»Ich lasse sie am Leben.« sagte er.
Dann schluchzte er auf.
»Oh, mein Herr, ich liebe dich!« weinte Tupita und eilte zu ihm. »Ich liebe dich! Ich liebe dich!«
»Ich bin dir gefolgt, habe dich seit Brundisium gejagt.« sprach Mirus. »Ich bin von Stadt zu Stadt gereist. Ich habe da und dort einen Dienst angenommen. Aber immer habe ich nach dir gesucht. Ich will nicht ohne dich leben. Ich habe dich sogar in Argentum gesucht.«
Ich erinnerte mich, Mirus gefragt zu haben, ob er mich in Argentum gesucht hatte. Er hatte es abgestritten. Er hatte behauptet, nach einer Stellung und nach seinem Glück zu suchen. Ich hatte mich über seine Antwort ein wenig geärgert. Jetzt begriff ich, dass er nach Tupita gesucht hatte.
Viele goreanische Männer geben in ihrem Stolz nicht zu, Sklavinnen Beachtung zu schenken. Sogar der Gedanke daran scheint sie in Verlegenheit zu bringen. Wer gibt sich schon mit einer wertlose Schlampe im Kragen ab? Und trotzdem sind Männer oft bereit, für solche köstlichen und hilflos und versklavten Frauen zu töten. Und hätte ich ihn nicht so attraktiv gefunden und wäre ich nicht in meiner Eitelkeit über meine eigene Schönheit und Anziehungskraft gefangen gewesen, hätte ich das sofort verstehen können. Sicher hätte er sofort nach ihr gefragt. Ich hätte ihm nicht helfen können. Dann war er Tyrrhenius’ Männern in die Hände gefallen und war an die Schwarze Kette des Ionicus verkauft worden.
»Oh«, rief Tupita, »ich liebe dich so sehr! Ich liebe dich so sehr, mein Herr!«
Sklavenmädchen müssen alle freien Männer mit »Herr« anreden. Die Anrede »mein Herr« ist, wenn sie gebraucht wird, aber gewöhnlich für den derzeitigen Herrn des Mädchens reserviert, dem sie gerade gehört. Als ich zum Beispiel in Argentum war, war es korrekt, wenn ich den Ausdruck »Herr« für Tyrrhenius’ Männer und alle freien Männer benutzte, der Ausdruck »mein Herr« war aber nur für Tyrrhenius selbst angemessen. Sicher benutzt ein Mädchen manchmal die Anrede »mein Herr« bei einem Mann, der nicht ihr Eigentümer ist, vielleicht um bei ihm den Eindruck zu erwecken, dass er für sie wie ihr Eigentümer ist. Damit kann sie versuchen, einen Mann zu etwas überreden oder ihm zu schmeicheln. Das kann aber auch gefährlich für das Mädchen sein. Der Mann weiß natürlich, dass er nicht ihr Eigentümer ist. Aber Tupita benutzte die Anrede so spontan, so herzlich, dass sie nur aussprach, was sie in ihrem Herzen empfand, dass sie Mirus gehörte, dass sie in ihrem Herzen seine Sklavin war.
»Versuche aufzustehen, Herr.« drängte ihn Tupita.
Aber er blieb dort zusammengekauert, wo er war, mit der Hand am Schwert, mit dessen Hilfe er sich aufrecht hielt.
»Steh auf, Herr.« sagte Tupita. »Versuche aufzustehen. Versuche es! Bitte, Herr! Wir müssen weg von hier, bevor die Männer zurückkommen!«
»Es ist zu spät!« rief Tela, die noch immer an das Geländer gebunden war.
Ich wand mich in meinen Fesseln im Gras. Ich war wie Tela, Mina und Cara immer noch hilflos an das Geländer gefesselt.
»Wir konnten ihn nicht finden.« sagte Fulvius.
»Vielleicht ist das gut so.« bemerkte Callisthenes.
»Kette die Schlampen zusammen«, sagte Fulvius zu Callisthenes, »wir bringen sie zum Wagen. Ich töte diesen Mann.«
»Nein!« schrie Tupita auf.
»Er steht auf seinen Füßen.« warnte der Mann mit dem verbundenen Arm.
Mirus hatte sich auf seine Füße gekämpft und umklammerte sein Schwert.
»Bleib hinter mir.« befahl er Tupita.
»Herr.« sagte sie.
»Jetzt.« befahl er.
Sie gehorchte.
»Ah, Sempronius«, sagte Fulvius, »nun sieh dir das an!«
Es war das erste Mal, dass ich den Namen des Mannes mit dem verbundenen Arm hörte.
»Ich sehe es.« antwortete Sempronius.
»Jetzt gibt es keinen Grund mehr für dich, so zimperlich zu sein.« fuhr Fulvius fort. »Siehst du das? Hier ist er! Er steht aufrecht und ist bereit für einen fairen und guten Kampf.«
»Er kann kaum stehen und sein Schwert kaum halten.« antwortete Sempronius.
»So ist das Kriegsglück.« sagte Fulvius.
»Nimm die Frauen und lass ihn laufen.« sagte Sempronius.
»Diese kannst du nicht bekommen.« mischte sich Mirus ein und deutete auf Tupita.
»Überlass mich ihnen!« flehte die ihn an.
»Nein.« lehnte er ab.
»Ich habe nicht gern einen Feind im Rücken«, sagte Fulvius, »du etwa?«
Ich glaube, Fulvius hatte begriffen, dass Mirus, wenn er sich erholt hatte, sie wahrscheinlich verfolgen und jagen würde, vielleicht um seine Ehre wiederherzustellen, vielleicht um Tupita oder mich zurückzuerlangen, vielleicht um Hendow zu rächen.
Sempronius zuckt mit den Schultern.
»Du warst zuerst hier«, sagte er, »dein Schwert wird es schon machen.«
»Also los, mein Freund.« sagte Fulvius zu Mirus.
»Nein.« weinte Tupita.
»Zurück, Sklavin!« befahl Sempronius. »Lasse ihm wenigstens die Würde, auf seinen Füßen und mit dem Schwert in der Hand zu sterben.«
Mirus kämpfte darum, seine Klinge hochzuheben. Er hielt den Griff mit beiden Händen.
»Seht!« sagte da Tupita und zeigte auf die Wiese hinter Fulvius und Sempronius.
Callisthenes stand seitwärts von ihnen. Er hatte damit gezögert, die Mädchen vom Geländer zu lösen, um sie zu einer Sklavenkette zusammenzuketten, vielleicht um Mirus’ Ende noch mit anzusehen. Fulvius trat einige Schritte zurück und sah sich um. Sempronius, der sich halb herumgedreht hatte, beobachtete irgend etwas. Er zog sein Schwert. Ich hörte, wie Callisthenes links hinter mir ebenfalls sein Schwert zog. Ich versuchte, ein Stück auf meine Knie zu kommen, konnte es wegen der Fesseln an meinen Knöcheln und Handgelenken aber nicht. Von meinem Platz aus konnte ich wenig mehr als das hohe Gras sehen.
»Ihr konntet ihn nicht finden«, bemerkte Mirus, »aber es scheint, als hätte er euch gefunden.«
Ich konnte sehen, wie eine einsame Gestalt sich durch das Gras näherte.
»Es ist ein Räuber«, stellte Fulvius fest, »er ist maskiert.«
Ich keuchte auf. Einen Augenblick lang dachte ich, ich würde sterben. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Ich wollte nicht ohnmächtig werden. Ich spürte plötzlich Hitze, eine große, hilflose Hitze in meinem Bauch. Es schien als stünden meine Schenkel in Flammen. Ich war hilflos gefesselt. Meine Erscheinung entsprach der einer Sklavin. Ich hoffte, dass die Männer mich nicht riechen konnten. Dann erschrak ich.
»Sein Gesicht ist nicht zu erkennen.« stellte Callisthenes fest.
»Schwärmt aus«, befahl Fulvius, »Callisthenes nach links, Sempronius nach rechts.«
Plötzlich bewegte sich der Fremde mit großer Geschwindigkeit auf Fulvius zu. Die Schnelligkeit seines Angriffs überraschte Fulvius. Er hatte kaum Zeit, sein Schwert zu heben. Ich konnte der Bewegung des Stahls nicht folgen, so schnell war sie. Callisthenes und Sempronius eilten, nachdem sie einen Moment wie erstarrt, erschrocken und schockiert die Geschwindigkeit des Angriffs des Fremden verfolgt hatten, auf ihn zu, doch dann hielten sie inne. Der Fremde war schnell und vorsichtig zurückgewichen.
Vor ihm war Fulvius zusammengebrochen. Er war auf allen vieren, sein Kopf hing herunter. Er zitterte. Er spuckte Blut und hustete. Dann sank er ins Gras und rollte langsam auf den Rücken. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. Dann starrte er aufwärts in den Himmel, aber er nahm nichts mehr wahr. Tela schrie auf und schien erst jetzt zu erfassen, was geschehen war.
Der Fremde hatte den Männern keine Gelegenheit gegeben, ihn einzukreisen und in die Zange zu nehmen. Sie hatten ihre Kampfpositionen nicht mehr rechtzeitig einnehmen und ihre Kräfte vereinen können weil er sich viel zu schnell bewegt hatte. Sogar Fulvius, von dem ich aus den vorigen Kämpfen wusste, dass er ein Meister der Verteidigung war, hatte ihm nicht widerstehen können. Ich glaube, die Klingen hatten sich nicht mehr als drei- oder viermal gekreuzt, bevor der Fremde zurückgesprungen war.
Ich schauderte. Ich hatte Angst vor diesem Mann, vor diesem Schwertkämpfer. Ich hatte nicht geahnt, dass man eine Klinge auf diese Weise handhaben konnte. Es war eine ehrfurchtgebietende Demonstration seines Könnens gewesen. Es schüttelte mich, wenn ich nur daran dachte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich mir verzweifelt gewünscht, weglaufen zu können. Aber ich war gefesselt.