»Tela!« sagte ich.
»Tuka.« meldete sie sich flüsternd.
Tela kniete einige Fuß neben mir. Sie trug immer noch das kleine, jetzt beschmutzte Stück roter Seide, das sie in Aulus’ Zelt getragen hatte. Es war außer dem Kragen die einzige Kleidung, die Aulus den Frauen, die in seinem Zelt dienten, erlaubte.
»Bist du in Ordnung?« fragte ich.
»Ja.« flüsterte sie.
Ich küsste Tupita und Tela.
»Das«, erklärte Tupita, auf zwei an der Seite sitzende Mädchen zeigend, »sind Mina und Cara.«
Sie trugen Reste von Arbeitstuniken. An ihren Knöcheln hatten sie Eisenringe, die durch eine Kette miteinander verbunden waren, so dass sie nicht rennen konnten, die aber die Wachen von nichts abhielten. Geschmiedetes Eisen trugen sie auch um ihre Handgelenke, die durch eine etwa achtzehn Zoll lange Kette verbunden waren.
»Sind sie die Mädchen, die als erste gestohlen wurden?« fragte ich Tupita.
»Ja.« bestätigte sie.
»Das ist Tuka.« stellte sie mich dann den beiden Mädchen vor.
Sie nickten kaum merklich. Sie waren sehr still, beide schienen ängstlich, fast als stünden sie unter Schock.
»Begrüßt sie.« befahl Tupita.
»Ich grüße dich, Tuka.« wisperte eine.
»Ich grüße dich, Tuka.« flüsterte auch die andere.
Sie bewegten sich etwas, was ihre Ketten leise klirren ließ.
»Mina.« sagte ich.
Sie sah hoch.
»Hast du gesehen, was dich weggenommen hat?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Cara?«
»Nein.« antwortete Cara schaudernd.
»Es war wahrscheinlich die Bestie, oder mehrere von ihnen.« sagte Tupita. »Die beiden wissen nichts. Sie wurden von einem Augenblick auf den anderen von hinten bewusstlos geschlagen. Ich weiß nicht einmal, ob sie mir das mit der Bestie glauben. Tela sah sie am Zelt, nachdem sie sie geknebelt hatte, bevor sie sie auf den Bauch drehte und fesselte. Ich sah sie auch, vor zwei Tagen, aber nur kurz im Dunklen, als ich von Pietro Vacchis Zelt zum Mädchengehege zurückging. Sie sprang hervor und ergriff mich. Bevor ich schreien konnte, war ich schon geknebelt. Und einem Augenblick später war ich schon gefesselt.«
»Du bist in Pietro Vacchis Zelt benutzt worden?«
»Vor zwei Tagen.«
»Du bist von der Kette befreit worden.« sagte ich.
»Die meisten Männer sind befreit worden.« berichtete sie. »Natürlich mussten ich und die Mädchen der anderen Ketten nur abwarten, wer unser nächster Herr sein würde.«
»Natürlich«, sagte ich, »schließlich sind wir Kajiras.«
»Gibt es die Bestie?« fragte mich Mina.
»Ja.«
»Hast du sie gesehen?«
»Ja.«
»Unser Essen, Brote und Obst, wird nachts zu uns hinuntergeworfen«, berichtete Tupita, »auch Wasser wird nachts im Eimer hinuntergelassen. Dann wird er wieder hochgezogen.«
»Wir dürfen nur einmal am Tag trinken?« fragte ich.
»Ja«, bestätigte sie, »trink also, soviel du kannst.«
»Wie bin ich hier hinunter gekommen?«
»Deine Handgelenke waren zusammengebunden«, erklärte sie, »und ein Doppelseil war hindurch gezogen. Als du in unserer Reichweite warst und wir dich festhalten konnten, wurde das eine Seilende hinuntergeworfen und am anderen Ende hochgezogen. Wir haben dann deine Fesseln gelöst.«
»Wie war ich gefesselt?«
»Mit Stricken.« antwortete Tupita.
»Ist es nicht merkwürdig, dass eine Bestie Stricke hat?«
»Das stimmt.«
»Was ist das für ein Ort hier?« fragte ich weiter, mich umsehend.
»Es ist wahrscheinlich ein ausgetrockneter Brunnen«, sagte Tupita, »er ist aber verändert worden.«
»Wie?«
»Der Boden unter uns ist mit großen Felsbrocken und mit Sand aufgefüllt. Darunter kommt Fels.«
Ich nickte. Das hier war nicht einfach ein ausgetrockneter Brunnen. Er war in ein Gefängnis umgebaut worden.
»Wenn es diese Bestie gibt«, fragte Mina, »was will sie von uns?«
»Es ist zweifellos so ein Ding«, sagte Tupita, »das die Aedilen außerhalb Vennas fütterten.«
»Dann will es uns vielleicht fressen.« flüsterte Mina.
»Vielleicht.«
Wir schauderten. Es war durchaus möglich, dass dies unsere Bestimmung war. Dies hier könnte eine Speisekammer sein.
»Aber soweit ich weiß«, sagte Tupita, »ist von hier noch niemand zum Fressen geholt worden.«
»Vielleicht hebt sie sich uns für später auf.« sagte Mina.
»Mina und Cara wurden schon vor Tagen gefangen.« sagte Tupita. »Die Übergangszeit für gestohlene Sklaven ist für sie sicher schon vorbei. Jeder, der sie gefangen hat, kann jetzt Anspruch auf sie erheben.«
Sicher waren sie immer noch Sklavinnen des Ionicus, aber diese Eigentümerschaft musste jetzt einem neuen Anspruch weichen. Dieses goreanische Gesetz gab es anscheinend deshalb, damit ein Sklave immer einen Eigentümer hat. Im Falle des Todes eines Herren geht der Sklave wie jeder andere Besitz in das Eigentum der Erben über, oder, wenn es keinen Erben gibt, in das Eigentum des Staates.
»Sie sind nicht gefressen worden.«
»Noch nicht.« zweifelte Mina.
»Du musst daran denken«, sagte Tupita, »dass wir alle hier weiblich sind. Das ist doch interessant.«
»Ja«, stimmte ich zu, »es kann durchaus sein, dass die Bestie auch den Aedilen bestohlen hat.«
»Das ist sicher möglich.« sagte Tupita.
»Wenn man an unseren Wert denkt, macht das Sinn« , bemerkte ich, »und an manche Art, wie man uns benutzen kann.«
»Ja.« sagte Tupita.
»Außerdem war ich mit Stricken gefesselt, als ich zu euch heruntergelassen wurde.«
»Das stimmt«, antwortete Tupita, »die Bestie ist wirklich da.«
»Worüber sprecht ihr eigentlich?« fragte Mina.
»Wir überlegen«, entgegnete Tupita, »ob ich mich nicht geirrt haben könnte. Obwohl dieses Ding vielleicht Menschen frisst, kann es sein, dass wir nicht als Nahrung hierher gebracht wurden.«
»Ich verstehe nicht.« sagte Mina.
»Die Bestie arbeitet vielleicht mit Männern zusammen.« erklärte Tupita. »Wenn das stimmt, sind es vielleicht Sklavenhändler.«
»Aber du weißt das nicht sicher!« gab Mina zu bedenken.
»Nein.« gab Tupita zu. »Aber sieh dich doch um. Du findest hier nichts außer uns, was von Interesse sein könnte. Meinst du nicht, dass wir alle für Männer von Interesse sind?«
Ich sah verlegen zu Boden. Ich war als einzige der Mädchen im Brunnen nackt. Mina und Cara hatten Reste ihrer Arbeitstuniken an und Tupitas Tunika war noch fast unversehrt, sie war nur ein wenig eingerissen, vielleicht hatte die Bestie sie dort zerfetzt. Und Tela hatte das verschmutzte kleine Seidentuch.
»Für mich ist es am Wahrscheinlichsten«, fuhr Tupita fort, »dass wir nicht gestohlen wurden, um als Nahrung zu dienen, obwohl solch eine Bestie uns sicher fressen könnte, sondern um an Sklavenhändler übergeben zu werden.«
»Ich erinnere mich jetzt«, unterstützte ich sie, »dass die Bestie im Dunklen, bevor sie mich bewusstlos schlug, mich vor ihr niederknien ließ.«
»Ausgezeichnet!« sagte Tupita zufrieden. »Dann schlage ich vor, wir knien vor den Bestien nieder, wie wir es vor Männern tun würden. Sie scheinen uns als weibliche Sklaven anzusehen. Deshalb werden sie Unterwürfigkeit von uns erwarten.«
Wir küssten uns hoffnungsvoll.
»Was gibt es jetzt zu tun?« fragte Mina.
»Du trägst Ketten und einen Kragen.« entgegnete Tupita. »Du bist eine Kajira. Was denkst du, wirst du tun?«
Mina sah sie an.
»Du wirst warten.« sprach Tupita weiter.
»Wie konnte das Ding in das Arbeitslager kommen?« fragte ich.