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Er zog sich die Stiefel an, während er Brot und Käse aß und überlegte, was vor ihnen lag. Das Heute war eine heiße, drückende Hoffnung, die durch die gefleckten Schatten der Blätter und Zweige hindurchschimmerte, und konnte ihn überall hinführen. Die Vergangenheit war eine Mahnung an die Wandelbarkeit des Lebens, an das Schicksal, das die Gelegenheit verspielte und zurückgab, was es wollte. Das Ungemach und die Verluste, die Morgan hatte erfahren müssen, hatten ihn gehärtet, und eine Leere hatte sich um ihn gebildet, von der er glaubte, daß nichts sie jemals wieder würde durchdringen können. Sie war ein unzugänglicher Ort, an dem Schmerz und Enttäuschung und Angst nicht überleben konnten, ein Schild, der es ihm erlaubte, alles von sich fernzuhalten, so daß er auch dann noch weitermachen konnte, wenn er manchmal glaubte, er könnte es nicht mehr. Das Problem dabei war natürlich, daß so auch andere Dinge ferngehalten wurden – wie Hoffnung und Sorge und Liebe. Er konnte sie zulassen, wenn er sich dazu entschloß, aber es bestand immer die Gefahr, daß die anderen Gefühle dann auch zurückkamen. Wenn man eines zuließ, riskierte man immer, auch die anderen zuzulassen. Es war sein Vermächtnis von Steff und Quickening, vom Jut und von Eldwist, von Druidengeistern und Schattenwesen. Es war eine Wahrheit, die ihn verfolgte.

Er schob die Überlegungen und Grübeleien beiseite, beendete seine Mahlzeit, erhob sich und streckte sich.

»Fertig?« fragte Damson Rhee. Ihr Gesicht war vom kalten Wasser gerötet, und ihr feuerrotes Haar glänzte, nachdem sie es ausgebürstet hatte. Sie war hübsch und lebenssprühend und von einer Entschlossenheit erfüllt, die von ihr abstrahlte wie Hitze von einer Flamme. Morgan betrachtete sie und dachte erneut, wie glücklich Par sein mußte, daß jemand wie sie ihn liebte.

Matty Roh wusch ihren Teller ab und gab ihn Damson, damit sie ihn einpacken konnte. »Wohin gehen wir von hier aus?« fragte sie in ihrer gewohnten, offenen Art. »Wie wollen wir darangehen, Par Ohmsford zu finden?«

Damson packte den Teller zusammen mit den anderen ein. »Wir werden ihn aufspüren.« Sie sicherte das Gepäck und stand auf. »Hiermit.«

Sie griff vorn in ihre Tunika und zog an einem Lederband etwas heraus, das wie die Hälfte eines Medaillons aussah. Morgan und Matty beugten sich nah heran. Das Medaillon, tatsächlich eine Metallscheibe, trug keine Zeichen oder Insignien, und die gezackte Schärfe des geraden Randes verriet deutlich, daß es kürzlich zerbrochen worden war.

»Man nennt dies ein Skree«, erklärte Damson und hielt es ins Licht, wo es kupfern schimmerte. »Ich hab die andere Hälfte Par gegeben, als wir uns trennten. Die Scheibe wurde aus einem Metall geformt, in einem Arbeitsgang geschmiedet und kann nur einmal gebraucht werden. Die Hälften ziehen die Besitzer zueinander. Sie strahlen ein Licht aus, wenn sie einander nahe gebracht werden.«

Matty Roh schaute skeptisch drein. »Wie nah muß man sich kommen?« Ihr schwarzes, kurzes Haar lag straff um ihr Elfengesicht, und ihre Augen blickten tiefgründig und durchdringend. Sie sah frisch, zerzaust und jung aus – jünger, als sie war, dachte Morgan, und es war nichts davon zu erkennen, wer sie sein konnte.

Damson lächelte. »Das Skree ist eine Straßenmagie. Ich habe sie arbeiten sehen. Ich weiß, was sie vollbringen kann.« Das Lächeln vertiefte sich. »Wollen wir sie ausprobieren?«

Sie hielt das Skree auf ihrer ausgestreckten Handfläche zuerst nach Westen, dann nach Norden und dann nach Osten. Es tat nichts. Damson sah sie schnell an. »Er ist gen Süden gezogen«, erklärte sie. »Das habe ich mir bis zuletzt aufgehoben.«

Sie richtete ihre Hand nach Süden aus. Die kupferartige Vorderseite des Skree begann möglicherweise schwach zu pulsieren, aber Morgan war sich dessen absolut nicht sicher. Damson nickte jedoch zufrieden.

»Er ist anscheinend nicht weit entfernt.« Ihr Lächeln war verhalten, als ihr Blick dem der anderen begegnete. »Man muß wissen, wie man es lesen muß.« Sie verbarg die Scheibe wieder in ihrer Tunika. »Wir sollten besser losgehen.«

Sie griff nach ihrem Gepäck und schwang es sich über die Schulter. Matty Roh sah Morgan von der Seite an, und ihr Kopfschütteln besagte: »Hast du etwas gesehen, was mir entgangen ist?« Morgan zuckte die Achseln. Er war sich nicht sicher.

Sie brachen in der Hitze auf, folgten dem Mermidon auf seinem gewundenen Weg östlich auf Varfleet zu und hielten sich dabei so weit wie möglich in den Schatten der Bäume. Eine Brise wehte vom Wasser heran und verschaffte ihnen ein wenig Kühlung, aber das umliegende Land lag bar aller Bewegung still in der Hitze vor ihnen. Die Gipfel der Drachenzähne im Norden waren in der Schwüle des Sommers kahl und grau, und das Auf und Ab aus Hügeln und niedrigen Bergen im Süden zeigte sich ausgebrannt und trocken. Die Sonne hob sich in den wolkenlosen Himmel, und die Hitze strömte in Wellen herab. Tote Tiere lagen auf den freien Ebenen verstreut, und ihre verdrehten Körper gingen bereits in Verwesung über. Weite Gebiete der Wälder Callahorns waren krank, und die Erde darunter war karg. Teiche stehenden, trüben grünen Wassers glitzerten träge und übelriechend. Die Bäume waren zerstört und verdorrt wie die zum Trocknen aufgehängten Kadaver von Tieren. Oft erstreckten sich die Flächen verdorrter Erde meilenweit. Morgan konnte den Verfall in der Luft riechen. Dies war mehr als die Sommerhitze und die Trockenheit. Dies war das Gift der Schattenwesen, dem er begegnete, seit er nordwärts zog. Überall sah er die Verwüstung des Landes, deren Ursache die dunklen Wesen waren. Und sie wurde schlimmer.

Der Mittag ging in den Nachmittag über, und sie kamen nördlich an Varfleet heran, folgten aber weiter dem Mermidon, der südwärts zu verlaufen begann. Sie trafen auf ihrem Weg eine Handvoll Hausierer, aber die Hitze hatte die meisten Reisenden aus der Sonne vertrieben, so daß sie den Weg am Fluß entlang ziemlich allein bewanderten. Sie erblickten die erste Föderationspatrouille, als sie sich Varfleet näherten, und zogen sich zwischen die Bäume zurück, um sie passieren zu lassen.

Damson gebrauchte erneut das Skree, während sie warteten, und das Ergebnis war das gleiche. Die Scheibe schimmerte schwach, als sie gen Süden gehalten wurde – aber vielleicht war es auch nur eine Reflexion des Sonnenlichts. Erneut wechselten Morgan und Matty Roh einen heimlichen Blick. Es war heiß, und sie waren müde. Sie fragten sich, ob dies wohl irgendwohin führen würde oder ob Damson es einfach nur hoffte. Es gab noch andere Möglichkeiten, Par aufzuspüren, wenn die Scheibe nicht funktionierte, aber keine von ihnen würde Damson gerade jetzt überzeugen.

Sie müßten ein Boot besorgen, um den Mermidon hinab zum Regenbogensee zu reisen, erklärte sie und versteckte das Skree wieder. So würden sie dreimal schneller sein, als wenn sie versuchten, die Strecke zu Fuß zurückzulegen. Matty zuckte die Achseln und sagte, sie würde in die Stadt hineingehen, denn es sei für sie weniger gefährlich als für die anderen, und sie würde sie hier wieder treffen, sobald sie gefunden hätte, was sie brauchten. Sie legte ihr Bündel mit dem Bettzeug ab, das sie mit sich getragen hatte, und verschwand in der Schwüle.

Morgan saß mit Damson im Schatten einer alten Weide nahe am Ufer, von wo aus sie jeden sehen konnten, der sich näherte. Der Fluß war schlammig und nach dem Unwetter der letzten Nacht von Schutt durchsetzt. Sie beobachteten, wie er träge und bedächtig vorüberfloß. Ein Träger von Abgelegtem und alten Neuigkeiten. Morgans Augen waren vom Schlafmangel schwer, und er schloß sie gegen das Licht.

»Ihr seid Euch meiner noch immer nicht sicher, nicht wahr?« hörte er Damson nach einiger Zeit fragen.

Er sah zu ihr hinüber. »Was meint Ihr?«

»Ich habe den Blick bemerkt, den Ihr mit Matty getauscht habt, als ich das Skree benutzt habe.«