Dann erhob er sich von seinem Bett, wusch sich, zog sich an und frühstückte auf den Festungsanlagen, die im Licht des neuen Tages über das Land hinwegsahen. Er dachte erneut an Cogline, an all das, was der alte Mann ihn gelehrt hatte. Er wiederholte für sich die Litanei von Regeln und Einsichten, die ihm seine Umwandlung von einem sterblichen Menschen zu einem Druiden gegeben hatte, die gesamte Geschichte der gewesenen und wieder vergangenen Druiden. Er ging sorgfältig die Lehren über den Gebrauch seiner Magie durch, von denen er einige bereits ausprobiert hatte und einige noch ungeprüft geblieben waren.
Zuletzt zählte er noch einmal die Ereignisse des Traums auf und die Geheimnisse, die er ihm offenbart hatte. Und da waren Geheimnisse gewesen – einige wenige, wichtige, vor allem jenes zuletzt, als Allanon ihn berührt hatte. Was er erfahren hatte, begann bereits auf Antworten auf seine bisher unbeantworteten Fragen hinzudeuten. Die Geschichte der Vier Lander seit der Zeit des Ersten Konzils in Paranor bildete ein Muster für das, was jetzt geschah. Die Ereignisse der vergangenen Wochen gaben diesem Muster Farbe und Gestalt. Aber erst der von ihm hervorgebrachte Traum und die Einsichten brachten dieses Muster ans Licht, wo es deutlich erkennbar war.
Was noch immer fehlte, war der Grund, warum Wren mit der Aufgabe betraut worden war, die Elfen zurückzubringen.
Was fehlte, war der Grund, warum Par ausgesandt worden war, um das Schwert von Shannara zu finden.
Und vor allem fehlte die Wahrheit hinter dem Geheimnis der Schattenwesenmacht.
Schließlich erhob er sich und stieg hinab in die Tiefen der Festung. Ondit folgte ihm leise, er war nicht mehr als ein Schatten in seinem Rücken. Er würde die Moorkatze mit sich nehmen, beschloß er. Cogline hatte ihm die Katze immerhin überlassen. Es lag in seiner Verantwortung, für sie zu sorgen. Sie konnte nicht im Keep eingesperrt bleiben, und die Nähe, die sie teilten, könnte sich auch vielleicht als nützlich erweisen. Er lächelte, als er seine Gedanken überprüfte. Die Wahrheit war, daß er hoffte, Ondit würde ihm ein wenig der Kameradschaft geben, die ihm ohne Cogline fehlen würde.
Er stieg in den Brunnen der Festung hinab, legte dort seine Hände an die Steinmauern, griff hinein und tastete nach dem Leben, das dort ruhte. Die Magie kam zu ihm. Sie gehorchte seinem Rufen, und er sorgte dafür, daß niemand hereinkommen konnte, bis er zurückkehren würde.
Dann schloß er die Tore Paranors und ging wieder in die Welt hinaus. Er verließ die Klippe und betrat die Wälder, in denen die Hitze ausgeschlossen wurde und es schattig und kühl war. Ondit ging mit ihm. Er war dankbar, daß er wieder aus den einengenden Mauern befreit worden war, glitt in die Schatten, um Nahrung und Spuren zu suchen, kehrte aber hin und wieder an Walkers Seite zurück, um sicher zu sein, daß er noch da war. Sie zogen nördlich an dem Platz vorbei, an dem Cogline lag, und Walker wandte sich nicht zur Seite. Er hatte sich bereits von dem alten Mann verabschiedet. Es war das beste, es dabei zu belassen.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, der brennende Glanz der Sonne entglitt westlich zu den Drachenzähnen, die Hitze löste sich in der Kühle der Abendschatten langsam auf. Walker und die Moorkatze zogen beständig weiter. Vor ihnen wurden die Wachfeuer der im Kennonpaß lagernden Föderationssoldaten entzündet. Sie lagerten um den Schein der Flammen und aßen. Nur einige Wächter wurden auf ihre Posten geschickt.
Um Mitternacht waren Walker und die Moorkatze ungesehen an ihnen vorbeigelangt und befanden sich auf dem Weg nach Süden.
21
An jenem Morgen, an dem die beiden zerrissenen Lumpensammlerinnen zusammen mit ihrem ältlichen, blinden Vater und den anderen Händlern, Kaufleuten, Trommlern, Hausierern und umherziehenden Straßenverkäufern, die aus den umliegenden Dörfern gekommen waren, durch die Tore von Tyrsis schritten, waren die Wolken jener Regengüsse, die die Westlandelfen und die Föderationsarmee überschwemmt hatten, noch immer am westlichen Horizont zu sehen. Wie die meisten anderen, die in die Stadt hineinwollten, hatten sie während der Nacht vor den Toren gelagert. Alle waren bestrebt, früh hineinzugelangen, damit sie die besten Standplätze auf dem freien Markt erwischten, wo das Handeln und Tauschen stattfand. Sie mühten sich so schnell voran, wie sie konnten, aber die Frauen waren durch den alten Mann behindert, der sich unsicher seinen Weg suchte, von beiden Seiten gestützt werden mußte und die Füße vorsichtig den staubigen Weg entlangführte. Föderationswächter säumten die Eingänge der äußeren und inneren Mauern und überprüften jeden, der vorbeiging. Es war ungewöhnlich, daß sie sich darum kümmerten, wer die Stadt betrat, denn in der Vergangenheit hatten sie eher verstärkt darauf geachtet, wer die Stadt verlassen wollte. Aber Padishar Creel, der Anführer der Geächteten, sollte zur Mittagszeit des folgenden Tages hingerichtet werden, und die Föderation befürchtete, daß ein Befreiungsversuch unternommen werden würde. Man glaubte zwar, daß ein solcher Befreiungsversuch auf jeden Fall scheitern würde, egal wie gut er geplant wäre, denn die Stadtgarnison besaß mit einigen fünftausend Mann ihre volle Stärke, und es waren außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet worden. Dennoch sollte nichts dem Zufall überlassen bleiben, und daher hatten die Wachen an den Toren ausdrückliche Instruktionen erhalten, jeden genau zu kontrollieren.
Sie beschlossen, die beiden Lumpensammlerinnen und den alten Mann beiseite zu nehmen. Es war eine willkürliche Auswahl, die der Befehlshaber der Wache früh am Morgen als Kompromiß angeordnet hatte, damit sie nicht jedermann anhalten mußten, was endlos dauern würde, und auch nicht der Pflichtversäumnis angeklagt werden konnten, wenn sie niemanden kontrollierten. Die drei erhielten den Befehl, abseits von der Menge auf einem freien Platz im Hof zwischen den Stadtmauern stehenzubleiben und dort auf ihr Verhör zu warten. Aus der Menge wurden ihnen verstohlen und mißtrauisch vereinzelte Blicke zugeworfen. Besser ihr als ich, schienen sie zu sagen. Staub erhob sich, als die Menge vorbeieilte, und selbst jetzt, wo die Sonne noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, fühlte sich die Luft schon heiß und klebrig an.
»Namen«, sagte der Offizier vom Dienst zu den Lumpensammlerinnen und dem alten Mann.
»Asra, Wintath und unser Vater Criape«, sagte diejenige mit dem verwilderten, zotteligen rötlichen Haar. Infektionen überzogen die Haut ihres Gesichts, und sie roch wie alter Abfall.
Der Offizier sah die andere Frau an, die sofort den Mund öffnete und geschwärzte Zähne und eine rauhe rote Kehle zeigte, der die Zunge fehlte. Der Offizier schluckte.
»Sie kann nicht sprechen«, sagte die erste grinsend.
»Aus welchem Dorf kommt ihr?«
»Spekese Run«, sagte die Frau. »Kennt Ihr es?«
Der Offizier schüttelte den Kopf. Er betrachtete die Lumpenstapel, die sie auf ihre Rücken gebunden trugen. Wertloses Zeug. Er betrachtete den alten Mann, der sein Gesicht unter der Kapuze verborgen hielt, konnte aber nicht viel von ihm erkennen. Daher trat er vor und zog die Kapuze zurück. Der Kopf des alten Mannes fuhr hoch, und seine geschwärzten Lider wurden ruckartig geöffnet und ließen eine dicke, milchige Flüssigkeit an der Stelle sehen, wo seine Augen hätten sein sollen. Der Offizier würgte.
»Weiter mit euch.« Er winkte und ging schnell weiter, um den nächsten Unglücklichen zu verhören.
Die Frauen und der alte Mann schlurften gehorsam davon. Sie glitten in die Menge zurück, passierten die Postenkette, die die Tore der inneren Mauer säumte, und betraten von dort aus die Stadt. Sie waren ein gutes Stück von der Tyrsian Allee entfernt und hielten sich an die Seitenstraßen, in denen keine Föderationswächter patrouillierten, bevor Matty Roh die gefärbte Fruchtschale ausspuckte, die in ihrem Mund geklebt hatte, und sagte: »Ich habe Euch gesagt, daß dies zu riskant sein könnte!«
»Wir sind hineingelangt, nicht wahr?« fauchte Morgan gereizt. »Hört auf, Euch zu beschweren und bringt mich irgendwohin, wo ich mir dieses Zeug aus den Augen waschen kann!«