Aber selbst wenn das alles nicht so wäre – doch sie fürchtete, es war so – wollte sie nicht vor Scham umkommen. Nachdem sie die Wahrheit über sich erfahren hatte, konnte sie nicht länger als freie Frau leben. Wenn Aulus erwachte (sie wagte es aus Angst vor der Peitsche nicht, ihn zu wecken), musste sie ihn anflehen, ihr den Kragen umzulegen und sie zu brandmarken. Sie konnte nicht länger eine freie Frau sein. Jetzt war es richtig, wenn sie als Sklavin gehalten und zur Sklavin gemacht wurde.
Weil es bewölkt war, konnte ich die Sterne oder die Monde nicht sehen. Ich spürte den Kragen an meinem Hals. Es war Ionicus’ Kragen. Ich war eine Arbeitssklavin. Diese Nacht hatte ich jedoch nicht als Arbeitssklavin, sondern als Vergnügungssklavin gedient. Aulus hatte mich an seinen Steigbügel gekettet. Er hatte mich ausgestellt, um Pietro Vacchi zu beeindrucken. Dafür sind Sklavinnen da. Ich war stolz, dass ich an seinen Steigbügel gekettet gewesen war. Durch so etwas kann eine Sklavin sich versichern, dass sie schön und begehrenswert ist. Aulus hatte mich nicht hinten bei den Wachen lassen wollen. Er hatte sicher geplant, dass ich vor den Söldnern tanzen und einigen von ihnen dienen sollte, auch ihrem Kapitän. Demütig verstand ich es als ein Geschenk, ein Zeichen des guten Willens, das dem Erfolg seines Besuches diente. Vielleicht war ich auch ein Tribut oder besser gesagt eine freundschaftliche Geste, die gemacht wurde, um Ionicus’ Ketten vor den Söldnern zu schützen. Wenn das so war, so hoffte ich, dass ich meine Sache gut gemacht hatte und dass Aulus mit mir zufrieden war.
Ich dachte an Vacchi. Ich hoffte, dass ich ihm gefallen hatte. Ich lächelte. Hatte ich ihn zufrieden gestellt? Es war mir so vorgekommen, dass er mich gebieterisch als Herr zu seinem Vergnügen benutzt hatte. In seinen Armen hatte ich stöhnend, schreiend und manchmal sogar um Gnade winselnd lange Sklavenekstasen erdulden müssen. Ich wand mich im Sand und wühlte mich in ihn ein, bis ich wieder die Gitterstäbe des Käfigbodens spürte, die mich daran erinnerten, wie es war, in seinen Armen zu liegen.
Morgen würde ich vermutlich zur Schwarzen Kette des Ionicus zurückkehren und vielleicht würde mich Aulus in seinem Zelt behalten. Das war bestimmt besser als Ketten zu tragen und Wasser zu transportieren, gegen das Gewicht des Wassersacks zu kämpfen und im tiefen Sand hin- und herzulaufen.
Merkwürdigerweise musste ich plötzlich daran denken, wie ich vor Wochen vor Tyrrhenius gekniet und erfahren hatte, dass er mich verkaufen würde. Er hatte dabei von »Nachforschungen« gesprochen. Bisher hatte ich nicht viel darüber nachgedacht, aber jetzt, als ich im Dunklen im Sand lag, fragte ich mich, was er damit gemeint hatte. Was für Nachforschungen hatte er im Sinn gehabt und wer hatte das getan? Betrafen sie ihn? Betrafen sie mich? Oder fürchtete er vielleicht, dass sie mich betreffen könnten? Und wer hatte sie angestellt? Ich überlegte, dass es vielleicht der Agent eines Praetors gewesen war oder vielleicht Männer, die aussahen wie solche Agenten, die in Argentum solche Nachforschungen angestellt hatten. Ich wusste es nicht. Die Nachricht von ihren Fragen konnte Tyrrhenius durch seine Spione zugetragen worden sein. Wie auch immer, es schien, als wäre es ihm klug vorgekommen, meinen Dienst als Ködermädchen zu beenden. Ich war dann an die Schwarze Kette des Ionicus verkauft worden.
Ich verbannte solche Gedanken aus meinem Kopf. Ich lag im Dunklen. Ich wollte zurück ins Arbeitslager. Dort, glaubte ich, hinter dem Zaun, in der Obhut der Wachen, wäre ich sicher, jedenfalls so sicher wie jedes andere Mädchen. Sicher würde er, dessen Rache ich fürchtete, das Lager nicht wieder betreten. Er könnte ergriffen und wieder in die Kette eingereiht werden. Ja, ich wollte zurück ins Arbeitslager. Wenn ich dorthin zurückkönnte, wäre ich sicher.
»Hast du von dem anderen Mädchen gehört?« hatte Pietro Vacchi mich gefragt, als ich mich erhoben hatte, nachdem ich mich vor ihm auf den Bauch geworfen und um eine Wache gefleht hatte, weil ich mich davor fürchtete, allein in der Dunkelheit den Weg zum Gehege finden zu müssen und mich dort einschließen zu lassen.
»Herr?« hatte ich erstaunt gefragt.
Er hatte mich dann in die Obhut eines Wächters gegeben. Ich hatte mich darüber etwas gewundert. Einen Moment lang hatte ich befürchtet, dass Vacchi mich für mein Drängen auspeitschen würde und ich wollte ganz sicher nicht zweimal am Tag ausgepeitscht werden. Dann hatte er diese Frage gestellt, gab dann aus irgendeinem Grund nach und änderte seine Meinung. Der Wächter hatte mir Handschellen und eine Leine angebracht und ich hatte ihm zum Gehege vorangehen müssen. Eigentlich hatte ich erwartet, er würde mich direkt zum Gehege bringen, aber der Wächter hatte mich, kaum dass wir im Dunklen waren, an der Leine zu sich herangezogen und mich genommen. Kurz danach, als wir wieder auf dem Weg zum Gehege waren, schien es mir, als hätte ich eine Bewegung zwischen den Bäumen gesehen. Die Angst zuckte durch meinen ganzen Körper und schien sogar die Leine in Bewegung zu versetzen.
»Was st los?« hatte der Wächter unruhig gefragt.
»Nichts, Herr.« hatte ich geantwortet.
Die Unruhe und Wachsamkeit in der Stimme des Wächters war nicht zu überhören gewesen. Diese Besorgnis verstand ich nicht. Wir waren mitten im Söldnerlager. Wenn da irgend etwas gewesen war, dann sicher nur einer ihrer Männer, der sich vielleicht im Dunklen erleichterte und zu faul war, die Latrinen aufzusuchen. Wenn jemand etwas zu fürchten hatte, dann doch wohl ich und nicht der Wächter. Und doch hatte Vacchi eine Wache mit mir mitgeschickt. Vielleicht hatte es etwas mit dem »anderen Mädchen« zu tun. Es schien, dass vor kurzem etwas mit einem der Mädchen passiert war. Ich hatte mich zweimal danach erkundigen wollen, hatte aber jedes Mal keine Erlaubnis erhalten, zu sprechen. Ich musste still sein. Ob wir sprechen durften oder nicht, hing nicht von unserem Willen, sondern nur vom Willen unseres Herrn ab.
Ich zitterte. Ich war immer noch in Sicherheit, wie ich jetzt auf dem Boden zwischen den anderen Mädchen lag, im Gehege eingeschlossen. Ich dachte an den kommenden Tag. Vermutlich würde ich wieder an Aulus’ Steigbügel angekettet. Ich freute mich, dass es neben der Straße nur wenig Buschwerk gab.
Ich war schlief ein und wälzte mich unruhig hin und her. Ich rümpfte etwas die Nase . Da war ein starker Geruch. Ich wusste nicht, was es war und kümmerte mich nicht darum. Es schien sehr nah zu sein, schrecklich nah.
Plötzlich öffnete ich meine Augen. Ich konnte im Dunklen überhaupt nichts sehen. Vielleicht hatte ich nur einige Augenblicke lang geschlafen oder vielleicht auch nur eine Ahn. Ich wusste es nicht. Dann war ich vor Angst wie gelähmt. Ich hatte in der Dunkelheit einen noch dunkleren Fleck wahrgenommen. Dann spürte ich etwas an beiden Seiten wie eine Wand, aber es war lebendig. Ich wollte schreien, war aber so erschrocken, dass ich keinen Laut von mir geben konnte. Ich lag auf dem Rücken, eingewickelt in meine Decke. Der Körper über mir berührte mich fast. Seine Beine, oder die Hinterbeine waren links und rechts von mir. Ich konnte nicht fliehen. Der Körper schien sehr groß zu sein. Er bewegte sich vorwärts. Ich erstickte fast an dem übelriechendem Atem. Ein Tropfen fiel auf mein Gesicht, es war Speichel aus seinem offenstehendem Maul. Das Tier schien erregt zu sein. Zweifellos war ich für es nur Fleisch. Ich spürte seinen heißen Atem auf meinem Gesicht. Es musste riesige Lungen haben. Seine Maulöffnung musste so groß wie mein Kopf sein.
Ich begriff nicht, warum es sich nicht bewegte. Vielleicht wartete es darauf, dass ich schrie. Das Ding über mir war nicht menschlich, aber es war auch kein Sleen oder Larl. Es war eine Bestie und eine schreckliche dazu, viel schlimmer, als ich es mir in meinen schlimmsten Träumen ausmalen konnte, aber ich spürte auch, an seiner Geduld und an der Art, wie es mich hilflos gemacht hatte, dass es auf eine undefinierbare Weise etwas anderes und mehr als eine Bestie war. Es war eine Bestie, die, fürchtete ich, planmäßig vorging, wie es Männer taten. Sie konnte denken und planen.