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Ich fragte mich, ob ich in der falschen Zeit geboren war. Sicher wäre eine Frau wie ich in Theben, Rom oder Damaskus besser zurechtgekommen. Aber ich lebte so, wie ich war, in der heutigen Zeit. Zeigte das nicht, dass es irgendwo, irgendwie etwas geben musste, das die Antwort war auf meine Sehnsüchte, meinen Hunger und meine Schreie? Was war es, das mich in die Dunkelheit hinausschreien ließ, wenn dort niemand war, der es hörte?

›Sei doch froh, dass dort niemand ist, du Närrin.‹ beschimpfte ich mich.

Natürlich gab es niemanden. Ich beruhigte mich etwas. Wie schrecklich wäre es, wenn es solch einen Mann gäbe.

Ich beschloss, jetzt zu tanzen. Ich erinnerte mich an den Mann im Gang, der während des Vorfalls vor etwa drei Monaten im Zusammenhang mit Harpers »Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer« von einer längst vergangenen Welt gesprochen hatte, einer Welt, in der Frauen wie ich als Sklavinnen gekauft und verkauft worden waren. Ich unterdrückte diesen Gedanken sofort. Aber ich wusste, dass es noch einen Grund gab, warum ich in die Bibliothek ging um zu tanzen, einen Grund, den ich mir selten eingestand. Hier, an dieser Stelle zu meiner Linken, hatte ich vor einem Mann gekniet und laut gesagt: »Ich bin eine Sklavin.«

Ich wollte jetzt tanzen. In meiner Fantasie, einer aufregenden Fantasie, wollte ich Sklavin auf einer solchen Welt sein und vor meinen Herren tanzen. Oh, ich wollte gut tanzen!

Die Herren, von denen ich träumte, waren natürlich keine Erdenmänner oder jedenfalls anders als die meisten Männer von der Erde. Nein, sie wären anders. Sie wären völlig anders. Sie wären so, dass ein Mädchen, das vor ihnen tanzte, dies voller Angst um ihr Leben tun würde, realistisch und verzweifelt, hoffend, ansprechend oder akzeptabel gefunden zu werden. Sie wären richtige Männer. Sie wären ihre Herren.

Ich drückte die Taste des Tonbandgerätes und tanzte dort, in der Dunkelheit, in der Bibliothek, meine bloßen Füße fühlten den dünnen, fleckigen Teppich, zum weichen Klang der Glöckchen, die an meinen Knöchel gebunden waren. Ich tanzte eine Zeitlang, verloren in meinen Wonnen, ich tanzte oder versuchte es, so wie ich es mir vorgestellt hatte, als ängstliche Sklavin, vor denen, die über Leben und Tod bestimmten, vor ihren Herren.

Plötzlich schrie ich erschrocken auf. Ich blieb stehen, mit einem Klingen der Glöckchen und schwingendem Rock. Ich schreckte zurück, meine Hand fuhr an meinen Mund.

»Wer sind Sie?« rief ich der Gestalt zu, die im Schatten einige Fuß entfernt stand, aber ich wusste die Antwort schon.

Ich wich zurück, meine Hand an meiner Brust. Ich wurde mir plötzlich meiner bloßen Füße, der Glöckchen an einem, der Fußkettchen am anderen Knöchel, der Nacktheit meiner Beine unter dem schwingenden, schleierähnlichen Rock, meiner entblößten Taille, Arme und Schulter, des Schmucks an mir bewusst. Meine Brüste hoben sich, ich rang nach Luft in dem scharlachroten Gewand, das sie bedeckte. Ich streckte abwehrend meine Hand aus, als wollte ich die Gestalt zurückstoßen.

»Wer sind Sie?« rief ich.

»Denkst du, du kannst mit mir spielen?« fragte er.

»Was wollen Sie hier?« schrie ich.

»Kannst du das nicht erraten?« fragte er.

»Sie haben hier nichts zu suchen«, sagte ich, »verschwinden Sie!«

»Ich habe hier geschäftlich zu tun.« sagte er.

Ich schaute wild um mich, bereit, mich umzudrehen und zu fliehen, als ich wieder aufschrie. Rechts von mir war plötzlich noch ein Mann. Ich wirbelte herum. Links hinter mir, nur wenige Fuß entfernt, war noch jemand!

Der Mann rechts von mir schaltete das Tonbandgerät aus. Ich stand da, mit schwingendem Rock und Glöckchen. Dann floh ich plötzlich zwischen dem Mann vor mir und dem zu meiner Rechten hindurch, zwischen die Tische und rannte in Richtung der Regale. Ich glaube, der Kerl rechts von mir verfolgte mich. Ich flüchtete mit klingenden Glöckchen die Treppen hinunter zur unteren Etage. Dort rüttelte ich heftig an der schweren Tür. Ich war in Panik. Ich wollte in die Nacht hinauslaufen, so wie ich war.

Die Tür bewegte sich nicht. Die Klinke schien seltsam warm zu sein, genauso wie das Schloss. Ich keuchte auf. Der Bereich schien gewellt. Offenbar war er großer Hitze ausgesetzt gewesen, war dadurch geschmolzen und dann wieder erstarrt. Die Tür wollte nicht aufgehen. Sie schien irgendwie zugeschweißt.

Ich hörte die Männer hinter mir, oder einen von ihnen, und flüchtete zur anderen Treppe, dort wieder nach oben, zur Hauptetage der Bibliothek. Ich eilte zum Haupteingang. Der Kerl, den ich zuerst gesehen hatte, stand jetzt dort und versperrte die Tür. Er sah mich an. Er steckte ein kleines Gerät in seine Tasche.

›Die Tür‹, dachte ich verzweifelt, ›ist jetzt auch dicht. Sie verriegeln Tür für Tür!‹

Zweifellos könnten sie genauso leicht mit Hitze Türen öffnen. Diese Technik erschreckte mich. Ich drehte mich wieder um und flüchtete dorthin zurück, wo ich ursprünglich überrascht worden war. Links war jetzt der Rückgabeschalter, der Auskunftsschalter vorn und rechts von mir. Ich drehte mich unvermittelt nach links und floh den hallenähnlichen Gang zwischen den Regalen und den Toiletten entlang. Am Ende des Gangs erspähte ich noch einen Mann. Ich glaube, das war der, der mir zuerst gefolgt war. Ich lief nach links, um mich auf der Damentoilette einzuschließen, aber die Tür hing schief in den Scharnieren. Ich hatte nichts brechen gehört. Sie mussten es wieder mit ihrem Hitzegerät getan haben. Die Tür konnte mir nichts nützen! Dort konnte ich mich nicht verstecken! Ich schluchzte in meiner Not auf.

Aber dann fiel mir ein, dass ich ertappt worden wäre, wenn ich mich dort versteckt hätte. Sie hätten diese Tür sicher genauso leicht geöffnet, wie sie die anderen Türen geöffnet und versperrt hatten. Warum hatten sie dann diese Tür mit Gewalt geöffnet? Niedergeschmettert erkannte ich, sie hatten sich amüsiert und mir zeigen wollen, dass es dort kein Versteck für mich gab!

Gleichzeitig war das auch symbolisch. In meiner Kultur betraten Männer die Damentoilette einfach nicht. Diese Grenze durften sie nicht überschreiten. Es war ein Platz, wo Frauen hingehen und sich sicher fühlen konnten. Aber jetzt wurde mir gezeigt, dass es diese symbolische Sicherheit, diese armselige Erfindung der Konventionen, für mich nicht mehr gab. Es gab kein Versteck! Es gab keinen sicheren Platz! Diese Männer, fürchtete ich, kamen von dort, wo Frauen, oder Frauen einer bestimmten Art, nicht sicher waren. Sie kamen von dort, wo Frauen von ihnen überallhin verfolgt werden konnten.

Ich floh den hallenähnlichen Gang zurück zum Auskunftsschalter und blieb plötzlich, mit lautem Klingeln der Glöckchen kurz vor dem Ende des Gangs stehen. Gehetzt sah ich mich um. Ich hatte Angst, unversehens einem der Männer in die Arme zu laufen. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Der Verfolger kam näher. Ich wandte mich nach rechts, wieder zum Haupteingang zurück. Vielleicht versperrte der erste Mann, den ich als ersten gesehen hatte, den ich kannte, ihn nicht mehr! Aber er war immer noch da! Ich schrie in meiner Not auf, rannte über die offene Fläche, am Auskunftsschalter und dem Büro vorbei, hinter die Zeitschriftenregale zum Lesesaal in Richtung der Haupthalle. Diese Tür war auch versperrt. Ich versuchte, einen der kleinen Sessel anzuheben, um ihn durch eines der hohen, schmalen Fenster zu werfen, aber er war zu schwer für mich und der Mann war außerdem jetzt dicht hinter mir. Selbst wenn ich den Sessel hätte hochheben können, hätte er mich eingeholt, bevor ich das rettende Fenster erreicht hätte.

Wieder rannte ich zurück zur Hauptabteilung der Bibliothek. Die Männer, so schien es, hatten keine Eile, mich einzufangen. Sie ließen mich rennen, vielleicht, um mich fühlen zu lassen, wie vergeblich das war. Ich überquerte die offene Fläche des Zentralabschnitts der Bibliothek und rannte die eiserne Treppe mit dem Holzgeländer hoch zur oberen Etage mit den Biographien und der Belletristik. Meine bloßen Füße machten ein seltsames Geräusch, als sie die Stufen berührten. Ich fragte mich, ob sie jemals mit bloßen Füßen erklommen worden waren. Ich glaubte es nicht. Die geriffelte Oberfläche der Stufen fühlte sich merkwürdig an.