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»He!« keuchte er. »Das... das war nicht vereinbart.«

»Was war nicht vereinbart?« fragte Tally, perfekt die Ahnungslose spielend.

»Der... der Kerl da!« stammelte Weller. Seine ausgestreckte Hand deutete anklagend auf Hrhon. »Den fahre ich nicht! Der Bursche wiegt mindestens seine dreihundert Pfund!«

»Eher vierhundert«, verbesserte ihn Tally lächelnd.

»Und ich dachte, wir wären uns über den Preis einig?«

»Du hast nicht gesagt, daß dein Begleiter ein Fischgesicht ist!« antwortete Weller zornig. »Der Kerl kann von mir aus die Klippe hinunter springen. Mit mir fährt er nicht!«

»Das solltest du dir überlegen«, sagte Tally. »Wir waren uns einig, und genau das habe ich Hrhon gesagt. Wenn er jetzt hört, daß du ihn nicht führst, könnte er denken; daß du uns betrügen willst. Er wird sehr wütend, wenn man ihn betrügt. Hast du schon einmal einen wütenden Waga erlebt, Weller?« fügte sie lächelnd hinzu.

Weller starrte sie aus flammenden Augen an, war aber klug genug, nicht mehr zu widersprechen, sondern ballte nur die Fäuste und stapfte zu seinem Feuer zurück. »Es war nicht vereinbart«, maulte er, während er zornig in seiner Suppe rührte. »Das kostet den doppelten Preis – wenn ich es überhaupt tue!«

»Du wirst es tun« versprach Tally. »Und den doppelten Preis zahle ich doch sowieso schon, oder nicht?« Sie schlug ihren Mantel zurück, trat an das Feuer heran und hielt die Hände so dichtüber die Flammen, wie es gerade nochging, ohne sie sich zu verbrennen. Weller fuhr fort, heftig in seiner Suppe zu rühren, wobei er Tally und Hrhon abwechselnd wütende Blicke zuwarf. Aber Tally wußte, daß er nicht mehr widersprechen würde. Sie hatte oft genug erlebt, wie der Anblick eines Waga auf einen Menschen wirkte.

Eine Weile saß sie einfach stumm vor dem Feuer, rieb die Hände aneinander und genoß das Gefühl, das Leben prickelnd in ihren Körper zurückkehren zu spüren. Sie merkte erst jetzt, wie kalt es auch hier drinnen war: ihr Atem erschien als unregelmäßige Folge grauer Dampfwolken vor ihrem Gesicht, und ihre Muskeln schmerzten, jetzt, als sie sich langsam entspannte.

»Ihr seid Betrüger«, sagte Weller plötzlich.

»Möglich.« Tally zuckte mit den Schultern. »Dann passen wir zusammen, nicht wahr? Wie viele unbedarfte Reisende hast du schon über's Ohr gehauen, Weller? Es sieht so aus, als wärst du je an der Reihe. Merk dir für die Zukunft, daß du dir deine Fahrgäste erst ansiehst, ehe du den Preis ausmachst.«

Weller hörte auf, wie besessen in der Suppe zu rühren, starrte sie einen Moment lang verdutzt an – und begann schallend zu lachen. »Du gefällst mir«, sagte er. »Wer weiß, vielleicht ist der Spaß ein bißchen Schweißarbeit wert. Woher kommt ihr?«

Tally deutete in die Richtung, in der sie Süden vermutete. »Dorther.«

Weller blinzelte. »Und wenn ich jetzt frage, wohin ihr wollt, wirst du vermutlich antworten –«

Tally deutete mit dem Daumen über die Schulter und nickte. »Dorthin, richtig.«

Weller seufzte. »Nun gut, warum frage ich auch. Geht mich nichts an, oder?« Er bückte sich, hob zwei verbeulte Blechteller vom Boden auf und füllte sie mit der dampfenden Suppe. »Hier, das wird euch guttun.«

Tally griff nach dem Teller und begann gierig zu essen. Die Suppe schmeckte nach nichts, aber sie war warm, und sowohl Tally als auch Hrhon verlangten einen Nachschlag, den Weller ihnen auch gab. Anschließend kuschelten sie sich nebeneinander ans Feuer, und plötzlich wurde Tally müde. Sie mußte mit aller Macht gegen den Schlaf ankämpfen, der sie übermannen wollte.

»Was sucht ihr in Schelfheim?« fragte Weller nach einer Weile.

Tally hob mühsam den Kopf und blinzelte zu ihm auf.

»Jemanden, der uns nicht mit neugierigen Fragen auf die Nerven fällt«, sagte sie matt.

Weller zog eine Grimasse. »Ich habe einen Grund, zu fragen«, sagte er. »Es gibt eine Menge neugieriger Augen und Ohren in der Stadt. Du könntest an den Falschen geraten, wenn du zu viele Fragen stellst. Möglicherweise findest du dich vor dem Stadthalter wieder...« Er seufzte. »Wenn du Informationen brauchst, kannst du sie von mir bekommen.«

»Und wer sagt mir, daß du uns nicht verrätst?«

Weller grinste. »Niemand. Außer der Tatsache vielleicht, daß ich davon lebe, verschwiegen zu sein.« Er zögerte einen ganz kurzen Moment. »Du bist Tally.« Tally setzte sich kerzengerade auf. Ihre Müdigkeit verflog schlagartig. »Woher weißt du das?« fragte sie.

»Das war nicht besonders schwer zu erraten«, antwortete Weller. Er deutete auf Hrhon, der zusammengekauert vor dem Feuer hockte und stumpfsinnig in die Flammen blinzelte. »Eine rabiate Amazone, die mit einem Waga durch die Lande zieht und neugierige Fragen stellt...« Er zuckte die Achseln. »Die Beschreibung paßt, findest du nicht? Du bist eine berühmte Frau, Tally.«

»Und eine wertvolle«, fügte Tally hinzu. Ihre Hand glitt zum Schwert.

Aber Wellers Grinsen wurde nur noch breiter. »Du enttäuschst mich, Tally«, sagte er. »Ich hätte das zehnfache der Belohnung einstecken können, die auf deinen Kopf steht, hätte ich all die verraten, die zu mir gekommen sind.«

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, erwiderte Tally. Ihr Blick glitt aufmerksam über Wellers Gestalt. Auch seine Hand lag auf dem Schwert, aber nicht in drohender Weise. Es war nur ein Reflex, als Antwort auf ihre Bewegung.

»Ich kann euch von Nutzen sein«, fuhr Weller fort. »Sagt mir, wen oder was ihr sucht, in Schelfheim, und ich bringe euch hin.«

Tally dachte einen Moment ernsthaft über seinen Vorschlag nach, schüttelte aber dann den Kopf. Die Verlockung, einen Führer zu haben, war groß. Aber sie waren bis jetzt allein gewesen, und ihre innere Stimme riet ihr, auch weiterhin nicht von dieser Taktik abzuweichen.

»Du bist mir zu teuer«, sagte sie. »Selbst, wenn ich dir vertrauen würde, könnte ich mir deine Dienste nicht leisten.«

»Womit wir beim Geld wären.« Weller stakste steifbeinig um das Feuer herum und streckte die linke Hand aus.

»Du schuldest mir zehn Goldstücke. «

Tally seufzte, griff aber unter ihren Mantel und zog die Geldbörse hervor. Sorgsam zählte sie zehn Goldheller ab, ließ sie in Wellers ausgestreckte Hand fallen und knotete die Börse wieder zu. Ihre Barschaft war jetzt auf vier Goldheller und ein paar kleinere Münzen zusammengeschmolzen; in einer Stadt wie Schelfheim gerade genug für eine Übernachtung und eine drittklassige Mahlzeit. Aber sie hatte auch nicht vor, lange in Schelfheim zu bleiben. Wenn sie Glück hatten und den Mann, den sie suchten schnell genug fanden – vorausgesetzt, es gab ihn überhaupt – vielleicht nicht einmal einen Tag. Tally hatte Städte nie gemocht, und Schelfheim – obwohl sie es bisher nur von weitem gesehen hatte – würde sie garantiert noch weniger mögen. Allein der Gedanke, in diesen kochenden Pfuhl voller Menschen und Lärm und Gestank hineingehen zu sollen, bereitete ihr körperliches Unbehagen.

Wellers Blicke waren ihren Bewegungen aufmerksam gefolgt. Jetzt seufzte er, ließ seinen Lohn achtlos in der Kitteltasche verschwinden und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen nieder. »Du hast wirklich nicht viel Geld«, sagte er.

»Ich brauche keines«, erwiderte Tally ausweichend.

»Hier schon.« Weller machte eine bestimmende Handbewegung, als Tally widersprechen wollte. »Du kommst aus dem Süden, Kindchen«, fuhr er fort. »Dort mag das alles stimmen. Aber Schelfheim ist anders. Ohne genügend Geld bist du hier verloren. Aber ich will nicht so sein – jemand, der von den Töchtern des Drachen gesucht wird, verdient es, ein wenig Hilfe geschenkt zu bekommen. Also: eine Frage hast du frei.«

»Die Töchter des Drachen?« Tally starrte Weller ungläubig an. »Woher hast du diesen Namen?«

»Ist das die Frage? « Weller grinste.

Allerdings nicht sehr lange, denn Tally beugte sich blitzschnell vor, ergriff ihn am Kragen und zerrte ihn mit solcher Kraft zu sich herab, daß er fast das Gleichgewicht verlor. »Woher du diesen Namen hast, will ich wissen!«