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Das Gesicht der jungen Frau verzente sich vor Schmerz. Sie krümmte sich und begann zu wimmern.

Tally drehte sie grob auf den Rücken, schlug ihr die Faust unter das Kinn und hob in der gleichen Bewegung die Waffe auf, die sie fallengelassen hatte. Ihr Daumen senkte sich auf das rote Dämonenauge in ihrem Griff. Sie hatte sehr genau hingesehen, wie die Drachenreiterinnen ihre Waffen handhabten.

Aber es war nicht nötig, sie zu benutzen. Die beiden Riesenameisen standen einfach blöde da und glotzten; denn schließlich hatte ihnen niemand gesagt, daß sie in den Kampf eingreifen sollten. Und als Tally sich herumdrehte, waren Hrhon und Essk gerade dabei, ein zappelndes blaues Riesenpaket über die Balkonbrüstung zu hieven, was offensichtlich ihre gesamte Kraft in Anspruch nahm. Vakk wehrte sich verzweifelt, aber der Vorhang preßte seine Glieder erbarmungslos zusammen, und selbst seine gewaltigen Kräfte schienen nicht auszureichen, den schweren Samtstoff zu zerreißen. Nur eine seiner kleinen, vielfingrigen Hände ragte zwischen den blauen Falten hervor und versuchte, sich an der Balkonbrüstung festzuhalten. Hrhon schlug so wuchtig mit der Faust zu, daß fünf oder sechs der winzigen Klauen abbrachen.

Tally drehte sich wieder herum und sah auf Lyss herab. Die Drachenreiterin war bei Bewußtsein, schien aber nicht die Kraft zu haben, sich zu erheben; denn als sie es versuchte, knickten ihre Arme unter ihrem Körpergewicht ein. Sie fiel auf das Gesicht und schlug sich die Lippen blutig. Ein leises, qualvolles Stöhnen drang aus ihrer Brust.

»Steh auf!« befahl Tally kalt.

Lyss stöhnte erneut, stemmte sich mühsam auf Knie und Ellbogen hoch und sah sie haßerfüllt an. Ein dünner Blutfaden sickerte aus ihrer aufgeplatzten Lippe und zog eine rote Spur über ihr Kinn. »Spring in den Schlund, du Miststück«, stöhnte sie.

Tally lächelte dünn, packte mit der linken Hand ihr Haar, riß ihren Kopf in den Nacken und schlug ihr den Lauf der Waffe ins Gesicht. Lyss schrie vor Schmerz, stürzte abermals zu Boden und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.

»Steh auf!« sagte Tally noch einmal.

Dieses Mal gehorchte Lyss. Stöhnend stemmte sie sich auf die Knie, blieb einen Moment reglos sitzen und stand vollends auf, als Tally drohend die Hand hob. Ihr Gesicht begann bereits anzuschwellen, wo sie Tallys Schlag getroffen hatte. Aber der Ausdruck in ihren Augen war keine Furcht, sondern Haß, ein so heißer, ungezügelter Haß, daß Tally innerlich erschauerte. »Das wirst du bereuen, du Miststück!« sagte sie. »Ich werde dich vernichten. Ich werde deine ganze Sippe auslöschen und...«

Tally schlug noch einmal zu. Lyss krümmte sich stöhnend, schlug die Hände gegen den Leib und sank ganz langsam vor Tally auf die Knie. Ihr Gesicht wurde noch bleicher, als es ohnehin schon war.

»Nun?« sagte Tally freundlich. »Soll ich weitermachen, oder ziehst du es vor, mir auf meine Fragen zu antworten?«

»Du kannst mich erschlagen, wenn du willst«, stöhnte Lyss. »Von mir erfährst du nichts.«

Im gleichen Moment erscholl hinter Tally ein schrilles, unglaublich zorniges Pfeifen, und nahezu gleichzeitig schrien auch Hrhon und Essk erschrocken auf. Tally fuhr herum – und erstarrte einen Moment lang vor Schrecken.

Ein gigantisches, schwarzglänzendes Etwas stürzte sich auf den Balkon herab, getragen von einem doppelten Paar lächerlich kleiner Käferflügel und mit weit ausgebreiteten Armen und gierig geöffneten Zangen. Die faustgroßen Facettenaugen Vakks flammten vor Wut, und aus seinem dreieckigen Insektenmaul drangen pfeifende, schrille Töne, so hoch, daß sie in Tallys Ohren schmerzten.

Einzig seine eigene Größe hinderte den Hornkopf daran, wie ein lebendes Geschoß direkt in den Raum hineinzurasen und sofort über die beiden Wagas und Tally herzufallen. Der Balkon erbebte wie unter einem Hammerschlag, als der gigantische Hornkopf landete und ungeschickt gegen die Wand prallte. Hrhon nutzte den Augenblick, sich mit geballten Fäusten auf ihn zu stürzen, aber Vakk traf ihn noch im Fallen mit einer seiner gewaltigen Fäuste; der Waga taumelte wie unter einem Tritt einer Hornbestie zurück und fiel auf den Rücken.

Ein harter Schlag traf Tallys Handgelenk und lähmte es. Sie schrie auf, ließ die Waffe fallen und konnte gerade noch die Hand hochreißen, um zu verhindern, daß Lyss' Fausthieb ihr Gesicht traf. Trotzdem ließ der Hieb sie zurücktaumeln und das Gleichgewicht verlieren. Sie fiel ungeschickt auf die Knie, registrierte verwundert, daß Lyss die Gelegenheit nicht nutzte, ihr nachzusetzen und sie vollends kampfunfähig zu machen, und begriff beinahe zu spät, was dieses Zögern bedeutete.

Sie reagierte im letzten Augenblick auf den Angriff des Ameisenabkömmlings, der mit gierig schnappenden Mandibeln auf sie zustürzte. Blitzschnell duckte sie sich unter den gewaltigen Beißzangen hindurch, schlug zwei seiner vier Arme beiseite und brach sich fast die Hand, als ihre Faust auf den stahlharten Panzer des Hornkopfes krachte. Dann fühlte sie sich von fünf oder sechs unmenschlich starken Händen gleichzeitig gepackt und zu Boden gerungen. Ein paar armlanger, rostbrauner Mandibeln schnappte vor ihrem Gesicht auseinander und zuckte auf ihren Hals herab.

Der Hornkopf führte die Bewegung nie zu Ende. Ein braungrün gefleckter Gigant erschien über ihm, bog seine Zangen ohne sichtliche Anstrengung auseinander und schlug ihm mit einem einzigen wütenden Hieb den Schädel ein. Einen Sekundenbruchteil später wirbelte Hrhon herum, packte auch den zweiten Hornkopf und warf ihn kurzerhand gegen die Wand. Das Brechen seines Chitinpanzers klang wie splitterndes Glas in Tallys Ohren.

Aber es war noch nicht vorbei. Hrhon fuhr herum und jagte brüllend vor Wut zu Essk zurück, die in ein verzweifeltes Handgemenge mit Vakk verstrickt war, und als Tally sich endlich unter dem toten Hornkopf hervorgearbeitet hatte, war Lyss ein paar Schritte entfernt auf die Knie gefallen und gerade im Begriff, ihre Waffe aufzuheben. Die Entfernung zwischen ihr und Tally betrug nicht einmal drei Schritte – aber Tally wußte, daß sie es nicht schaffen würde.

Es war nicht mehr die Frau in ihr, die reagierte, sondern nur noch die Kriegerin. Ohne wirklich zu denken, ließ sie sich zur Seite fallen, rollte auf die verwundete Drachenreiterin zu und über sie hinweg. Ihr Hand fand den Dolch im Gürtel der Bewußtlosen und riß ihn heraus.

Lyss und sie kamen im gleichen Moment auf die Knie. Und Lyss feuerte ihre Waffe im selben Moment ab, in dem Tally den Dolch schleuderte.

Es ging unglaublich schnell, und es war entsetzlich. Tally sah keinen Blitz, sie hörte nichts, spürte nichts – und doch war es, als jage eine unsichtbare Riesenfaust an ihr vorbei, so dicht und mit solch ungeheuerlicher Gewalt, daß sie ihren Luftzug wie einen Hieb spürte. Aber die Götterfaust traf nicht sie, sondern die Drachenreiterin.

Der Körper der Bewußtlosen wurde in die Höhe und herumgerissen. Blaue Flammen huschten wie Elmsfeuer durch ihr Haar, schlugen Funken aus ihren Augen und den Fingerspitzen und huschten auf winzigen flammenden Füßchen über die Metallteile ihrer Ausrüstung, und plötzlich begann sich ihre Haut zu kräuseln, schmolz wie Wachs unter der Glut der Sonne und wurde braun. Beißender Qualm stieg von ihrem Haar und dem schmelzenden Leder ihrer Kleidung auf.

Tally wandte mit einem Schreckenslaut den Blick, spannte instinktiv jeden Muskel im Leib und wartete darauf, daß Lyss ihre schreckliche Waffe ein zweites Mal abfeuerte, um auch sie zu töten.

Aber Lyss schoß nicht mehr. Lyss war tot. Tallys Dolch hatte ihre Kehle durchbohrt und sie auf der Stelle getötet. Für die Dauer eines einzelnen, quälend schweren Herzschlags blieb Tally einfach so auf den Knien hocken, reglos, unfähig, sich zu bewegen, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen oder irgend etwas anderes zu empfinden als pures Entsetzen. Sie hatte den Tod in tausendfacher Gestalt erlebt und selbst gebracht, aber sie hatte niemals ein solches Grauen verspürt wie in diesem Moment. Der Gedanke, daß Menschen eine solche Waffe erfinden und gegen Menschen verwenden sollten, raubte ihr fast den Verstand.