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Am Mittag überquerten sie den Mermidon und wandten sich den dahinterliegenden Wäldern zu, aber zuvor hielten sie inne, um eine Mahlzeit einzunehmen. Sie versorgten sich mit frischem Wasser, Beeren, Wurzeln und Gemüse. Es war kühl und still am Waldrand, während die Hitze des Tages das umgebende Land unter einer stickigen, versengenden Decke erstickte. Nach dem Essen beschlossen sie, eine Zeitlang zu schlafen, da sie von den Anstrengungen der Nacht müde waren und Nutzen aus ihrem Zufluchtsort ziehen wollten. Bis zum Kennon Paß würden sie nur noch einige Stunden brauchen, erklärte Damson, wo sie dann auch durch die Drachenzähne hindurch in das Tal gelangen würden, das einst Paranors Heimat gewesen war. Von dort würden sie nach Nordosten zum Jannisson Paß und zum Firerim Reach ziehen. In weiteren zwei Tagen, so versprach sie, würden sie dann die Geächteten erreicht haben.

Aber sie schliefen länger, als sie geplant hatten, eingelullt von der Kühle und dem tröstenden Klang des Windes in den Bäumen, und es war schon fast Sonnenuntergang, als sie wieder erwachten. Sie erhoben sich und brachen sofort auf, da sie so viel Zeit gewinnen wollten wie möglich. Wenn der Mond hervorkam, würden sie den Paß bei Nacht überqueren können. Sonst würden sie bis zum Morgen warten müssen. Auf jeden Fall wollten sie den Kennon bei Einbruch der Nacht erreicht haben.

Also reisten sie eilig weiter, ohne durch dichte Gruppen von Gestrüpp oder Gräsern in Wäldern behindert zu werden. Nach ihrem Schlaf fühlten sie sich ausgeruht und tatkräftig. Die Sonne zog gen Westen und versank in den Bäumen, bis sie durch den Schirm der Blätter und Zweige als helles Flackern von Gold und Karmesinrot erschien. Der Mond erschien am Himmel, der noch klar und blau war, und die Tagesvögel begannen vor der herannahenden Nacht still zu werden. Par fühlte sich das erste Mal seit Tagen wohl. Er war in Frieden mit sich selbst, erleichtert, aus Tyrsis herausgelangt zu sein, heraus aus ihren Abwasserkanälen und Kellern, frei von den Beschränkungen ihrer Mauern, sicher vor den Wesen, die ihn dort gejagt hatten. Er schaute oft zu Damson hinüber und lächelte dabei. Er dachte an Padishar und versuchte, nicht traurig zu sein. Seine Gedanken wanderten durch die Bäume und über den Teppich des Erdbodens hinweg wie kleine, spielende Tiere. Er ließ sie frei wandern und war zufrieden, sie ziehen lassen zu können.

Nicht ein einziges Mal kam es ihm in den Sinn, daß es klug sein könnte, ihre Spuren zu verwischen.

Der Sonnenuntergang brannte wie Feuer über den Ebenen unterhalb von Tyrsis, als der Tag der Nacht zustrebte und die Hitze sich aufzulösen begann. Die Schatten verlängerten sich und wuchsen, nahmen seltsame und bedeutungsvolle Formen an und wurden mit der Dunkelheit lebendig. Sie erhoben sich aus den Rinnen und Senken, aus Wäldern und vereinzelten Hainen, erstreckten sich hierhin und dorthin, als wollten sie ihre Beine ausstrecken, nachdem sie aus dem Schlaf erwacht waren, der sie bis zum Aufbruch zur Jagd umfangen gehalten hatte.

Einer dieser Schatten bewegte sich verräterisch bewußt an den leeren Flächen entlang, die sich nördlich zum Mermidon erstreckten, eine schwach sichtbare Dunkelheit, verborgen in den langen Gräsern, durch die sie hindurchstrich. Als das Licht verschwand, wurde der Schatten kühner, richtete sich hin und wieder auf, um die Luft zu erschnuppern, bevor er sich wieder auf die Erde niederließ, um den Geruch nicht zu verlieren, dem er folgte. Er aß beim Weitergehen, ernährte sich von dem, was auch immer er fand, Wurzeln und Beeren, Insekten und kleine Tiere, alles, was ihm begegnete und nicht entkommen konnte. Vor allem aber war seine Aufmerksamkeit auf den Pfad gerichtet, dem er folgte, auf den Geruch desjenigen, den er so emsig jagte, desjenigen, der die Quelle seines Zorns war.

Am Mermidon erhob er sich auf die Hinterfüße, eine gebeugte, gekrümmte Gestalt, die in einen schimmernden, schwarzen Umhang gekleidet war, der dem Staub und Schmutz, der seinen Träger bedeckte, widerstand. Seine Hände waren so schlimm enthäutet und zerkratzt, daß sie bluteten, und waren in den Umhang verkrampft, damit er nicht ausgewaschen werden würde, wenn er diesen Fluß an einer seichten Stelle durchwatete. Den Umhang legte er nicht einen Moment lang ab, denn der Umhang stärkte ihn irgendwie, das wußte er. Der Umhang war es, der ihn beschützte.

Und dennoch schien er auch eine Quelle des Wahnsinns zu sein. Ein Teil seines Geistes flüsterte dem Wesen zu, daß dies so sei. Er flüsterte es dem Wesen als Warnung zu. Wieder und wieder.

Aber das meiste, was in den Gedanken des Wesens arbeitete, versicherte ihm, daß der Umhang gut und zum Überleben notwendig sei, und daß der Wahnsinn statt dessen von demjenigen bewirkt werde, den es verfolgte. Von ihm. War es sein Bruder? Der Name wollte nicht erscheinen. Nur das Gesicht. Der Wahnsinn summte in seinem Kopf, durch seine Ohren und aus seinem Mund heraus wie ein Schwärm Mücken, stach und biß und vereinnahmte seinen Verstand, bis es an nichts anderes mehr denken konnte.

Früher an diesem Tag, in den Schatten des späten Nachmittags, draußen in dem verhaßten Licht, in den der Wahnsinn es mit zunehmender Häufigkeit aus seiner Höhle heraustrieb, hatte das Wesen schließlich den Geruch desjenigen, den es jagte, gefunden. (Sein Name? Wie lautete sein Name?) Da es das Gebiet am Fuß der Klippe jetzt schon seit über einer Woche Nacht für Nacht durchstreifte, war es immer verzweifelter geworden. Es mußte ihn finden, ihn aufspüren, damit es Erleichterung verspüren konnte, damit der Wahnsinn enden würde.

Aber wie? Wie würde er enden?

Er wußte es nicht. Irgendwie würde es geschehen. Wenn es den Grund fand. Wenn es... ihn verletzte, wie er es verletzte...

Der Gedanke schwebte verschwommen vor seinen Augen. Aber es war Freude in dem Gedanken, darin, wie er schmeckte und sich anfühlte.

Zähne und Augen schimmerten im heller werdenden Mondlicht.

Auf der anderen Seite des Flusses nahm das Wesen seinen Weg leichtfüßig wieder auf und begann der Spur erneut zu folgen. Frisch war sie. So deutlich wie der Geruch von etwas Totem, das zum Verwesen der Sonne überlassen worden war. Nicht weit entfernt war es.

Noch einige Stunden, vielleicht weniger...

Ein Schauder durchlief das Wesen. Vorahnung. Verlangen. Die Samen des Wahnsinns in Blüte.

Coll Ohmsford hielt seine Nase zu Boden gerichtet wie ein Tier, wozu er ja auch geworden war, und verschwand zwischen den Bäumen.

7

Die Dämmerung ging in Nacht über, als Par und Damson den Fuß der Drachenzähne und den Pfad erreichten, der sich durch die Klippen aufwärts zum Kennon wand. Mondlicht floß von Norden herab, und der Himmel voller Sterne war klar und hell. Die Hitze des Tages war abgekühlt, und Wind blies aus den Bergen herab.

Irgendwo in den Bäumen des Waldes hinter ihnen schrie eine Eule und wurde dann still.

Da es ausreichend hell war, den Pfad zu begehen, und sie gut erholt waren, eilten der Talbewohner und das Mädchen weiter. Die Nacht war gut für ihre Reise geeignet, sogar in den Bergen, und sie gewannen viel Zeit, während sie von den unteren Hängen in den Paß hinaufkletterten. Während sie weiterzogen, stieg die Nacht herab, und die Stille vertiefte sich. Der Wald und seine Bewohner blieben in einem Teich der Dunkelheit hinter ihnen zurück, die Felsen schlössen sich um sie herum und wurden zu Silhouetten, die sich gezackt und starr vom Himmel abhoben. Ihre Schuhe schabten und knirschten auf dem losen Gestein, und ihr Atem wurde mühsamer, aber jenseits dieser unmittelbaren Geräusche war die Welt ruhig und leer.

Die Zeit verging, und Mitternacht näherte sich. Sie waren jetzt bereits ein gutes Stück in den Paß hineingelangt und näherten sich seinem Scheitelpunkt, von wo aus der Pfad wieder abwärts in das dahinterliegende Tal führen würde. Das Licht vor ihnen schien heller als das Licht hinter ihnen, was sich weder der Talbewohner noch das Mädchen erklären konnten, und sie wechselten mehrmals fragende Blicke. Erst als sie tief in den Berggipfeln den Scheitelpunkt erreicht hatten und der Weg vor ihnen als langer, breiter Gang durch den Fels verlief, erkannten sie, daß das, was sie sahen, nicht das Licht des Mondes war, sondern der Widerschein von Wachfeuern, die direkt vor ihnen brannten.