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Der Regen endete am frühen Morgen des dritten Tages, als sich die Wolken teilten und der Himmel zu hellem Sonnenschein aufklarte. Wasser tropfte von den Blättern und bildete in Vertiefungen Pfützen, und die Luft dampfte und wurde feucht. Desidio sandte Reiter zu den Ebenen zurück, und Erring Rift schickte zwei Flugreiter südwärts. Die Elfen zogen aus den tiefen Wäldern zum Rand des Graslands und ließen sich dort nieder, um abzuwarten.

Die Kundschafter und die Flugreiter kehrten am Mittag mit unterschiedlichen Berichten zurück. Die Elfenjäger hatten nichts gefunden, aber die Flugreiter berichteten, daß das Föderationslager abgeschlagen worden war und sich die Armee darauf vorbereitete, weiterzuziehen. Da es bereits Mittag war, konnte man nicht mit Sicherheit sagen, was dies bedeutete, denn die Armee konnte nicht darauf hoffen, bis zur Dämmerung mehr als nur wenige Meilen zurücklegen zu können. Wren lauschte all den Berichten, ließ sie sich ein zweites Mal wiederholen, durchdachte die Angelegenheit und rief dann Erring Rift herbei.

»Ich möchte aufsteigen und mir das selbst ansehen«, erklärte sie ihm. »Könnt Ihr jemanden auswählen, der mich hinaufbringt?«

Der schwarzbärtige Rift lachte. »Und der soll dann Tiger Ty gegenübertreten, wenn etwas geschieht? Keine Chance! Ich werde euch selbst mit hinaufnehmen, meine Königin. Auf diese Weise werde ich, wenn etwas schiefgeht, wenigstens nicht derjenige sein, der dafür geradezustehen hat!«

Sie informierte Triss über ihren Plan, lehnte sein Angebot ab, sie zu begleiten, und ging zu der Stelle hinüber, wo Rift sich gerade auf Grayl festgurtete. Tib holte sie mit großen, eifrigen Augen ein und fragte, ob er mitkommen dürfe. Sie lachte und lehnte es ab, versprach ihm aber, angespornt durch die Mischung aus Eifer und Enttäuschung auf seinem Gesicht, daß er ein anderes Mal mitkommen könne.

Minuten später flog sie auf Grayl südwärts, spähte auf den feuchten Baldachin der unter ihnen liegenden Wälder und auf den windbewegten Teppich des östlichen Graslands hinab. Nebel erhob sich in dampfenden Wogen von dem Land, und die Luft schimmerte wie heller Stoff. Grayl schoß schnell am Pykon vorbei die Waldlinie hinab, bis sie in Sichtweite der Föderationsarmee waren. Rift lenkte den Rock in den Schatten der Bäume und Berge und hielt sich zwischen den Südländern und dem Glanz der späten Nachmittagssonne.

Wren spähte auf das weite Lager hinab. Der Bericht war richtig gewesen. Die Armee machte mobil, packte ein, bildete Kolonnen und bereitete sich darauf vor, weiterzuziehen. Einige Abteilungen eilten bereits gen Norden. Was auch immer der Elfenangriff bewirkt haben mochte, er hatte das ursprüngliche Vorhaben der Armee nicht vereitelt. Der Marsch auf Arborlon wurde erneut geführt.

Grayl strich an der Armee vorüber, und gerade als Rift den riesigen Rock erneut umwenden wollte, berührte Wren seinen Arm und bedeutete ihm, weiterzufliegen. Sie war nicht sicher, wonach sie suchte, sie wollte nur sichergehen, daß sie nichts übersah. Kamen Reiter von den Städten des Südlandes heran, wurden Berichte ausgetauscht, wurde Verstärkung gesandt? Tiger Tys Warnung summte in ihren Ohren.

Sie flogen weiter, folgten dem schlammigen Band des Mermidon, wo er südlich aus dem Pykon heraus und an den Ebenen vorbeifloß, bevor er sich östlich oberhalb des Shroudslip auf Kern zuwand. Das Grasland erstreckte sich gen Süden und Osten leer und grün und in der Sommerhitze dampfend. Der Wind blies über ihr Gesicht und peitschte gegen ihre Augen, bis sie tränten. Erring Rift beugte sich vor, seine Hände ruhten auf Grayls Hals so beständig wie ein Fels und lenkten ihn durch die Berührung.

Vor ihnen wandte sich der Mermidon scharf nach Westen, verengte sich und weitete sich dann wieder, während er im Grasland verschwand. Der Fluß war träge und von den Regenfällen angeschwollen und mit Schutt aus den Gebirgen und Wäldern durchsetzt. Unaufhörlich wühlte er sich seinen Weg durch den ausgehöhlten Kanal weiter.

Am entgegengesetzten Ufer des Flusses wurde schimmerndes Sonnenlicht von Metall reflektiert, als sich etwas bewegte. Wren blinzelte und berührte dann Rifts Schulter. Der Flugreiter nickte. Er hatte es auch gesehen. Er verlangsamte Grayls Flug und lenkte den Rock näher an die Deckung der Bäume am nördlichen Ende des Irrybis heran.

Ein weiterer Lichtschimmer blitzte scharf auf, und Wren spähte vorsichtig nach vorn. Etwas Großes war dort unten. Nein, mehrere große Erhebungen waren es wohl. Sie alle bewegten sich, schleppten sich schwerfällig dahin wie riesige Ameisen...

Und dann konnte sie sie deutlicher sehen. Sie hatten sich unten am Ufer zusammengekauert, während sie sich darauf vorbereiteten, eine Furt zu überqueren. Offenbar waren sie aus dem Tirfing gekommen.

Kriecher.

Acht insgesamt.

Sie atmete tief ein, sah die gepanzerten, mit Stacheln versehenen Körper mit den scharfen Kanten, die Insektenbeine und Scheren, die von der Schattenwesenmagie gebildete Mischung aus Haut und Eisen.

Sie wußte über die Kriecher Bescheid.

Rift führte Grayl in scharfem Bogen zurück in die Bäume, fort von dem Anblick der Wesen am Ufer, fort von dem verräterischen Sonnenlicht. Wren schaute über die Schulter zurück, um sicherzugehen, daß sie sich nicht geirrt hatte. Es waren wirklich Kriecher, die da aus dem Südland gekommen waren. Sie waren gesandt, um der auf Arborlon zumarschierenden Föderationsarmee zu helfen – sie waren die Antwort der Schattenwesen auf ihre eigene Aktion, durch die die Armee aufgehalten worden war. Sie erinnerte sich an die Geschichte, die Garth sie als Kind gelehrt hatte, eine Geschichte, die die Menschen der Vier Länder mehr als fünfzig Jahre lang eher geflüstert als erzählt hatten: Wie die Zwerge dem Vormarsch der Föderation widerstanden hatten, bis die Kriecher gekommen waren, um sie zu vernichten.

Kriecher. Jetzt waren sie offenbar gesandt, um die Elfen zu vernichten.

Eine Grube öffnete sich in ihrem Magen, kalt und dunkel. Erring Rift sah sie an. Er wartete darauf, daß sie ihm sagen würde, was zu tun wäre. Sie deutete auf den Weg, den sie gekommen waren. Rift nickte und drängte Grayl vorwärts. Wren warf einen letzten verstohlenen Blick zurück und beobachtete, wie die Kriecher in der Hitze verschwanden.

Für den Moment sind sie nicht mehr zu sehen, dachte sie düster.

Aber was konnten die Elfen tun, wenn sie wieder erschienen?

19

Walker Boh blinzelte.

Es war einer jener kristallklaren Tage, an dem das Sonnenlicht so hell ist und die Farben so strahlend sind, daß es die Augen fast schmerzt, sie anzusehen. Der Himmel war von Horizont zu Horizont wolkenlos, eine tiefblaue Leere, die sich endlos erstreckte. Aus dieser Leere und diesem Himmel brannte die Sonne in weißheißem Glanz am Mittag so herab, daß man ihn nur ansehen konnte, wenn man blinzelte und schnell wieder fortschaute. Er schien auf die Vier Länder herab und brachte die Farben des späten Sommers mit erschreckender Klarheit hervor, sogar die dumpfen Brauntöne getrockneter Gräser und staubiger Erde, aber besonders die Grüntöne der Wälder und des Graslands, die Blautöne der Flüsse und Seen und die eisengrauen Farbtöne und das verbrannte Kupfer der Berge und Tiefebenen. Die Hitze der Sonne erhob sich in jenen Winkeln in Wogen, in denen der Wind nicht abkühlte, aber selbst dort schien alles klar gezeichnet und mit der Präzision eines Handwerkes definiert, und da war das Gefühl, daß schon ein greller Schrei dies alles würde zerstören können.

Es war ein Tag der Lebensfreude, an dem vielleicht alle Versprechen erfüllt würden, die jemals gemacht wurden, und alle erdenklichen Hoffnungen und Träume wahr würden. Es war ein Tag des Nachdenkens über das Leben, und Gedanken an den Tod schienen merkwürdig fehl am Platze.