zergangen. Und die Risse in dem, was vom Gesicht blieb, machten sie nicht attraktiver.

Aufgerichtet wäre sie knapp lebensgroß gewesen. Sie saß auf einer länglichen Kiste, einst bemalt und vergoldet, daß sie wie ein Sofa wirken sollte, aber nicht viel tiefer und breiter als die Figur selbst, und der ganze Automat stand auf Rädern, die offensichtlich später hinzugefügt waren. Mit einer groben und ganz und gar grauenerregenden Koketterie streckte sie die Hände dem Betrachter halb entgegen. Die wuchtige, gedrungene Maschine mußte gut ihre zwei oder drei Zentner wiegen.

Madeline stieß eine Art Kichern aus, nervös oder erleichtert. Elliot brummte, Dr. Fell fluchte.