Hastige Bewegung entstand, als die Vögel einander angriffen, sich kurzzeitig in einem Wutschrei miteinander verbanden und sich dann wieder voneinander lösten. Erneut begannen sie sich zu umkreisen, und jeder versuchte, in den Rücken des anderen zu gelangen. Wren verließ das Gewässer und betrat erneut die Ebenen. Sie folgte ihnen, als sie sich entfernten, folgte ihnen, weil sie nicht den Kontakt verlieren wollte, denn sie war noch immer entschlossen zu helfen. Sie konnte diesen Kampf nicht Tiger Ty und dem Rock überlassen. Es war nicht deren Kampf. Es war ihrer.
Erneut griffen die Vögel einander an und hackten aufeinander ein. Ihre Klauen und Schnäbel zogen und rissen, und ihre schwarzen Schatten vor dem mondbeleuchteten Himmel drehten und wanden sich, und ihre Schwingen schlugen wie wahnsinnig, während sie sich abwärts schraubten. Wren rannte hinter ihnen her und hielt die Elfensteine in den Händen bereit. Laß mich nur nah genug herankommen! war alles, was sie denken konnte.
Im scheinbar letzten möglichen Moment lösten sich die Vögel voneinander, stolperten eher voneinander davon, als daß sie flogen. Federn und Knorpel und Blut von ihren verletzten Körpern regneten herab. Wren knirschte zornig mit den Zähnen. Gloon schüttelte sich und stieg wieder auf, schwebte in einer langen, trägen Spirale dahin. Spirit flog im Bogen aufwärts und fiel wieder zurück. Er bewegte sich schwankend und unsicher, versuchte sich auszurichten, erschauerte einmal und fiel dann erdwärts und verschwand. Wren stöhnte entsetzt auf – und hielt dann verwundert den Atem an, als Spirit plötzlich wieder auftauchte, jetzt wieder im Gleichgewicht und auf wundersame Weise erholt. Eine Finte! Er war jetzt direkt unter Gloon, stieg vom Boden auf wie ein Geschoß, wirbelte durch die Nacht und prallte in den Kampfhaubenwürger hinein. Es klang wie das Auseinanderbrechen von Felsen. Sie hörte ein scharfes Knirschen, und beide Vögel schrien auf und lösten sich dann wieder voneinander, während ihre Klauen die Luft durchschnitten.
Dann fiel einer der Reiter herab. Offenbar war er durch den Aufprall losgelöst worden, seine Arme und Beine droschen jetzt in die Luft, und entsetzt schreiend stürzte er erdwärts. Er fiel wie ein Stein, ohne sich helfen zu können, und traf mit schrecklichem Krachen auf. Über ihm ging der Kampf weiter, der Rock und der Kampfhaubenwürger jagten sich wieder über den Himmel, als sei der Verlust eines Reiters bedeutungslos. Wren konnte nicht sagen, wer gefallen war. Als sie über die Ebenen lief, schlug ihr Herz wild, und ihre Kehle war vor Angst verengt. Sie lief lange Zeit, ohne etwas zu sehen. Dann lag vor ihr plötzlich ein verkrümmter Körper, eine blutige, zerrissene Gestalt, die aufzustehen versuchte und irgendwie noch immer lebte.
Sie verlangsamte ihren Schritt, und ein zerschmettertes, gebrochenes Gesicht wandte sich ihr zu. Sie erschauerte, als die Augen ihrem Blick begegneten. Es war Tib Arne. Er versuchte zu sprechen, aber es war nur ein undeutliches Gurgeln, das den Worten keine Form zu geben vermochte. Trotzdem konnte sie den Haß, den er ihr gegenüber empfand, aus jedem Laut heraushören. Unter den offenen Wunden war er noch immer ein Junge, aber es war das Schattenwesen, das schließlich hervorbrach und sich wie schwarzer Rauch erhob, um sie anzugreifen. Sie hob blitzschnell die Elfensteine, und das blaue Feuer schoß durch das dunkle Wesen hindurch und verschlang es.
Als sie erneut hinsah, starrten Tib Arnes blaue Augen leer zu ihr herauf.
Sie hörte dann über sich einen Schrei, entweder den des Kampfhaubenwürgers oder den des Rock, und schaute gerade rechtzeitig hinauf, um Gloon auf der Flucht vor Spirit herabsinken zu sehen. Der Haubenwürger hatte den Himmelskampf aufgegeben und kam auf sie zu. Sie kauerte sich unter seinem Schatten zusammen, denn jetzt war kein Versteck vorhanden und das Gewässer zu weit entfernt, als daß sie es noch erreichen konnte. Sie hob die Elfensteine hoch, aber ihre Bewegungen waren bleiern, und sie wußte, daß sie nicht genug Zeit hatte, sich zu retten.
Doch auf einmal flog Spirit einen letzten Bogen und fing Gloon von hinten ab und hämmerte so in den Kampfhaubenwürger hinein, daß er das Gleichgewicht verlor und stürzte. Gloon schoß herum, zerrte an dem Rock, und im selben Moment setzte Wren die Elfensteine ein. Die Magie erwischte Gloon direkt, hüllte den Haubenwürger ein und begann ihn zu verbrennen. Sie fraß ihn auf, obwohl er zu entkommen versuchte. Gloon schrie zornig auf, wand sich wild und versuchte davonzufliegen. Aber die Elfenmagie hatte den Vogel bereits entzündet, und die Flammen waren überall. Er rollte sich herum und straffte sich mit schlagenden Schwingen. Als Wren ihn erneut traf, wurde das blaue Feuer weißheiß. Der Kampfhaubenwürger sank herab, und Flammen loderten aus seinem Körper. Er traf auf dem Boden auf, erschauerte und wurde still.
Innerhalb von Sekunden hatte das Feuer ihn zu Asche verwandelt.
In der folgenden Stille stieg Spirit leise zum Grasland hinab. Tiger Ty kletterte herab und kam zu Wren herüber. Sein ledriges Gesicht war schweißbedeckt. Wren streckte ihre Hände aus und ergriff die seinen.
»Geht es Euch gut, Mädchen?« fragte er ruhig, und sie konnte die tiefe Sorge in seinen scharfen Augen erkennen.
Sie lächelte. »Dank Euch. Das ist das zweite Mal an einem Tag, daß ich von Freunden gerettet wurde, die ich verloren glaubte.« Und sie erzählte ihm von Morgan Leah und den Schattenwesen der Südwache.
»Ich habe die Geächteten gestern morgen in den Drachenzähnen gefunden.« Die knorrigen Hände wollten ihre nicht loslassen und hielten sie, als habe er Angst, sie könnte verschwinden. »Ihr Anführer hat mir gesagt, daß er keinen Jungen, sondern jemand anderen gesandt hätte. Ich wußte, was geschehen war. Ich habe sie verlassen und sie gebeten, mir zu folgen, wenn sie können, und bin zu Euch zurückgekehrt. Zu spät, wie ich dachte. Ihr wurdet bereits vermißt. Wir haben den ganzen Tag nach Euch gesucht. Wir haben Rift und Grayl gefunden, aber es war kein Zeichen von Euch zu entdecken. Ich wußte, daß der Junge Euch mitgenommen haben mußte. Aber ich wußte auch, daß Ihr entkommen würdet, wenn es eine Möglichkeit gab. Ich nahm Spirit allein mit hinaus, nachdem die anderen es für diese Nacht aufgegeben hatten, und suchte weiter.« Er sah sie ernst an. »Gut, daß ich es getan habe.«
»Gut, daß Ihr es getan habt«, stimmte sie zu.
»Verdammt, habe ich Euch nicht etwas über das Aufsteigen mit jemand anderem als mir gesagt?«
Sie beugte sich nah zu ihm heran, und einen Moment lang waren ihre Gefühle so stark, daß sie nicht sprechen konnte. »Zwingt mich nicht, es zu sagen«, flüsterte sie.
Vielleicht sah er den Schmerz in ihren Augen. Vielleicht hörte er ihn in ihrer Stimme. Er hielt ihrem Blick noch einen Moment länger stand, ließ dann ihre Hände los und trat zurück. »Hauptsache, Ihr tut es nie wieder. Ich habe eine Menge Zeit und Bemühungen in Euch investiert.« Er räusperte sich. »Laßt mich nach Spirit sehen. Ich will einfach sichergehen, daß ihm wirklich nichts geschehen ist.«
Er verbrachte einige Minuten damit, den großen Rock zu untersuchen, indem er die Hände sorgfältig über den dunkel gefiederten Körper führte. Spirit beobachtete ihn mit wildem Blick. Während der Flugreiter mit ihm sprach, senkte der Rock den Schnabel, breitete seine Schwingen aus und schüttelte sich.
Zufrieden winkte Tiger Ty sie herüber. Er betrachtete den Vogel stolz. »Er hätte auf jeden Fall gewonnen, wißt Ihr«, sagte er rauh.
Wren sagte einen Moment lang nichts. Dann lächelte sie. »Das glaube ich auch.«
Tiger Ty half ihr hinauf und sicherte sie. Er streichelte Spirit anerkennend, nickte vor sich hin und schloß sich ihr dann an. Wren schaute über die nachtkalte Landschaft hinaus, die leer und still bis auf die Stelle, an der Gloons Überreste zerschmolzen und dampften, unter ihnen lag. Sie fühlte sich schwindelig und ausgelaugt, aber sie fühlte sich auch lebendig. Die Wirkung der Elfenmagie blieb bestehen und schoß durch sie hindurch wie Funken eines Feuers.