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Das Pferd wieherte und tänzelte bei ihrer Berührung. Sie führte es zu der Stelle, an der Morgan wartete, und stieg ab.

»Ich werde es brauchen, denn die Zeit drängt«, sagte sie, eine Hand noch immer fest um die Zügel geschlungen. »Was wir finden, gehört uns, pflegten die Fahrenden zu sagen. Ich habe wohl noch nicht alles vergessen, was sie mich gelehrt haben.« Sie lächelte und streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren. »Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden, Morgan.«

Er nickte. »Ihr solltet besser aufbrechen.«

»Ich schulde Euch etwas, Hochländer. Ich werde es nicht vergessen.« Sie schwang sich wieder in den Sattel. »Wir haben vom Hadeshorn aus eine weite Strecke zurückgelegt, nicht wahr?«

»Vom Hadeshorn. Von allem. Eine weitere Strecke, als ich mir hätte träumen lassen. Paßt auf Euch auf, Wren.«

»Ihr auch. Viel Glück für uns beide.«

Sie hielt seinen Blick noch einen Moment länger fest, nahm die Kraft auf, die sie darin fand, schöpfte Mut aus der Tatsache, daß sie nicht so allein war, wie sie geglaubt hatte, und daß Hilfe manchmal aus überraschenden Quellen kam.

Dann stieß sie dem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte davon.

Sie ritt westwärts der sich zurückziehenden Nacht hinterher, bis sie vom Tageslicht überstrahlt wurde, und hielt dann inne, damit das Pferd sich ausruhen und aus einem Teich trinken konnte. Sie rieb ihre Handgelenke und Knöchel noch ein wenig, wusch die tiefen Schnitte und dunklen Quetschungen aus und schwor sich, daß sie Tib Arne bitter bezahlen lassen würde, wenn sie ihm begegnete. Sie hatte fast zwölf Stunden lang nichts gegessen und getrunken, aber jetzt war keine Zeit, nach Nahrung zu suchen oder Wasser zu trinken. Wenn die Schattenwesen erst entdeckten, daß sie entkommen war, würden sie sie jagen. Sie würden auch Morgan Leah jagen, dachte sie und hoffte, daß er ein gutes Versteck kannte.

Sie stieg wieder auf und ritt weiter und folgte dem Grasland aus der Hügellandschaft heraus zu den Ebenen unterhalb von Tyrsis, die in den Tirfing hineinführten. Der Tag wurde heiß und feucht, der Himmel war ein wolkenloses Blau und die Sonne ein weißfeuriger Glutofen. Der Baumbestand nahm bis auf vereinzelte Haine und dann Gruppen von zwei und drei Bäumen ab und verschwand schließlich ganz. Der Mittag kam, und sie überquerte den Mermidon an einer Furt, wo sich das Wasser des Flusses flach und träge in die Ebenen ergoß. Ihr Körper und ihr Gesicht schmerzten von den Schlägen und Fesseln, aber sie ignorierte ihr Unbehagen und dachte statt dessen an die verheerende Wirkung, die ihr Verschwinden gehabt haben mußte. Inzwischen würden sie sicherlich überall nach ihr suchen. Vielleicht hatten sie Erring Rift und Grayl gefunden und glaubten, daß auch sie tot sei. Vielleicht hatten sie sie aufgegeben und beschlossen, sich auf die Föderationsarmee und die Kriecher zu konzentrieren. Einige würden sicherlich empfehlen, sie zu vergessen. Einige würden ihr Verschwinden als Segen empfinden...

Sie schob diese Gedanken beiseite. Sie mußte niemandem etwas beweisen. Aber die Notwendigkeit blieb, daß sie schnell zurückkehren mußte. Barsimmon Oridio würde sich mit dem Hauptteil der Elfenarmee dem Rhenn nähern. Mit etwas Glück war Tiger Ty vielleicht auch schon zurück. Wenn sie sie nur erreichen konnte, bevor irgendwelche Kämpfe begannen...

Sie unterbrach sich.

Was?

Was würde sie tun?

Sie klammerte die Frage aus. Es war unwichtig, was sie tun würde. Es würde genügen, daß sie da war und daß die Elfen wußten, daß sie ihre Königin zurückhatten und daß die Föderation erneut mit ihr rechnen mußte.

Sie wandte sich nach Norden, um dem Mermidon zu folgen, und fand auf den Ebenen Wasser für das Pferd, aber keines für sich selbst. Die Sonne brannte auf sie herab, und die Luft saugte die Feuchtigkeit aus ihrem Körper. Sie war müde, und das Pferd wurde ebenfalls müde. Sie konnte nicht viel länger weiterreiten. Sie würde anhalten und die Hitze abwarten müssen. Bei dem Gedanken biß sie die Zähne zusammen. Sie hatte keine Zeit dafür! Sie hatte keine Zeit für irgend etwas anderes, als weiterzureiten!

Schließlich machte sie doch Rast. Sie hatte einen Eschenhain nahe des Ufers gefunden, in dem es kühl genug war, um der schlimmsten Hitze zu entgehen. Sie fand einige Beeren, die mehr bitter als süß waren, und eine Kautschukwurzel, auf der sie kauen konnte. Sie sattelte das Pferd ab und pflockte es an. Im Schatten der Bäume ruhend, beobachtete sie, wie der Fluß vorüberzog, und schlief wider Willen ein.

Es war später Nachmittag, als sie wieder erwachte. Das sanfte Wiehern ihres Pferdes schreckte sie aus einem ruhelosen Schlummer auf. Sie sprang sofort auf, sah seinen zottigen Kopf gen Süden gerichtet, schaute über die Ebenen und den Fluß hinaus und sah in mehreren Meilen Entfernung Reiter auf sich zukommen – mit schwarzen Umhängen und Kapuzen bekleidete Reiter, deren Identität kein Geheimnis war.

Sie sattelte ihr Pferd und ritt los. Sie ritt mehrere Meilen in schnellem Trab am Ufer entlang, schaute zurück, um zu sehen, ob die Reiter ihr folgten. Das taten sie natürlich, und sie hatte das Gefühl, daß vor ihr in Tyrsis noch weitere warten könnten. Das Licht im Westen verblaßte, wurde silbern, dann rosafarben und grau, und als der Nebel der frühen Dämmerung einsetzte, wandte sie sich vom Fluß ab und eilte gen Westen auf die Ebenen zu. Dort würde sie eine bessere Chance haben, ihren Verfolgern zu entkommen, überlegte sie. Sie war schließlich eine Fahrende. Wenn es erst einmal dunkel wäre, würde niemand ihr mehr folgen können. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Zeit und Glück.

Sie hatte keines von beidem. Denn kurz danach begann ihr Pferd zu lahmen. Sie drängte es mit geflüsterten Versprechungen und ermutigendem Tätscheln an Hals und Ohren weiter, aber es war erschöpft. Hinter ihr hatten sich die Verfolger über den Horizont verteilt, noch immer weit entfernt zwar, aber sie holten auf. Der Nebel verdichtete sich, aber der Mond und die ersten Sterne waren hervorgekommen, und es war für einen Jäger auf jeden Fall hell genug, einer Spur folgen zu können. Sie verstärkte ihre Entschlossenheit und ritt weiter.

Als ihr Pferd stolperte und stürzte, rollte sie von ihm fort, stand auf, ging zu ihm zurück, half ihm wieder hoch, nahm seinen Sattel und das Zaumzeug ab und ließ es frei. Sie begann zu laufen, mußte hinken, weil ihre Verletzungen noch immer schmerzten und sie behinderten, war zornig und müde, aber entschlossen, sich nicht wieder fangen zu lassen. Sie ging lange Zeit weiter, ohne sich umzusehen, bis die Nacht vollständig hereingebrochen war und die Ebenen ganz in weißes Licht getaucht waren. Die Ebenen waren still und leer, und sie wußte, daß ihre Verfolger noch nicht nah genug herangekommen waren, daß sie sich hätte Sorgen darüber machen müssen, sonst hätte sie sie hören müssen, und so konzentrierte sie sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen und einfach weiterzugehen.

Als sie sich schließlich umsah, war niemand zu sehen.

Sie sah sich ungläubig um. Kein Reiter war da, kein einziges Pferd, niemand zu Fuß, nichts. Sie atmete tief und beruhigend ein und sah erneut hin – nicht nur nach Osten, sondern dieses Mal in alle Richtungen – und dachte in plötzlicher Angst, daß sie sie umzingelt hätten. Aber es war niemand dort draußen. Sie war allein.

Sie lächelte verwirrt.

Und dann sah sie den dunklen Schatten hoch über sich langsam und träge und so unentrinnbar wie Winterkälte auf sich zufliegen. Ihr Herz machte einen erschreckten Satz, als sie sah, wie er Gestalt annahm. Nicht eine Sekunde lang glaubte sie, daß es einer der Flugreiter war, der nach ihr suchte. Nicht einen Augenblick lang verfiel sie dem Irrtum zu glauben, es sei ein Freund. Es war Gloon, den sie sah. Sie erkannte ihn sofort. Sie erkannte den wuchtigen, muskulösen Körper, den Umriß des wilden Kopfes des Kampfhaubenwürgers, die scharfe Krümmung seiner breiten Schwingen. Sie schluckte gegen ihre Angst an. Kein Wunder, daß die Sucher zurückgefallen waren. Sie brauchten sich nicht zu beeilen, wenn Gloon sie jagte.