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Er stellte sich das bärtige Gesicht des alten Mannes vor. Er lauschte in der Stille auf den Klang seiner Stimme. Cogline hatte lange Zeit gelebt. Er hatte unzählige Leben gelebt. Er hatte länger gelebt, als er hätte leben sollen, am Hearthstone errettet, um nach Paranor zu gelangen und dafür zu sorgen, daß es zurückgebracht würde, und er war so gestorben, wie er es sich erwählt hatte, hatte sein eigenes Leben aufgegeben, damit Walker das seine behalten konnte. Es wäre Walker falsch erschienen, dieses Geschenk zu beklagen, denn wenn er es beklagt hätte, hätte er damit nur seinen Wert vermindert. Cogline hatte gelebt, um miterleben zu können, wie er zu jenem Druiden umgewandelt wurde, der der alte Mann niemals geworden war. Er hatte gelebt, um seine Entwicklung bis zu den Träumen von Allanon und der Erfüllung von Brin Ohmsfords Vermächtnis zu führen. Und unabhängig davon, ob es nun zum Guten oder zum Schlechten geschehen war, Walker war dank Cogline sicher durch die Geschehnisse hindurchgelangt.

Er spürte, wie ein Teil seiner Bitterkeit zu schwinden begann. Die Bitterkeit war falsch. Sich zu beklagen war falsch. Es gab Ketten, die einen festhielten und herabzogen. Nichts Gutes konnte daraus erwachsen. Was gebraucht wurde, waren Ausgewogenheit und Perspektiven, wenn die Zukunft eine Bedeutung haben sollte. Walker konnte sich erinnern – und sollte es auch tun. Aber die Erinnerungen waren dazu gedacht, das zu gestalten, was kam, die Möglichkeiten zu ergreifen, die vor ihm lagen, und sie den Zwecken zuzuführen, für die sie bestimmt waren. Er dachte erneut an die Druiden und ihre Machenschaften, an die Art, wie sie die Geschichte der Rassen gestaltet hatten. Er hatte ihre Bemühungen verachtet. Jetzt war er einer von ihnen. Cogline hatte gelebt und war gestorben, damit er es sein konnte. Seine Chance bestand darin, das besser zu machen, was er bei jenen so schnell kritisiert hatte, die vor ihm gegangen waren. Er mußte das Beste aus dieser Chance machen. Cogline konnte erwarten, daß er das tat.

Die Sonne glitt im Westen unter den Baldachin des Waldes, als er aufstand und sich ein letztes Mal zu der Stelle begab, an der der alte Mann begraben lag. Er fand sich jetzt besser als zuvor mit dem ab, was geschehen war, war jetzt besser mit den reinen Tatsachen ausgesöhnt. Cogline war gegangen. Walker blieb. Er würde Kraft und Entschlossenheit aus dem Beispiel des alten Mannes schöpfen. Er würde seine Erinnerung im Herzen tragen.

Als das Licht im Dunst der Sommerhitze karmesinrot und golden und purpurfarben wurde, ging er den Weg durch die sich verdunkelnden Wälder nach Paranor zurück.

In dieser Nacht träumte er von Allanon.

Es war das erste Mal seit dem Hearthstone, daß dies geschah. Sein Schlaf war tief und ruhig, und der Traum weckte ihn nicht, obwohl er hinterher dachte, daß es ein- oder zweimal nahe daran gewesen war. Er war erschöpft von seinem Kampf, und er hatte wenig gegessen. Er hatte gebadet, sich umgezogen und dann einen Becher Bier getrunken, während er in dem Studierzimmer gesessen hatte, das Cogline so geliebt hatte. Ondit hatte zusammengerollt zu seinen Füßen gelegen, die leuchtenden Augen hin und wieder auf ihn gerichtet, als wollte er fragen, was aus dem alten Mann geworden war. Als er so müde geworden war, daß er sich kaum noch hatte aufrecht halten können, war er zu seinem Schlafraum gegangen, unter die Decken gekrochen und hatte sich davongleiten lassen.

Der Traum war wohl sofort gekommen. Es war Nacht, und er ging allein auf dem schimmernden schwarzen Gestein entlang, das den Boden des Tales von Shale bedeckte. Der Himmel war klar und sternenerfüllt. Ein Vollmond schien weiß wie frisches Leinen vor dem gezackten Grat der Drachenzähne. Die Luft roch sauber und rein wie von jeher, und ein Windstoß strich mit kühler Berührung über sein Gesicht. Walker war schwarz gekleidet, mit einem Gewand mit Kapuze, mit Gürtel und Stiefeln, ein Druide, der im Kielwasser bereits vergangener Druiden verging. Er stellte nicht in Frage, wer er war. Er war aus der Dunkelheit des Schwarzen Elfensteins gekommen, durch das Feuer der Umwandlung in den Brunnen des Keep gelangt, zurückgekommen in die Welt der Menschen. Er war Herr von Paranor und Diener der Rassen. Es war ein seltsames, belebendes Gefühl. Das Gefühl schien dazuzugehören.

Schwache Momente glitten in dem Traum vorüber, und dann näherte er sich dem Hadeshorn, wo das Wasser schwarz und ruhig in der Nacht schimmerte. Wie Glas leuchtete der See glatt und glänzend im Mondlicht und spiegelte den Himmel und die Sterne wider. Das Gestein knirschte unter seinen Füßen, während er ging, aber jenseits dieses Geräuschs war nur Stille. Es kam ihm vor, als wäre er allein auf der Welt, der letzte Mensch, der sie bewanderte, ein einsamer Wächter über die übriggebliebene Leere.

Er erreichte den Hadeshorn und blieb stehen. Regungslos harrte er an seinem Ufer aus. Der Wind erstarb unterdessen, und die Stille drängte rund um ihn herum heran. Er griff aufwärts und zog die Kapuze seines Umhangs zurück. Er wußte nicht, warum. Mit entblößtem Kopf wartete er.

Er mußte nur einen Moment lang warten. Fast sofort begann der Hadeshorn zu brodeln. Sein Wasser kochte, als sei es in einem Kessel erhitzt worden. Dann begann es Strudel zu bilden und kreiste in einer langsamen und stetigen Bewegung, die sich von einem Ufer zum anderen erstreckte. Walker erkannte, was geschah. Er hatte es schon zuvor geschehen sehen. Der Hadeshorn zischte, Gischt erhob sich in weit über die Oberfläche aufragenden Geysiren und fiel dann in einem Wirrwarr von Edelsteinen in sich zusammen. Wehklagen begann. Er hörte den Klang von an einem fernen Ort gefangenen Stimmen, die um Erlösung baten. Das Tal erschauerte, als erkenne es die Schreie, als krümme es sich von ihnen fort. Walker Boh hielt stand.

Dann erschien Allanon erneut. Er erhob sich zu einem Chor von Schreien aus dem schwarzen Wasser. Aus der Unterwelt kam ein grauer, mit einem Umhang mit Kapuze bekleideter Geist, um mit dem Mann zu sprechen, der als sein Nachfolger erwählt worden war. Er schimmerte, als er sich erhob, durchscheinend im Mondlicht, denn die Haut und die Knochen seines sterblichen Körpers waren vor langer Zeit im Staub vergangen, und er war nur noch ein blasses Bild dessen, der er gewesen war. Er stieg aus den Tiefen empor, bis er auf der Wasseroberfläche stand, ließ sich dort schweigend nieder und sah Walker Boh an.

»Allanon«, grüßte der Dunkle Onkel mit einer Stimme, die er nicht als seine eigene erkannte.

– Du hast es gut gemacht, Walker Boh –

Die Stimme klang tief und volltönend und wogte von tief unten aus einem höhlenartigen Raum innerhalb des Schattens herauf.

Walker Boh schüttelte den Kopf. »Nicht sehr gut. Nur ausreichend. Ich habe getan, was ich tun mußte. Ich habe den, der ich war, für den aufgegeben, der Ihr mich werden lassen wolltet. Zuerst war ich verärgert darüber, daß es so sein sollte, aber ich habe diesen Ärger hinter mir gelassen.«

Die Wasser des Hadeshorn brodelten und zischten erneut, als der Schatten vorwärts kam und über die Oberfläche glitt. Es sah aus, als müsse er sich nicht bewegen. Er blieb stehen, als er bis auf eine Reichweite von etwa zehn Fuß an Walker herangekommen war.

– Das Leben ist eine Zeit, in der man wählen muß, Walker Boh. Der Tod ist eine Zeit, sich daran zu erinnern, wie man gewählt hat. Manchmal sind die Erinnerungen nicht unbedingt erfreulich –

Walker nickte. »Ich weiß, daß es so sein muß.«

– Trauerst du um Cogline –

Walker nickte erneut. »Aber auch das liegt hinter mir. Er hat gut gewählt. Sogar dieses letzte Mal.«

Der Arm des Schattens hob sich und folgte einem glitzernden Sprühregen, der wie Silberstaub herabfiel.

– Ich konnte ihn nicht retten. Sogar Druiden haben nicht die Macht, dem Tod zu widerstehen. Mir wurde es von Bremen mitgeteilt, als meine Zeit fast gekommen war. Cogline hat es von mir erfahren. Ich habe ihm alle Hilfe gegeben, die ich ihm geben konnte – eine Chance, in die Vier Länder zurückzukehren, wenn Paranor wiederhergestellt sein würde – eine Chance, dir bei deinem Kampf gegen die Schattenwesen ein letztes Mal zu helfen. Mehr konnte ich nicht tun –