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Dann überschlugen sie sich.

Tallys Herz blieb stehen, als das ganze, gewaltige Gefährt eine Drehung um seine eigene Achse machte, einen entsetzlich endlosen Sekundenbruchteil lang kopfüber durch die Luft schoß und sich mit quälender Langsamkeit wieder aufrichtete.

Als sie die Augen wieder öffnete, waren der Himmel und der schreckliche schwarze Abgrund unter ihnen verschwunden. Der Gleiter schoß durch eine wogende Unendlichkeit. Flockiger grauer Nebel wich mit der gleichen Geschwindigkeit vor ihnen zurück, in der sie hindurchjagten. Plötzlich wurde es kalt, entsetzlich kalt. Ein feuchter, prickelnd-kalter Film legte sich auf Tallys Gesicht und Hände. Das weiße Holz des Gleiters begann zu glänzen, als wäre es lackiert.

»Die Wolken!« schrie Karan. »Haltet euch fest. Es ist nicht mehr weit!«

Als wäre sein Ruf ein Stichwort gewesen, tauchte der Gleiter durch die Wolkendecke hindurch, und unter ihnen lag eine gewaltige, schwarz-braun-grün gemusterte Ebene, eine Landschaft aus Farben, die so schnell ineinanderflossen, daß Tally zum ersten Mal eine Vorstellung von der unglaublichen Geschwindigkeit bekam, mit der sie sich fortbewegten. Plötzlich verstand sie Karans Angst.

Der Gleiter glitt in einem flachen Bogen nach unten, jagte einen Moment lang waagerecht dahin und schoß dann wieder in die Höhe, auf die brodelnde weißgraue Wolkendecke zu. Aber kurz, bevor er sie erreichte, senkte sich seine spitze Nase wieder. Die riesigen hölzernen Schwingen ächzten, als Karan den Hebel mit aller Kraft an sich heranzog. Tally konnte hören, wie sich das Haifischruder hinter ihr bewegte. Das Holz stöhnte, als litte es Schmerzen.

Wieder glitten sie nach unten, etwas weiter als beim ersten Mal, und wieder nahm ihre Geschwindigkeit zu. Aber wieder riß Karan das bizarre Gefährt in die Höhe, und wieder herab, und wieder hoch...

Tally glaubte zu verstehen, warum Karan das tat. Sie kamen dem braunschwarzen Etwas unter ihnen jedesmal ein Stück näher, aber mit jeder Steigung sank ihr Tempo auch etwas mehr, als bei Sturz in die Tiefe zunahm. Karan versuchte offensichtlich, die Geschwindigkeit des Gleiters auf diese Weise allmählich zu vermindern. Mehr als eine halbe Stunde mußte auf diese Weise vergehen. Keiner von ihnen sprach; selbst Angella starrte Tally nur voller Zorn an. Und ganz allmählich kamen sie tiefer. Trotz der geschlossenen Wolkendecke, unter der sie dahinjagten, war es hell, sogar heller als oben im Licht der Sterne, als leuchteten die Wolken aus sich heraus, so daß Tally erkennen konnte, was unter ihnen war.

Es war Wald.

Ein gigantischer, kompakter Wald, der so dicht war, daß der Gleiter über einen Ozean aus Schwarz und Grün dahinzuschießen schien. Tally fragte sich, wie tief der eigentliche Boden noch unter diesem Blätterdach liegen mochte.

Plötzlich schrie Angella auf, hob den Arm und deutete mit schreckgeweiteten Augen auf einen Punkt irgendwo hinter und über ihr. Tally fuhr herum...

... und erstarrte vor Schrecken.

Sie hatte es immer für eine bloße Redensart gehalten – aber in diesem Moment spürte sie die eisige Hand ganz real, die nach ihrem Herzen griff.

Über ihnen teilte sich der Himmel, Und aus der brodelnden Wolkendecke hervor senkte sich die Nacht auf den Gleiter herab.

Sie tat es in Gestalt einer gigantischen, fliegenden Kreatur, einem ungeheuerlichen Scheusal aus geronnenener Schwärze und fleischgewordener Bosheit, einem Ungeheuer, fünfzig Meter lang und mit riesigen, schlagenden Lederschwingen, Haß in den Augen und loderndes Feuer in dem gewaltigen, halb geöffneten Maul.

Der Drache schoß mit der Schnelligkeit eines stürzenden Felsens auf den Gleiter herunter, verfehlte ihn um wenige Meter und fing seinen Sturz mit geradzu spielerischer Leichtigkeit ab. Seine riesigen Krallen hatten das zerbrechliche Fahrzeug verfehlt – aber der Sturmwind seiner Schwingen traf es wie ein Hammerschlag.

Tally schrie auf, als der Gleiter jäh zur Seite kippte, einen Moment lang in schier unmöglicher Schräglage in der Luft hing und dann zu trudeln begann. Wolken und Wald begannen einen irrsinnigen Tanz rings um sie herum aufzuführen. Etwas Schwarzes, Gigantisches, huschte durch ihr Blickfeld und verschwand wieder. Für einen winzigen Moment glaubte sie den Blick eines tückischen, absurd kleinen Augenpaares aufzufangen. Dann kippte der Gleiter zur anderen Seite, richtete sich schwerfällig wieder auf und sackte mit einem entsetzlichen Schlag durch, hundert, hundertfünfzig Meter senkrecht nach unten wie ein Stein, bis Karan das Gefährt wieder unter seine Kontrolle zwang. Tally wurde nach vorne geschleudert, prallte zum zweitenmal unsanft gegen Angellas Gesicht und stöhnte vor Schmerz, als sich der Bootsrand in ihre Rippen bohrte.

Als sie das Gesicht aus Angellas Haaren nahm, war der Drache über ihnen. Wie ein Dämon aus einem Alptraum glitt er über und ein Stück hinter dem Gleiter dahin, eine schwarzgeschuppte Bestie, glänzend wie lackiertes Leder, die beiden Reiterinnen in seinem Nacken zur Lächerlichkeit zusammengeschrumpft. Der Gleiter tanzte auf dem Wind wie ein Boot im Orkan, als das Ungeheuer mit den Flügeln schlug.

»Karan!« brüllte Tally. »Tu etwas!«

Sie hatte selbst nicht damit gerechnet – aber Karan reagierte tatsächlich. Als die gigantischen Schwingen des Drachen das nächste Mal die Luft peitschten, sackte der Gleiter nicht mehr nach unten, sondern schwang sich wie ein bizarrer hölzerner Vogel auf die Sturmwoge, machte einen gewaltigen Satz nach vorne und oben und schoß dicht vor dem schuppigen Kopf des Ungeheuers in die Höhe.

Ein zorniger, unglaublich lauter Schrei marterte Tallys Ohren. Für eine unendlich kurzen, aber auch unendlich schrecklichen Moment befanden sie sich auf gleicher Höhe mit dem droschkengroßen Schädel der Bestie. Tally spürte Hitze; einen Gestank wie nach Schwefel und brennendem Fleisch und Fäulnis, sah die winzigen tückischen Augen des Ungeheuers und seine um so größeren Zähne, spitz und schwarz wie geschliffene Kohlen. Und dann kam das Feuer.

Es ging so schnell, daß Tally nicht sah, was der Drache tat, obwohl sie für den Bruchteil einer Sekunde direkt in sein zornig aufgerissenes Maul blickte. Von einer Sekunde auf die andere wich die Nacht einer gleißenden, verzehrenden Lohe. Hitze, ungeheure, quälende Hitze streichelte Tallys Gesicht wie eine glühende Hand. Sie hörte Angella und Karan schreien, schrie selbst vor Schmerz und versuchte die Hände vor das Gesicht zu heben, roch das brennende Holz des Gleiters und den entsetzlichen Gestank verschmorender Haare. Der Gleiter kippte haltlos zur Seite. Plötzlich war der Himmel über ihnen voller Licht und brüllendem, verzehrendem Feuer. Die Wolken selbst schienen in Flammen zu stehen. Karans Haar brannte. Angella krümmte sich vor Schmerz, und Weller war abermals in sich zusammengesunken, hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen. Sein Hemd schwelte.

Wieder zerriß das wütende Schreien des Drachen die Luft. Und Tally reagierte, ohne zu denken. Ihre Hände glitten ohne ihr Zutun zum Gürtel, fanden das kühle, schwere Metall und schlossen sich darum. Der riesige Schädel des Drachen hob und senkte sich über ihnen, klaffte auseinander...

... und Tally war den Bruchteil eines Herzschlages schneller. Ein dünner, aber unerträglich gleißender Blitz stach in die Nacht hinaus, fraß eine rauchende Spur in den schwarzgeschuppten Hals der Bestie und explodierte in seiner Schulter.

Die rechte Schwinge des Ungeheuers verwandelte sich in eine Flamme. Für einen unendlich kurzen Moment glaubte Tally das riesige, an eine übergroße Fledermaus erinnernde Knochengerüst des Ungeheuers unter der schwarzen Lederhaut zu erkennen, nachgezeichnet in weiß und rot glühenden Linien, dann flammte der schiffsgroße Flügel des Monsters auf.

Der Schrei des Drachen war voller entsetzlichem Schmerz, und seine eigene, tausendmal heißere Flammenzunge schoß weit an dem Gleiter vorbei. Die Druckwelle warf das winzige Gefährt herum wie eine unsichtbare Keule, aber Tally sah trotzdem, wie sich der Drache in irrsingem Schmerz krümmte, die brennende Schwinge auf und nieder schlagend, wie die beiden Reitergestalten in seinem Nacken plötzlich ihren Halt verloren und stürzten, die eine hinein in den Teppich aus Feuer, die andere herab in die Tiefe, die sie verschlang. Für einen winzigen Moment glaubte sie sogar die gellenden Schreie der Sterbenden zu hören.