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»John, ich verstehe das nicht. Ich verstehe es wirklich nicht. Du tust, als sei es ein Spiel oder eine Wette oder so etwas. ›Es wäre unsportlich‹, ›hat sich mit keiner Seite eingelassen‹ – begreifst du denn gar nicht, daß dieser Mann, wer immer er sein mag, die Unverfrorenheit hat zu behaupten, daß alles, was du besitzt, ihm gehört? Daß er John Farnleigh ist? Daß ihm die Baronetswürde und die dreißigtausend Pfund im Jahr zustehen? Und daß er hier ist, um dir das alles fortzunehmen?«

»Doch, das weiß ich.«

»Aber bedeutet dir das alles denn gar nichts?« rief Molly. »Du behandelst ihn mit einer Freundlichkeit und Rücksichtnahme, daß man glauben könnte, dir sei das alles egal.«

»Es ist mein ganzes Leben.«

»Na also! Wenn jemand zu dir gekommen wäre und behauptet hätte: ›Ich bin John Farnleigh‹, dann hätte man doch erwarten können, daß du gesagt hättest: ›Ach, tatsächlich?‹ und ihn mit einem Tritt vor die Tür befördert hättest, und sonst nichts; höchstens noch die Polizei hättest du rufen können. Jedenfalls hätte ich das an deiner Stelle so getan.«

»Du weißt nicht, wie es bei solchen Sachen zugeht, Liebes. Und Burrows sagt …«

Er ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Es schien, als lausche er dem leisen Ticken der Uhr, als sauge er den Duft des gebohnerten Bodens und der frischgewaschenen Vorhänge ein, als wanderten seine Gedanken hinaus in das Sonnenlicht zu all den reichen und friedlichen Ländereien, die er besaß. In diesem Augenblick sah er, so seltsam das war, besonders puritanisch aus, und es lag etwas Gefährliches in seinem Blick.

»Es wäre schon eine verfluchte Schande«, sagte er nachdenklich, »wenn ich all das jetzt wieder verlieren würde.«

Er riß sich zusammen, als die Tür sich öffnete, und bezwang die stille Gewalt, die aus seinem ganzen Betragen sprach. Knowles, der alte glatzköpfige Butler, führte Nathaniel Burrows und Brian Page herein.

Burrows hatte, wie Page es schon auf dem Hinweg prophezeit hatte, nun wieder ganz sein zugeknöpftes Heilbuttsgesicht aufgesetzt. Hätte Page es nicht besser gewußt, so hätte er den Mann, mit dem er am Nachmittag zusammengesessen hatte, nicht wiedererkannt. Aber es war wohl angemessen bei der Stimmung, die herrschte: Page schnürte sie die Kehle zu. Als er seine beiden Gastgeber ansah, wünschte er, er wäre nicht gekommen.

Es war beinahe schmerzlich mit anzusehen, mit welcher Förmlichkeit der Anwalt die beiden begrüßte, und Farnleigh hielt sich steif, als sei er zu einem Duell angetreten.

»Ich denke«, fügte Burrows hinzu, »wir werden die Sache rasch hinter uns bringen können. Mr. Page war so freundlich und hat sich als der erforderliche Zeuge zur Verfügung gestellt …«

»Um Himmels willen«, protestierte Page, auch wenn es angespannt klang. »Wir sind doch hier nicht in einer belagerten Festung. Die Farnleighs zählen zu den größten und angesehensten Landbesitzern in Kent. Und was ich von Burrows gehört habe« – er betrachtete Farnleigh mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete –, »das ist, als ob jemand behauptete, das Gras sei rot oder das Wasser flösse den Berg hinauf. Und die meisten Leute dürften es genauso überzeugend finden. Wozu also diese Leichenbittermiene?«

Farnleigh sprach zögernd.

»Schon wahr«, sagte er. »Ich glaube, es ist dumm von mir.«

»Das kann man wohl sagen«, stimmte Molly zu. »Danke, Brian.«

»Der alte Murray«, sagte Farnleigh mit einem Blick, der in Gedanken weit fort zu sein schien. »Haben Sie ihn gesehen, Burrows?«

»Nur kurz, Sir John. Nicht offiziell. Und ebensowenig die Gegenseite. Er besteht auf seiner Neutralität und sagt nichts, bevor er nicht sein Urteil abgegeben hat.«

»Hat er sich sehr verändert?«

Burrows ließ ein wenig in seiner Förmlichkeit nach. »Nicht viel. Er ist älter und steifer und mürrischer geworden. Die alten Zeiten …«

»Sicher«, sagte Farnleigh. »Die alten Zeiten!« Etwas schien ihn zu beschäftigen. »Da ist nur eine einzige Frage, die ich stellen möchte. Gibt es auch nur den kleinsten Anlaß zu der Befürchtung, daß Murray nicht ehrlich sein könnte? Warten Sie! Ich weiß, es ist gräßlich, so etwas zu sagen. Der alte Murray war immer der anständigste Kerl, den man sich vorstellen konnte: immer offen, immer ehrlich. Aber seither sind fünfundzwanzig Jahre vergangen. Das ist eine lange Zeit. Ich habe mich verändert. Können wir sicher sein, daß es kein abgekartetes Spiel ist?«

»Das können wir«, erwiderte Burrows grimmig. »Und ich glaube, wir haben diese Frage auch schon zur Genüge erörtert. Natürlich war es das erste, was mir in den Sinn kam; wir haben überlegt, wie wir uns von Mr. Murrays bona fides überzeugen könnten, und Sie selbst waren mit unseren Ergebnissen zufrieden – oder etwa nicht?« * [* Zeitungsleser mögen sich erinnern, daß in der erhitzten Debatte, die auf die tragischen Ereignisse des Farnleigh-Falles folgten, dieser Punkt von Amateurdetektiven immer wieder aufgebracht wurde. Da ich selbst einmal viel Zeit mit immer neuen fruchtlosen Theorien zur Lösung des Rätsels vergeudet habe, sollte ich diesen Punkt besser hier schon klarstellen. Daß Kennet Murray ehrlich und guten Willens war, kann als Tatsache gelten. Er verfügte tatsächlich über Beweise, mit denen sich die Identität des wahren Erben bestimmen ließ, und der Leser wird sich erinnern, daß es letzten Endes ja auch diese Beweise waren, durch welche die Wahrheit ans Licht kam. – J. D. C.]

»Doch. Das ist wahr.«

»Und warum kommt es dann jetzt doch wieder auf?«

»Sie könnten mir den Gefallen tun«, erwiderte Farnleigh mit einer Art, die plötzlich nicht minder eisig war als Burrows’ eigene, »und mich nicht dauernd wie einen Gauner oder Hochstapler ansehen. Das tun doch alle hier. Versucht nicht, es zu leugnen! Genau so seht ihr mich an. Ruhe und Frieden, Ruhe und Frieden: Auf der ganzen Welt habe ich nach Ruhe und Frieden gesucht, und was habe ich davon? Aber ich kann Ihnen verraten, weshalb ich noch einmal wegen Murray frage. Wenn Sie nicht das Gefühl haben, daß etwas mit ihm nicht stimmt, weshalb lassen Sie ihn dann von einem Privatdetektiv beobachten?«

Hinter seinen großen Brillengläsern riß Burrows die Augen auf, sichtlich verblüfft.

»Ich kann Ihnen nicht folgen, Sir John. Ich habe keinen Privatdetektiv engagiert, weder für Murray noch für sonst jemanden.«

Farnleigh richtete sich auf. »Wer ist dann der andere, der im Bull and Butcher abgestiegen ist? Sie wissen schon: Der junge Bursche mit dem verschlossenen Gesicht und den klugen Bemerkungen und den neugierigen Fragen? Alle im Dorf sind sich sicher, daß er ein Privatdetektiv ist. Er behauptet, er interessiere sich für ›Folklore‹ und schreibe ein Buch darüber. Folklore, daß ich nicht lache. Er hängt an Murray wie eine Klette.«

Alle sahen sich gegenseitig an.

»Das ist wahr«, stimmte Burrows nachdenklich zu. »Ich habe von dem Folkloreforscher und seiner neugierigen Art gehört. Vielleicht hat Welkyn ihn geschickt …«

»Welkyn?«

»Der Anwalt der Gegenseite. Oder er hat überhaupt nichts mit der Sache zu tun, und das scheint mir das Wahrscheinlichste.«

»Ich würde es bezweifeln«, sagte Farnleigh, und sein Gesicht rötete sich zusehends. »Nicht bei den Fragen, die er so stellt. Zum Beispiel fragt er, wie ich höre, die Leute nach der armen Victoria Daly aus.«

Brian Page hatte den Eindruck, daß sich die Gewichte ein wenig verschoben hatten und daß die vertrautesten Dinge plötzlich unvertraut waren. Mitten in der Auseinandersetzung um seine Rechte auf einen Besitz, der dreißigtausend Pfund im Jahr einbrachte, schien Farnleigh mehr mit dem unbedeutenden – wenn auch gräßlichen – Mordfall des vorangegangenen Sommers beschäftigt. Nun? Victoria Daly, eine harmlose Frau von fünfunddreißig, die allein in ihrem Häuschen gewohnt hatte, war von einem Landstreicher erdrosselt worden, der Schnürsenkel und Kragenknöpfe feilgeboten hatte. Erdrosselt allen Ernstes mit einem Schnürsenkel, und ihr Portemonnaie hatte der Landstreicher in der Tasche gehabt, als er auf den Eisenbahngleisen sein Ende fand.