»Kann ich so ins Lokal gehen?« fragte ich.
Das Erste Mädchen einer Taverne kontrolliert ihre Untergebenen oft, bevor sie ihnen erlaubt, das Lokal zu betreten.
»Jetzt schon«, lächelte Tupita, »aber du würdest es vielleicht auch im Heu mit einem groben Viehtreiber machen.«
Ich lachte und Tupita lachte auch, aber dann sahen wir uns an und die glatten Wände des Brunnens um uns herum und die weit entfernte Öffnung über uns. Ich bemerkte wieder, dass wir merkwürdigerweise am Nachmittag die Sterne in dieser Öffnung sehen konnten. Wir setzten uns dann ruhig auf den Boden aus trockenen Blättern und Kies, mit dem Rücken an die Brunnenwand gelehnt. Wir wussten nicht, wie sich unser Schicksal gestalten würde.
»Gibt es eigentlich nur eine Bestie oder mehrere?« fragte Tela.
»Wir wissen es nicht.« antwortete Tupita.
»Wir werden in Unkenntnis gehalten.« rief Tela aus. »Sie lassen uns nichts wissen! Wir wissen nicht, wo wir sind! Wir wissen nicht, wer uns entführt hat und noch nicht einmal, wieviele es sind! Wir wissen nicht, was sie mit uns tun wollen! Sie behandeln uns wie … wie …«
»Wie Sklavenmädchen?« fragte Tupita.
Tela sah sie an und schlug mit ihren kleinen Fäusten frustriert auf ihre Schenkel.
»Ja!« schluchzte sie.
»Du bist keine freie Frau mehr, Lady Liera Didiramache aus Lydius.« sagte Tupita. »Du bist jetzt Tela, eine Sklavin. Sie behandeln uns, wie sie wollen! Genauso wie sie es mit ihren Tharlarion, ihren Tarsks oder ihren anderen Tieren machen.«
»Ja.« flüsterte Tela und wich verängstigt zurück.
Doch einen Augenblick später begann sie immer schneller zu zittern. Dann lag sie in ihrem Kragen und ihrem Stück Seide dort, an der Brunnenwand, zitternd und unsere Augen meidend.
Dann waren wir alle sehr ruhig. Wir wussten nicht, was unser Schicksal sein würde. Wir mussten abwarten.
29
Die Wiese
»Nicht genug! Nicht genug!« schrie der kleine, verdrehte Mann mit dem gelblichen, fahlen Teint und hockte sich mit dem Rücken zu uns hin.
Die gesamte rechte Seite seines Gesichtes bestand aus weißem, altem Narbengewebe. Sein rechtes Ohr war halb abgerissen. Es war, als wäre seine rechte Gesichtshälfte dadurch entstellt worden, dass er schnell und heftig über Steine geschleift worden war. Er war so entstellt, dass man daran zweifelte, dass er sich jemals wieder unter Menschen wagen würde. Die fünf Männer, die neben ihm auf der anderen Seite der Decke hockten, verachteten ihn offensichtlich. Rechts neben der Decke, lag ein Paket auf dem Boden, das mit Schmuckstücken gefüllt war, wie Hausierer sie anbieten. Der kleine Mann schien Hausierer zu sein oder jemand, der sich bemühte, diesen Eindruck zu erwecken.
»Wenn dir unser Angebot nicht gefällt«, entgegnete der Anführer der fünf Männer, ein bärtiger Mann, »dann kannst du auch nach Tharna zurückkehren.«
Der kleine Mann setzte sich ärgerlich zurück auf seine Fersen.
»Und ich brauche dazu noch Fleisch, viel Fleisch!« sagte er.
»Sei nicht dumm«, erwiderte einer der Männer, die vor ihm hockten, »wir haben ein getrocknetes Tarskviertel mitgebracht. Das reicht für dich, um einen Monat daran zu kauen.«
»Das reicht nicht!« widersprach der kleine Mann. »Wir brauchen mehr!«
»Hast du ein Sleengehege?«
Der kleine Mann antwortete zunächst nicht. Aber dann wiederholte er: »Wir brauchen mehr.«
»Mit dem Silber kannst du mehr kaufen.« sagte der Anführer.
Der kleine Mann hatte zwei Begleiter mit, die sich wie die anderen niedergehockt hatten, aber links von uns. Diese Männer sahen sich unruhig an.
»Wir bieten fünfzehn Silberstücke, fünfzehn harte, klingende Silber-Tarsks.« sagte der Anführer. »Das ist genug.«
»Fünfundzwanzig waren ausgemacht!« entgegnete der kleine Mann. »Fünf für jede!«
»Wir geben dir drei für jede.« sagte der Anführer und legte seine Finger an seinen Helm, der neben ihm im Gras lag.
»Nein!« lehnte der kleine Mann ab, sprang wütend auf und ging hinkend auf uns zu.
»Sieh sie dir an!« sagte er. »Da ist keine darunter, die, wenn sie nackt auf dem Block steht, nicht ein hohes Gebot bringen würde! Ist auch nur eine dabei, bei der ein Mann nicht davon träumen würde, sie nackt vor sich her nach Hause marschieren zu lassen, um sie an seinen Sklavenring zu fesseln! Sieh dir diese Gesichter, diese Sklavinnenkurven an! Keine von denen ist weniger als fünf Tarsks wert!«
»Drei Tarsks für jede«, beharrte der Anführer, »gute Tarsks.«
»Diese zwei«, sagte der kleine Mann und zeigte auf Tupita und mich, »dienten im Zelt von Pietro Vacchi. Ich weiß es! Ich war im Lager!«
Also musste er, vermutete ich, der menschliche Kontaktmann zu den Bestien sein.
»Und die hier«, er zeigte auf Tela, »hat ein Aufseher ausgewählt, ein Mann, der die Wahl zwischen fast hundert Frauen, hundert Sklavinnen hatte!«
»Arbeitssklavinnen.« sagte der Anführer abfällig.
Tela versteifte sich in ihren Fesseln. Aber es stimmte, sie war, wie wir alle, als Arbeitssklavin in das Lager der Schwarzen Kette gebracht worden.
»Sie war in Lydius eine reiche Frau.« lockte der kleine Mann.
»Jetzt trägt sie ein Brandzeichen.« stellte der Anführer fest.
»Und diese hier«, lockte der kleine Mann und lenkte die Aufmerksamkeit auf mich, »ist Tänzerin.«
»Tänzerinnen sind nichts«, entgegnete der Anführer, »zehn gehen auf einen Tarsk.«
Ich versteifte mich wütend. Männer in Brundisium hatten viel für mich bezahlt. Ich galt als eine der besten Tänzerinnen der Stadt.
»Und diese zwei« sagte der kleine Mann, auf Mina und Cara zeigend, »sind offensichtliche Schönheiten.«
»Arbeitssklavinnen.« grinste der Anführer.
Tupita war rechts von mir, Tela links. Dann kamen Mina und Cara. Wir knieten. Unsere Oberkörper waren an ein Geländer zurückgedrückt worden, bis wir es mit dem Genick berührten. Dieses Geländer stand vor den Überresten eines langen, niedrigen Gebäudes, das vielleicht einmal ein Tharlarionstall oder so etwas gewesen war. Vielleicht war das hier einmal eine Tharlarionranch gewesen oder auch ein Ausbildungsplatz für Renn-Tharlarions. Jetzt war alles verlassen. Venna war nicht weit weg.
Als unser Genick das Geländer berührte, wurden wir mit dem Hals daran gefesselt. Unsere Hände waren hinter dem Rücken gebunden. Das war getan worden, gleich nachdem wir aus dem Brunnen hinaufgezogen worden waren. Das Heraufziehen war schrecklich gewesen, wir mussten uns im Eimer zusammenkauern und schwankten hin und her, während er sich nach oben bewegte. Wir konnten dabei keinen Laut von uns zu geben, weil wir uns gegenseitig geknebelt hatten, wie es uns vor dem Heraufziehen von oben befohlen worden war. Seile für Tela, Tupita und mich lagen noch vom Herunterlassen auf dem Grund des Brunnens bereit, die für Mina und Cara wurden uns heruntergeworfen.
Ich war sehr froh, als ich oben ankam und ein Hakenstock das Seil mit dem Eimer ergriff und in Reichweite eines Mannes zog. Dann kniete ich neben dem Brunnen im Gras. Das Seil um meinen Mund musste ich in die Hand eines Mannes legen. Er hatte es dann, nass wie es war, benutzt, um meine Hände zu fesseln. Es hatte mich nicht gestört, dazu freute ich mich viel zu sehr, wieder an der Oberfläche zu sein. Ich wurde dann zu dem Geländer gebracht, musste niederknien, wurde dagegen gedrückt und festgebunden. Dann wurden auch meine Knöchel übereinander geschlagen und gefesselt.
Tupita war schon so gefesselt worden. Nach mir kamen Tela und dann Mika und Cara an die Reihe. Bei Mina und Cara wurden Stricke einfach durch Kettenglieder an ihren Handfesseln und Eisenringen an ihren Knöcheln gezogen. Dann wurden die Kettenglieder mit dem Strick zusammengezogen. Auf diese Weise waren wir alle fünf mit typisch goreanischer Effizienz völlig hilflos gemacht worden.