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Walker schaute auf den verfallenen Körper hinab. Wo die Sense durch ihn hindurchgeschnitten hatte, waren silberne Froststreifen in den Stoff seiner Gewänder eingewoben.

»Du hättest es mir sagen sollen«, sagte er leise. Seine Augen standen voller Tränen. Er wußte nicht, wann sie gekommen waren. Ein Teil von ihm erinnerte sich daran, daß er einst, vor langer Zeit, fähig gewesen war zu weinen. Er verstand nicht, warum er jetzt dazu in der Lage war, dachte aber auch nicht, daß er es jemals wieder tun würde.

Cogline schüttelte in einer langsamen und schmerzvollen Bewegung den Kopf. »Nein. Ein Druide sagt nicht, was er nicht sagen muß.« Er hustete erneut. »Du weißt das.«

Walker Boh konnte nicht sprechen. Er schaute nur auf den alten Mann hinab.

Cogline blinzelte. »Du hast mir einmal gesagt, daß ich immer wüßte, wann ich handeln müßte und wann nicht.« Er lächelte. »Du hattest recht.«

Er schluckte erneut. Dann wurde sein Blick starr, und er hörte auf zu atmen. Walker sah weiterhin auf ihn hinab, kniete im Staub und in der Hitze da, lauschte auf die Stille, die sich ungebrochen ausstreckte, und dachte in bitterem Trost, daß Allanon den alten Mann das letzte Mal benutzt hatte.

Er schloß Coglines blinde Augen.

Es mußte sich erst noch zeigen, ob der Druide ihn zum Guten benutzt hatte.

20

Walker begrub Cogline in den Wäldern unterhalb Paranors. Er bettete ihn auf einer Lichtung zur Ruhe, die ein Fluß, der sich durch eine Reihe flacher Stromschnellen schlängelte, kühlte und die von Eichen und Hickorybäumen gesäumt wurde, deren belaubte Zweige einen Teppich aus Wildblumen und grünen Gräsern mit schattigen Mustern bedeckten. Jeden Tag würde sich mit dem Zug der Sonne gen Westen das Farbenspiel verändern. Es war eine Umgebung, die Walker an die verborgenen Täler am Hearthstone erinnerte, die sie beide so gern bewandert hatten. Er wählte einen Platz auf der Lichtung, von dem aus die Spitzen Paranors deutlich zu sehen waren. Cogline, der sich bis zum Ende als irregeleiteter Druide gefühlt hatte, war endlich heimgekehrt.

Als er fertig war, verweilte Walker noch eine Zeitlang auf der Lichtung. Er fühlte sich zerschlagen und erschöpft, aber die tiefsten Wunden waren jene, die er nicht sehen konnte, und es bedeutete für ihn ein gewisses Maß an Trost, inmitten der uralten Bäume zu stehen und die Waldluft zu atmen. Vögel sangen, ein Windstoß ließ die Blätter und Gräser rascheln, der Fluß kräuselte sich, und die Geräusche waren tröstlich und friedlich. Er wollte noch nicht nach Paranor zurückkehren. Er wollte nicht an den geschwärzten, verkohlten Überresten der Vier Reiter und ihrer Schlangenreittiere vorbei hinaufgehen. Er wollte alles, was in seinem Leben geschehen war, auslöschen wie Kreide von einer Tafel und erneut beginnen. In ihm war eine Bitterkeit, die er nicht loswerden konnte, die mit der Beharrlichkeit eines hungrigen Tieres an ihm nagte und kratzte und sich nicht vertreiben ließ. Diese Bitterkeit hatte viele Ursachen – er machte sich nicht die Mühe, sie aufzulisten. Am stärksten empfand er natürlich Bitterkeit über sich selbst. Er war in diesen Tagen immer über sich selbst verbittert, wie es schien, ein Fremder, aus dem Nichts gekommen, ein Mann, dessen Identität er kaum erkannte, ein nur zu bereites Unterpfand für die Wünsche und Bedürfnisse alter Männer, die seit tausend Jahren vergangen waren.

Er saß auf der Lichtung am Fluß, schaute über sie und den Flecken frisch gewendeter Erde an der Stelle, an der Cogline lag, hinweg und zwang sich dazu, sich an den alten Mann zu erinnern. Seine Verbitterung brauchte Linderung. Vielleicht würden Erinnerungen an den alten Mann dies bewirken. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich einige Handvoll kaltes Wasser aus dem Fluß ins Gesicht zu spritzen, es von Schmutz und Asche und Blut zu säubern, ließ sich dann auf einem sonnigen Fleck nieder und ließ seine Gedanken schweifen.

Wenn Walker sich an Cogline erinnerte, dachte er vor allem an den Lehrer, einen Mann, der zu ihm gekommen war, als sein Leben durcheinander und wirr gewesen war, als er die Rassen verlassen hatte, um allein am Hearthstone zu leben, wo man ihn nicht anstarren und über ihn flüstern würde, wo er nicht als der Dunkle Onkel bekannt sein würde. Die Magie war für Walker damals ein Mysterium gewesen, das Vermächtnis des Wunschgesangs von Brin Ohmsford, das durch die Jahre hindurch in einem Gewirr von Fäden herabgekommen war, die er nicht entwirren konnte. Cogline hatte ihm Möglichkeiten aufgezeigt, wie er die Magie kontrollieren konnte, so daß er sich ihr gegenüber nicht mehr hilflos fühlen mußte. Cogline hatte ihn gelehrt, wie er sein Leben ausrichten mußte, damit er Herr der weißen Hitze sein konnte, die in ihm wühlte. Er hatte ihm die Angst und die Verwirrung genommen und Walker seinen Sinn für das Wesentliche und seine Selbstachtung zurückgegeben.

Der alte Mann war sein Freund gewesen. Er hatte für ihn gesorgt, hatte sich auf eine Art um ihn gekümmert, die Walker, nach einiger Überlegung, als die Art erkannte, wie sich ein Vater um seinen Sohn kümmerte. Er hatte ihn unterwiesen und geleitet und war dagewesen, wenn er gebraucht wurde. Selbst als Walker reifer geworden war – und jener Abstand zwischen ihnen bestand, wenn Väter und Söhne sich als gleichberechtigt ansehen müssen, ohne es jemals selbst ganz zu glauben –, blieb Cogline so nahe bei ihm, wie Walker es zuließ. Sie hatten gekämpft und gestritten, sich mißtraut und beschuldigt und einander dazu herausgefordert, das zu tun, was richtig war, und nicht das, was leicht zu tun war. Aber sie hatten einander nie aufgegeben oder im Stich gelassen. Sie hatten niemals den Glauben an ihre Freundschaft verloren. Das Wissen um diese Tatsache half Walker jetzt.

Manchmal war es leicht zu vergessen, daß der alte Mann vor diesem schon andere Leben gelebt hatte, einige, von denen Walker noch immer kaum etwas wußte. Cogline war einst jung gewesen. Wie war das gewesen? Der alte Mann hatte es niemals erzählt. Er hatte mit den Druiden gelernt – mit Allanon, mit Bremen, vielleicht auch mit jenen, die zuvor vergangen waren, obwohl er das niemals wirklich gesagt hatte. Wie alt war Cogline gewesen? Wie lange hatte er gelebt? Walker erkannte plötzlich, daß er es nicht wußte. Cogline war bereits ein alter Mann gewesen, als Kimber Boh ein Kind gewesen und Brin Ohmsford auf der Suche nach dem Ildatch nach Darklin Reach gekommen war. Das war vor hundert Jahren gewesen. Was Walker von jener Zeit wußte, hatte er von Cogline. Der alte Mann hatte über diese Zeit gesprochen, über das Kind, das er aufgezogen hatte, über den Wahnsinn, den er nachgeahmt und sich dann zu eigen gemacht hatte, darüber, wie er Brin und ihre Gefährten zum Maelmord geführt hatte, damit sie den Mord Wraiths ein Ende bereiten konnten. Walker hatte jene Geschichten gehört. Dennoch kannte er damit nur einen sehr kleinen Teil des Lebens des alten Mannes – einen Tag aus der Zeitspanne eines ganzen Jahres. Was war mit dem Rest? Welche Teile seines Lebens hatte Cogline versäumt zu offenbaren – welche Teile waren jetzt für immer verloren?

Walker schüttelte den Kopf und schaute über die Bäume hinaus auf Paranor. Teile, die der alte Mann sicherlich nicht ungern vergessen hatte, entschied er. Walker beneidete Cogline nicht darum, daß er beschlossen hatte, sie geheimzuhalten. So geschah es mit dem Leben eines jeden. Alle Leute behielten Teile dessen, wer und was sie waren und wie sie gelebt hatten, für sich, Dinge, die nur ihnen gehörten, Dinge, die niemand sonst mit ihnen teilen sollte. Im Tode waren jene Dinge dunkle Höhlungen in den Erinnerungen jener, die weiterlebten, aber so mußte es sein.