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Das Schattenwesen trat weiter vor. Es war nur ein Klumpen aus schwarzem Stoff und sich dahinschleppenden Gliedern. Das Wesen schien sich kaum fortbewegen zu können, und es klammerte sich an seinen Umhang, als könnte es es nicht ertragen, ihn loszulassen. Der Umhang war ebenfalls ein seltsames Ding – glänzend schwarz und so sauber wie neuer Stoff. Trotz der abgerissenen, verdreckten Erscheinung des Wesens, das ihn trug. Par spürte, wie sich die Magie des Wunschgesangs in ihm aufbaute und sich ungebeten von selbst erhob. Er war wie der Kern eines Feuers, das nicht unterdrückt bleiben würde. Er ließ sie kommen, wohl um die Nutzlosigkeit wissend, sie aufhalten zu wollen, wohl erkennend, daß er keine andere Wahl hatte. Er versuchte nicht einmal, nach einem Fluchtweg zu suchen. Fortzulaufen war nach alledem sinnlos. Das Schattenwesen würde sie einfach wieder aufspüren. Es würde immer wieder kommen, bis es endgültig aufgehalten würde.

Bis er es töten würde.

Er zuckte bei diesen Worten zusammen und dachte: Nicht schon wieder – und sah das Gesicht des Soldaten in dem Wachturm vor sich, sah alle ihre Gesichter, all die Toten in all diesen Begegnungen...

Das Wesen blieb stehen. In seinem Umhang schüttelte es heftig den Kopf, als sei es von Dämonen besessen, die niemand anders sehen konnte. Es machte ein Geräusch, das auch ein Weinen sein konnte.

Dann hob sich sein Gesicht ins Licht, und Par Ohmsford spürte, wie die Welt unter ihm versank.

Er sah auf Coll.

Entstellt, verzerrt, verletzt und beschmutzt, war das Gesicht vor ihm immer noch das von Coll.

Einen Moment lang glaubte er, wahnsinnig zu werden. Er hörte Damsons ungläubiges Keuchen, spürte, wie er unfreiwillig einen Schritt zurückwich, und beobachtete, wie sich die Lippen seines Bruders, in dem verzerrten Versuch, Worte hervorzubringen, teilten.

»Par?« hörte er.

Er stieß einen leisen, verzweifelten Schrei aus, brach sofort ab und zwang sich selbst mit äußerster Anstrengung zur Ruhe. Nein. Nein, das war schon einmal versucht worden. Und mißlungen. Dies war nicht Coll. Dies war nur ein Schattenwesen, das vorgab, sein Bruder zu sein, ein Trick, um ihn zu täuschen...

Warum?

Er suchte nach einer Antwort. Um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Natürlich. Um ihn zu dem zu machen... um ihn zu zwingen, zu...

Er biß die Zähne zusammen. Coll war tot! Er hatte ihn sterben sehen, vernichtet im Feuer der Magie des Wunschgesangs – Coll! Er war doch einer von ihnen geworden, ein Schattenwesen wie dieses...

Etwas flüsterte ganz tief in ihm, eine Warnung, die keine erkennbare Gestalt annahm, Worte, die ihn warnten, ohne daß er ihre Bedeutung verstand. Vorsicht, Talbewohner! Paß auf!

Seine Hände umklammerten noch immer das Schwert von Shannara. Ohne nachzudenken, noch immer in Entsetzen verloren, hielt er die Klinge und die Scheide vor sich wie einen Schild.

Sofort war das Schattenwesen über ihm. Er überwand die Entfernung zwischen ihnen im Handumdrehen und bewegte sich weitaus schneller, als es für einen so verkrüppelten Körper hätte möglich sein sollen. Es sprang ihn an, stieß einen ärgerlichen Schrei aus, und Colls Gesicht hob sich plötzlich groß und furchteinflößend vor ihm, bis es sich unmittelbar vor seinem eigenen befand und er seinen üblen Geruch wahrnehmen konnte. Verkrümmte Hände schlössen sich um den Griff des Schwertes von Shannara und versuchten es fortzuziehen. In einem Gewirr von Armen und Beinen gingen der Talbewohner und das Schattenwesen zu Boden. Par hörte Damson aufschreien, und dann rollte er von ihr fort und kämpfte um den Besitz des Schwertes. Seine Hände klammerten sich verzweifelt um das Heft und versuchten vergeblich, die Überhand zu gewinnen und die Klinge freizuwinden. Er befand sich seinem Gegner während des Kampfes von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er konnte in die Tiefen der Augen seines Bruders sehen...

Nein. Nein, es war nicht möglich!

Sie taumelten in die Bäume, in Gräser, die sie peitschten und ihre Hände und Gesichter zerschnitten. Die Scheide gab das Schwert frei, und jetzt war nur noch das rasiermesserscharfe Metall der Klinge zwischen ihnen und wurde durch den Kampf vor- und zurückgerissen wie ein tödliches Pendel. Par verfing sich in den Falten des seltsamen, glänzenden Umhangs. Der Stoff fühlte sich auf seiner Haut abstoßend an, wie die Berührung von etwas Lebendem. Wild um sich schlagend stieß er den Stoff von sich. Er trat aus, und das Schattenwesen grunzte, als Pars Knie in seinen Körper prallte. Aber es wollte nicht loslassen und ließ die Hände mit tödlichem Griff um die Klinge geklammert. Par war zornig. Das Schattenwesen schien keine andere Absicht zu haben, als sich an dieses Schwert zu klammern. Sein Blick war auf die Klinge fixiert und sein Gesicht war schlaff und leer. Pars Hände packten fester zu und gerieten mit den Fingern seines Gegners in Berührung. Er spürte rauhe, schwitzende Haut. Ihre Finger verflochten sich ineinander, während jeder von ihnen versuchte, den Griff des anderen zu lösen, während ihre Körper sich hin- und herwarfen und sich wanden.

Par keuchte. Ein prickelndes Gefühl bemächtigte sich seiner Finger und breitete sich in seinen Armen aus. Er schreckte überrascht zurück – und spürte, wie das Schattenwesen ebenfalls zurückschreckte. Ein Glühen durchdrang ihn, eine seltsame Hitze, die von seinen Handflächen ausströmte.

Sein Blick fiel nach unten.

Die Klinge des Schwertes von Shannara hatte sich verändert und strahlte ein schwaches, blaues Glühen aus.

Pars Augen weiteten sich. Was ging hier vor? Schatten! War es die Magie? Die Magie des Schwertes von...

Der Talisman flackerte heftig, und das blaue Licht verwandelte sich in weißes Feuer, das so heiß brannte wie die Mittagssonne. In ihrem erschreckenden Glühen sah er, wie sich das Gesicht des Schattenwesens wandelte und alle Schlaffheit verschwand, während sich die Gesichtszüge erschreckt festigten. Par zog wild an der Klinge, aber das Schattenwesen hielt sie noch immer fest.

Aus scheinbar sehr weiter Entfernung hörte er Damson einmal seinen Namen rufen.

Dann durchdrang ihn das Licht des Schwertes, das weiße Feuer flammte kühl, aber eindringlich wie Blut durch die Glieder seines Körpers, während es Besitz von ihm ergriff. Es umrundete ihn und zog ihn dann fort, aus sich selbst heraus in die Klinge und dann in den Körper des Schattenwesens. Er kämpfte darum, der Entführung zu entkommen, stellte aber fest, daß er dagegen machtlos war. Er betrat die Gestalt in dem dunklen Umhang und spürte, wie der andere bei seinem Eindringen erschauerte. Par versuchte aufzuschreien, aber er konnte es nicht. Er versuchte freizukommen, aber er scheiterte. Zornig und verzweifelt zugleich drang er in das Schattenwesen hinab. Das Schattenwesen war überall um ihn herum, war vor ihm, die Augen und den Mund ungläubig geöffnet, die Gesichtszüge zu etwas verzerrt...

...zu jemandem...

Coll! Oh, es war Coll!

Vielleicht hatte er die Worte geflüstert. Vielleicht hatte er sie laut herausgeschrien. Er wußte es nicht. In der dunklen Mitte der Seele seines Gegners fielen die Lügen vor der Macht des Schwertes von Shannara ab und wurden zu Wahrheit. Das war kein Schattenwesen, das er bekämpfte, kein dunkler Dämon mit dem Gesicht seines Bruders, sondern tatsächlich sein Bruder selbst. Coll, zurückgekehrt von den Toten, zurückgekehrt ins Leben, so real wie der Talisman, den sie beide umklammert hielten. Par sah, daß der andere dieselbe Erkenntnis hatte wie er und erschauerte, und er erkannte im nächsten Moment, daß es die Erkenntnis dessen war, zu was er geworden war. Er sah die Tränen seines Bruders, hörte sein verzweifeltes Klagen und sah, wie er sich zusammenkrümmte, als sei er vergiftet worden. Der Geist seines Bruders verschloß sich. Er war von der Erkenntnis über sich selbst zu niedergeschmettert, als daß er noch etwas anderes registrieren konnte. Aber Par sah auch alles übrige, alles, was sein Bruder nicht sehen konnte. Er sah die Wahrheit über den Umhang, der Coll umhüllte, jenen Gegenstand, der das Spiegeltuch genannt wurde. Von Schattenwesen gemacht war er von seinem Bruder gestohlen worden, damit er seiner Gefangenschaft in der Südwache entkommen konnte. Er sah Felsen-Dall unheilvoll lächeln und aus einem Strudel von Bildern über ihnen beiden aufragen. Aber als das Schrecklichste von allem sah er den Wahnsinn, der seinen Bruder gefangenhielt, der ihn auf die Suche nach Par getrieben hatte, auf die Suche nach dem spürbaren Grund für seinen Schmerz. Und er sah auch Colls Entschlossenheit, beidem ein Ende zu setzen...