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Als sie damit fertig war, wurden in dem aufwärts führenden Gang die schleifenden Schritte chitingepanzerter Füße laut, und wenige Augenblicke später erschienen die beiden Hornköpfe und die dritte Drachenreiterin, deren Namen Tally noch nicht kannte. Rasch trat sie auf Lyss zu, verbeugte sich demütig und sagte: »Ihr habt mich rufen lassen, Gebieterin?«

Lyss ignorierte sie einfach. Statt dessen trat sie auf Vakk zu, deutete auf ihn, dann auf Tally und schließlich wieder auf ihn und gab wieder einen jener sonderbar hohen Pfeiflaute ab, offensichtlich ein Wort in der Sprache dieser entsetzlichen Kreatur.

Der Hornkopf kippte seinen ganzen gewaltigen Körper nach vorne, um ein menschliches Nicken zu imitieren, trat an Lyss vorbei und blieb dicht vor Tally stehen. Der Blick seiner ausdruckslosen Facettenaugen richtete sich auf ihr Gesicht, und obwohl sie diesmal gewarnt war und ihm auswich, begann sie sich fast sofort wieder unwohl zu fühlen.

Erst jetzt, als sie ihm kaum auf Armeslänge gegenüberstand, sah sie, wie groß und massig der Hornkopf wirklich war. Sein gewaltiger Käferleib mußte eine Tonne wiegen. Die riesigen Beißzangen, die wie eine barbarische Krone hoch über seinen gehörnten Schädel hinausragten, streiften fast die Decke des Raumes. Jedes einzelne seiner sechs Beine war so dick wie Tallys Oberschenkel, und mit stahlhartem Chitin gepanzert. Aus den Enden seiner beiden Beinpaare wuchsen Hände, jede mit mindestens zehn Fingern und drei Daumen, wovon die beiden oberen kräftig und sehr groß, die unteren Hände beinahe zart, dafür aber sehr geschickt, wirkten. Sein Rückenpanzer zitterte ganz leicht, und Tally sah jetzt, daß er in der Mitte gespalten war. Darunter glänzte das filigrane Gespinst durchsichtiger Käferflügel. Die Chitinplatten, die sie bedeckten, waren so dick wie Tallys Daumen.

»Also«, sagte Lyss befehlend. »Jetzt erzähle.«

Tally gab sich alle Mühe, dem Blick des Riesenkäfers auszuweichen, als sie zu ihr aufsah. »Was... soll ich erzählen Gebieterin?« fragte sie stockend.

Ein Schatten huschte über Lyss' Gesicht. »Deine Geschichte, Tally«, antwortete sie unwillig. »Das, was du uns vorhin erzählt hast. Oder hast du sie schon vergessen?« Sie lächelte böse, schob ihre Waffe in den Gürtel zurück und kam näher, blieb aber ein Stück hinter und neben Vakk stehen.

»Aber das... das habe ich doch schon«, stammelte Tally. »Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß!«

»Dann tu' es noch einmal«, fauchte Lyss ungeduldig. Sie deutete auf Vakk. »Ich möchte es noch einmal hören, verstehst du? Von Anfang an. Er wird erkennen, ob du die Wahrheit sagst.«

Tally fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Ihre Hände wurden feucht vor Schweiß, und ihr Gaumen war mit einem Male zu trocken, daß sie kaum mehr sprechen konnte. Ihre Gedanken überschlugen sich schier. Etwas in ihr hatte sich bisher noch immer an die Hoffnung geklammert, daß Lyss sie schlichtweg getäuscht hatte, um sie aus der Reserve zu locken, aber jetzt wußte sie, daß das nicht stimmte. Vakk war sicherlich kein Telepath, der in ihren Gedanken lesen konnte wie in einem offenen Buch, aber Lyss schien sehr sicher zu sein, daß er Lüge und Wahrheit zu unterscheiden vermochte. Und das Ergebnis blieb sich – zumindest für Tally – gleich. Ihre Lage war verzweifelt. Selbst, wenn sie eine Waffe gehabt hätte – sie bezweifelte, daß ein normales Schwert überhaupt in der Lage war, diesem Monstrum mehr als einen harmlosen Kratzer beizubringen. Wo blieben die Wagas?

»Was ist?« fragte Lyss scharf. »Hast du deine Zunge verschluckt, oder überlegst du dir eine neue Lüge? «

»Ich... ich habe nicht gelogen, Gebieterin«, stammelte Tally. Sie deutete auf Vakk. Ihr Hand zitterte. »Aber er macht mir Angst. Schickt ihn fort, bitte.«

Lyss' Augen wurden schmal. Aber dann hob sie zu Tallys Überraschung die Hand und machte eine knappe, befehlende Geste. »Geh ein Stück zurück, Vakk«, sagte sie.

Der Hornkopf gehorchte tatsächlich. Schlurfend bewegte er sich rückwärts, bis sein gekrümmter Rückenschild fast gegen den Vorhang stieß, und blieb wieder stehen. Tally sah, wie sich die Falten des blauen Samtstoffes ganz sacht bewegten. Fast, als bausche sie der Wind.

Aber nur fast.

»Bist du jetzt zufrieden?« fragte Lyss ungeduldig. Tally nickte. »Danke. Verzeiht, Herrin, aber er... er sieht so schrecklich aus. Ich habe Angst vor ihm. «

»Jetzt rede«, befahl Lyss unwirsch. »Erzähle alles noch einmal. Genau so, wie du es Maya und mir erzählt hast.« Tally gehorchte. Sie begann mit ihrem Namen und der Tatsache, daß sie Hrabans Frau und seine Nachfolgerin war, berichtete dann von dem Sandsturm und davon, daß sie sich in diesem Turm gerettet hatte, ohne selbst genau sagen zu können, wie es ihr gelungen war, die mannigfaltigen Sperren zu überwinden, die ihn umgaben. Nichts von dem, was sie sagte, war direkt gelogen, aber sie bildete sich trotzdem nicht ein, Vakk auf diese Weise lange Zeit narren zu können. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Zeit. Nervös blickte sie zu Vakk hoch. Der Blick seiner gläsernen Augen war ausdruckslos wie immer, aber seine kleinen Hände hoben und senkten sich nervös, und manchmal drang ein knisternder Laut unter seinem Panzer hervor, wenn sich die Hügel darunter bewegten.

Als sie bei der Stelle ihrer Erzählung angekommen war, an der sie den eigentlichen Turm betrat, unterbrach sie Lyss. »Du hast also alles ganz genau so vorgefunden, wie es jetzt ist?« sagte sie lauernd. »Dies alles hier war bereits verwüstet, ehe du kamst?«

Tally warf einen nervösen Blick auf Vakk, ehe sie nickte. »Ja, Herrin«, sagte sie.

Vakk hob eine seiner zahlreichen Hände. »Hschieee hlhüüüükt«, hauchte er.

Es dauerte einen Moment, bis Tally begriff, daß dieses entsetzliche Wesen gesprochen hatte – seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, lächerlich angesichts seiner gewaltigen Größe, und seine Worte derart verzerrt, daß Tally sie eher erriet, als sie sie verstand. Aber sie sah, wie Lyss erbleichte. Ihre Hand näherte sich erneut der fürchterlichen Waffe in ihrem Gürtel.

»Du lügst!« wiederholte sie Vakks Worte.

»Stimmt«, antwortet Tally. Dann sprang sie.

Ihr Angriff mußte so ziemlich das Letzte gewesen sein, womit Lyss gerechnet hatte, denn sie machte nicht die leiseste Bewegung, ihr auszuweichen, sondern stand wie versteinert da, bis Tally gegen sie prallte und sie von den Füßen riß. Hinter ihr erscholl ein schriller, keuchender Schrei, und noch während sie zusammen mit Lyss zu Boden stürzte, sah sie, wie der riesige Samtvorhang plötzlich zu bizarrem Leben zu erwachen schien und sich wie ein Netz auf Vakk herabsenkte. Dann erwachte Lyss endlich aus ihrer Erstarrung, und für die nächsten Augenblicke hatte Tally anderes zu tun, als auf Vakk und die beiden Wagas zu achten.

Sie spürte gleich, daß sie viel stärker und geschickter war als die Drachenreiterin. Aber Lyss wehrte sich mit der Kraft und Wut einer Wildkatze. Tallys Knie nagelte ihre rechte Hand an den Boden, so daß sie ihre Waffe nicht ziehen konnte, aber ihre andere Hand schlug und kratzte nach ihrem Gesicht, während sie wie von Sinnen mit den Beinen strampelte und ihr immer wieder die Knie in den Rücken stieß.

Tally versetzte ihr einen Faustschlag gegen die Schläfe. Lyss bäumte sich auf, schrie vor Schmerz und erschlaffte plötzlich.

Aber sie hatte die dritte Drachenreiterin vergessen. Tally sah einen Schatten auf sich zurasen, zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern und hob schützend die Hand vor das Gesicht. Trotzdem traf sie der Tritt mit solcher Wucht, daß sie von Lyss' Brust herunterkippte und haltlos über den Boden rollte. Die Frau in der schwarzen Lederbekleidung setzte ihr nach, trat abermals nach ihrem Gesicht und stieß ein überraschtes Keuchen aus, als Tally ihren Fuß packte und so wuchtig herumdrehte, daß sie nun ihrerseits das Gleichgewicht verlor. Noch im Fallen versuchte sie ihre Waffe zu ziehen, aber Tally ließ ihr keine Chance. Blitzschnell packte sie ihre Hand, verdrehte sie und brach ihr mit einem harten Ruck den Arm.