Er seufzte. »Das bedeutet nicht, daß ich mir Euretwegen nicht sicher bin, Damson. Es bedeutet, daß ich nichts gesehen habe, und das beunruhigt mich.«
»Man muß wissen, wie man es benutzt.«
»Das sagtet Ihr bereits. Aber was ist, wenn Ihr Euch irrt? Ihr könnt es mir nicht verübeln, daß ich skeptisch bin.«
Sie lächelte ironisch. »Doch, das kann ich. Zu irgendeinem Zeitpunkt dieser Reise müssen wir beginnen, einander zu vertrauen, wir alle drei. Wenn wir es nicht tun, werden wir eine Menge Schwierigkeiten bekommen. Denkt darüber nach, Morgan.«
Das tat er und dachte noch immer darüber nach, als sich die Dämmerung über das Grenzland senkte und Matty mit müdem Gesichtsausdruck aus dem Dunst auftauchte.
»Wir haben ein Boot«, verkündete sie, ließ sich im Schatten der Weide erschöpft fallen und griff nach dem Wasserkrug, den Damson ihr anbot. Sie spritzte Wasser auf ihr staubbedecktes Gesicht und ließ es hinablaufen. »Ein Boot, Vorräte und Waffen, alles ist am Ufer versteckt. Wir können alles nach Einbruch der Dunkelheit einsammeln, wenn wir nicht gesehen werden können.«
»Irgendwelche Probleme?« fragte Morgan.
Sie sah ihn angespannt an. »Ich mußte niemanden töten, wenn du das meinst.« Sie blickte finster, setzte sich dann zurück und sagte nichts mehr.
Jetzt waren beide Frauen böse auf ihn, dachte er und beschloß, sich nicht darum zu kümmern.
Als die Nacht hereinbrach, folgten sie der Uferlinie hinab in die Stadt, bis sie die Docks nördlich der Stelle erreichten, an der Matty das Boot versteckt hatte. Es war ein älteres Fahrzeug, ein Flachbodenskiff mit Bootshaken, Rudern, einem Mast und einem Segel, und es war mit Nahrung und Waffen ausgestattet, wie Matty es versprochen hatte. Sie kletterten schweigend an Bord und stießen sich ab, lenkten das Skiff flußabwärts bis zur ersten unbewohnten Bucht, zogen ihr Fahrzeug dann an Land und zogen sich sofort zum Schlafen zurück. Bei Sonnenaufgang waren sie wieder auf den Beinen und brachen auf. Sie befuhren den Mermidon bis zum Sonnenuntergang in südlicher Richtung auf den Runne zu und lagerten dann in der Nähe eines Eschenhains in einem Gewirr von Felsen, das sich zu einer schmalen Sandbank hin öffnete. Sie nahmen ein kaltes Abendessen zu sich, rollten sich in ihre Decken und schliefen erneut. Zwei Tage waren vergangen, ohne daß viel gesprochen worden wäre. Die Gemüter waren gereizt, und die Unsicherheit über die Richtung, die sie eingeschlagen hatten, hatte jegliche wirkliche Bemühung um Kommunikation erstickt. In Tyrsis war eine Verbundenheit spürbar gewesen, die hier fehlte – vielleicht wegen der Zweifel, die sie gegenseitig hegten, vielleicht wegen ihres Unbehagens darüber, was ihnen bevorstehen könnte. In Tyrsis hatte es einen Plan gegeben – oder zumindest die Ansätze eines Plans. Hier war nur eine vage Entschlossenheit vorhanden, weiterhin nach Par Ohmsford zu suchen, bis sie ihn gefunden hätten. Sie hatten gewußt, wo Padishar war, und sie hatten das Gefühl gehabt, daß sie eine gewisse Kontrolle darüber hätten, wie sie ihn erreichen könnten. Aber Par konnte überall sein, und nichts ließ vermuten, daß sie nicht bereits zu spät kamen, um ihm zu helfen.
Daher machte sich außerordentliche Erleichterung breit, als Damson am nächsten Morgen das Skree herausnahm, ihre Hand nach Süden ausrichtete und das Kupfermetall sogar in den Schatten der Felsen, die sie ringsum einschlössen, hell leuchtete. Ein Moment des Zögerns entstand, und dann lächelten sie einander wie wiederentdeckte alte Freunde an und brachen mit neugewonnener Entschlossenheit auf.
Danach ließ die Spannung nach, und das Gefühl der Kameradschaft, das sie bei der Befreiung von Padishar geteilt hatten, kehrte erneut zurück. Das Skiff bahnte sich seinen Weg den Fluß hinab, und das Wasser, das wieder ruhig und glatt geworden war, trug sie stetig südwärts. Der Tag war heiß und windstill, und die Reise ging langsam voran, aber die beiden Frauen und der Hochländer verbrachten ihre Zeit damit, Gedanken und Träume auszutauschen, sich ihren Weg an den Schranken vorbei zu bahnen, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatten, und tauschten ihre Gedanken und Gefühle aus, bis sie sich wieder miteinander wohl fühlten.
Bei Einbruch der Nacht befanden sie sich tief im Runne. Die Berge erhoben sich als schattenhafte Mauer in der zunehmenden Dunkelheit, schlössen das Sternenlicht aus und ließen nur ein schmales Himmelsband über ihnen zurück. Sie lagerten auf einer Insel, die aus einem Sandstrand und gebleichtem Treibholz bestand, das eine Ansammlung verkümmerter Pinien umgab. Die Luft blieb drückend und war mit beißenden Flußgerüchen gesättigt – nach toten Fischen, Schlammstellen und Stromschnellen. Morgan angelte, und sie brieten seinen Fang über einem Feuer, aßen ihn, tranken von dem Bier, das Damson mit sich trug, und beobachteten, wie der Strom vorüberfloß. Damson gebrauchte das Skree, und es leuchtete hell kupferfarben, wenn es nach Süden gehalten wurde. Vorerst war damit alles gut. Sie waren weniger als einen Tag weit von der Stelle entfernt, an der sich der Mermidon in den Regenbogensee ergoß. Vielleicht würden sie dort etwas darüber erfahren, wo Par sich jetzt aufhielt.
Nach einiger Zeit streckten sich Damson und Matty auf ihren Decken aus, um zu schlafen, während Morgan an das Flußufer hinunterschlenderte, sich dort niederließ und an andere Zeiten und Orte dachte. Er wollte die Fäden von allem, was geschehen war, zusammenführen, um einen Sinn in dem zu entdecken, was kommen würde. Er war es müde, vor einem Feind davonzulaufen, über den er noch immer fast gar nichts wußte, und dachte wie so oft, daß er doch etwas erkennen müßte, wenn er nur lang genug über die Angelegenheit nachdachte. Aber die Fäden liefen vor ihm auseinander, als seien sie vom Winde verweht, und er konnte sie offenbar nicht zusammenführen. Sie trieben dahin und verstreuten sich, und die Fragen, die ihn seit Wochen quälten, blieben unbeantwortet.
Er grub mit einem Stock im Sand, als Matty erschien und sich neben ihn setzte.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie. Ihr Gesicht war blaß und wirkte im Sternenlicht abweisend. Ihre Augen waren unermeßlich tief. »Was machst du?«
Er schüttelte den Kopf. »Nachdenken.«
»Worüber?«
»Über alles und nichts.« Er lächelte sie schnell an. »Ich kann anscheinend zu keinem Schluß kommen. Ich dachte, ich könnte versuchen, einige Dinge zu ergründen, aber mein Geist wandert einfach umher.«
Sie sagte einen Moment lang gar nichts, hielt die Augen abgewandt und schaute über den Fluß hinweg. »Du versuchst alles zu erzwingen«, sagte sie schließlich.
Er sah sie an.
»Du gehst an alles heran, als hättest du das letzte Mal Gelegenheit dazu. Du bist wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter eine Aufgabe übertragen bekommen hat. Es bedeutet dir so viel, daß du es dir nicht leisten kannst, auch nur den kleinsten Fehler zu machen.«
Er zuckte die Achseln. »Nein, so bin ich nicht. Vielleicht scheine ich im Moment so zu sein, aber das bin nicht wirklich ich. Außerdem, wer ergründet jetzt wen?«
Sie begegnete seinem Blick direkt. »Ich ergründe dich nicht. Ich teile dir meinen Eindruck mit. Das unterscheidet sich von dem, was du getan hast. Du hast mich zu ergründen versucht.«
»Oh.« Er glaubte ihr keinen Moment lang. Sein Gesicht zeigte das, und er machte sich nicht die Mühe, es zu verbergen. »Wie dem auch sei, etwas intensiv zu wollen, ist doch nichts Schlechtes.«
»Erinnerst du dich daran, als ich dir erzählt habe, daß ich schon viele Männer getötet hätte?« Er nickte. »Das war eine Lüge. Oder zumindest eine Übertreibung. Ich habe das nur gesagt, weil du mich wahnsinnig gemacht hast.« Sie schaute nachdenklich fort. »Es gibt vieles an mir, was du nicht verstehst. Ich glaube nicht, daß ich dir alles erklären kann.«
Er sah sie fest an, aber sie weigerte sich, seinen Blick zu erwidern. »Ich habe dich aber nicht gebeten, etwas zu erklären«, erwiderte er abwehrend.
Sie ignorierte ihn. »Du bist sehr gut mit diesem Schwert. Fast so gut wie ich. Ich könnte dich lehren, noch besser zu sein, wenn du willst. Ich könnte dir eine Menge beibringen. Erinnere dich daran, was im Whistledown mit dir passiert ist, als du mich packen wolltest. Ich könnte dich lehren, das auch zu können.«