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Er errötete. »Das wäre nicht geschehen, wenn...«

»... du bereit gewesen wärst.« Sie lächelte. »Ich weiß, das hast du schon mal gesagt. Aber der Punkt ist, daß du nicht bereit warst – und sieh, was geschehen ist. Außerdem zählt wirklich nur, daß man bereit ist. Padishar hat mich das gelehrt. Bereit zu sein ist sicherlich wichtiger, als etwas intensiv zu versuchen.«

Er preßte die Kiefer zusammen. »Bist du bald fertig damit, in allen Einzelheiten festzustellen, was ich anders machen sollte? Oder möchtest du vielleicht noch etwas hinzufügen?«

Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Sie sah ihn nicht an, sondern hielt ihren Blick auf den Fluß gerichtet. Er wollte noch etwas sagen, besann sich aber dann eines Besseren. Sie schien plötzlich seltsam verwundbar. Er beobachtete, wie sie die Knie hochzog und den Kopf darauflegte. Er konnte langsam und gleichmäßig das Geräusch ihres Atems hören.

»Ich mag dich sehr«, sagte sie schließlich. Sie hielt ihr Gesicht weiterhin gesenkt. »Ich wollte nicht, daß dir etwas geschieht.«

Er wußte nicht, was er sagen sollte. Er sah sie einfach nur an.

»Darum bin ich hier«, sagte sie. »Darum bin ich gekommen.« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Wie denkst du darüber?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich denken soll.«

Sie atmete tief ein. »Damson hat mir von Quickening erzählt.«

Sie sagte dies so, als könnten die Worte in ihrem Mund Feuer fangen. Ihr Blick suchte den seinen, und er sah, daß sie Angst vor dem hatte, was er wohl denken mochte, aber auch entschlossen war, dies dennoch zu Ende zu führen. »Damson sagte, du hättest Quickening geliebt und daß dieser Verlust das Schlimmste war, was dir je widerfahren ist. Sie hat mir davon erzählt, weil ich sie gefragt habe. Ich wollte etwas über dich erfahren, was du mir nie selbst erzählt hättest. Dann wollte ich mit dir darüber sprechen, aber ich wußte nicht, wie ich das anfangen sollte. Ich bin eine sehr gute Zuhörerin, aber keine gute Fragerin.«

Morgan blinzelte. Er sah so flüchtig wie Rauch Quickening als eine makellose, silberhaarige Vision in seinem Geist. Der Schmerz, den er bei der Erinnerung empfand, hatte noch immer nicht nachgelassen. Er versuchte ihn auszuschließen, aber es war sinnlos. Er wollte sich nicht erinnern, aber die Erinnerung war immer da, gerade so, am Rande seines Denkens.

Matty Roh legte ihre Hände impulsiv über die seinen und sagte zögernd: »Ich könnte jetzt zuhören, wenn du es zulassen würdest. Ich fände es schön, wenn es dazu käme.«

Er dachte, nein, ich will nicht darüber sprechen, ich will nicht einmal darüber nachdenken, nicht mit dir, nicht mit irgend jemandem! Aber dann sah er sie erneut in seinem Geist, wie sie ihre verunstalteten Füße in dem Fluß badete und ihm erzählte, wie sie so mißgestaltet geworden waren, wie die Vergiftung des Landes ihr Leben für immer verändert hatte. War der Schmerz ihrer Erinnerungen denn geringer als seiner? Er dachte auch an Quickening, wie sie im Sterben lag und das zerstörte Schwert von Leah wieder heilte, ihm einen Teil von sich selbst gab, den er mit sich nehmen konnte, etwas, das ihren Tod überdauern würde. Was sie für ihn zurückgelassen hatte, war nicht dazu gedacht, geheim oder verborgen gehalten zu werden. Es sollte geteilt werden.

Und Erinnerungen waren keine Schätze aus Glas, die man in einer Schachtel verschlossen halten mußte. Sie waren helle Bänder, die man in den Wind hängen sollte.

Er wandte seine Hand um und faßte die ihre. Dann beugte er sich so nah heran, daß er ihr Gesicht deutlich sehen konnte, und begann zu sprechen. Er sprach lange Zeit, fand es zunächst schwierig und dann leichter, arbeitete sich durch das Labyrinth von Empfindungen, das in ihm aufstieg, suchte nach Worten, die manchmal nicht kommen wollten, zwang sich weiterzumachen, selbst wenn er dachte, daß er es wohl doch nicht könnte.

Als er geendet hatte, hielt sie ihn fest, und ein Teil des Schmerzes glitt von ihm ab.

In der Morgendämmerung brachen sie erneut auf. Das Tageslicht unter den Regenwolken war grau und dunstig. Sie rollten von Westen heran wie eine schwere, dunkle Lawine, die alles in ihrem Weg überrollte. Es war heiß und ruhig auf dem Fluß, und das Geräusch der Wellen, die gegen die Wände der Schlucht schlugen, hallte scharf wider, während sie sich ihren Weg flußabwärts bahnten. Morgan setzte die Segel, aber es war zu wenig Wind da, als daß es geholfen hätte, und nach einer Weile holte er es wieder ein und überließ das Boot der Strömung. Es war fast Mittag, als sie unterhalb der Südwache vorüberkamen, unterhalb des schwarzen Obelisken, der groß und still und undurchdringlich hoch über ihnen aufragte und seinen Schatten wie etwas Verbotenes über den Mermidon warf. Sie betrachteten ihn mit Widerwillen, während sie vorüberfuhren, denn sie dachten an die dunklen Wesen, die darin warteten, und verspürten Unbehagen, als sie daran dachten, daß sie vielleicht beobachtet wurden. Aber niemand erschien, und sie segelten unangefochten vorüber. Die Südwache verschwand in der Ferne, verschmolz mit dem Dunst und war fort.

Kurz darauf erreichten sie die Mündung des Flusses. Seine Oberfläche erstreckte sich in die Ferne und ging im Regenbogensee auf, dessen glasartiger Wasserspiegel in einem intensiveren Blau schimmerte. Der Regenbogen, der dem See seinen Namen gegeben hatte, war nur schwach zu sehen. Er glänzte in der Hitze und dem Dunst, schwebte über dem Wasser wie ein verwittertes, verblaßtes Banner, das frei in der Luft schwebt. Sie lenkten das Skiff zum Westufer, zogen es aufs Land und betraten eine kahle Fläche, die östlich und südlich zum Wasser hin abfiel und sich im Nordwesten über eine Ebene hinweg bis zu einer Hügelkette am Horizont erstreckte. Sie atmeten die Luft ein und sahen sich um, konnten aber, so weit sie sehen konnten, nur verkümmertes Gras und verkrüppelte, unbelaubte Eisenbäume entdecken.

Damson strich ihr feuerrotes Haar zurück, band es mit einem Tuch über ihrer Stirn fest und zog das Skree hervor. Sie hielt es auf ihrer geöffneten Handfläche vor sich und richtete es nach Süden. Morgan sah, daß die halbe Scheibe hell kupferrot zu leuchten begann.

Sie wollte es schon wegstecken, überlegte es sich dann aber offensichtlich anders und probierte noch einmal die anderen Himmelsrichtungen aus. Als sie sich gen Norden wandte, in die Richtung, aus der sie gekommen waren, schimmerte das Skree erneut. Diesmal war es ein kleines, schwaches Pulsieren. Damson betrachtete es ungläubig, schloß ihre Hand darüber, wandte sich ab und dann wieder zurück, um ihre Hand erneut zu öffnen. Wieder schimmerte das Skree unruhig.

»Warum tut es das?« fragte Matty sofort.

Damson schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich habe niemals davon gehört, daß es sich so verhalten könnte.«

Sie wandte sich erneut gen Süden und ließ ihre Handfläche dann den Horizont von Osten nach Westen und wieder zurück abtasten. Dann tat sie das gleiche, indem sie sich gen Norden wandte, und las die gehämmerte Oberfläche des Skree, während sie sich drehte. Es gab keinen Zweifel an dem, was sie sahen. Das Skree leuchtete in beiden Richtungen.

»Könnte es erneut gebrochen worden sein, so daß die Stücke in verschiedenen Richtungen zu finden sind?« fragte Morgan.

»Nein. Es kann nur einmal geteilt werden. Es ein weiteres Mal zu brechen, würde es nutzlos werden lassen. Das ist nicht geschehen.« Damson sah besorgt aus. »Aber da ist etwas anderes. Das Leuchten in Richtung Süden deutet auf das Silberflußgebiet westlich von Cullhaven oberhalb des Battlemound hin. Es ist das stärkere von beiden.« Sie schaute über die Schulter. »Das Leuchten in nördlicher Richtung zeigt auf die Südwache.«

Ein langes Schweigen entstand, während sie überlegten, was das bedeuten könnte. Ein Reiher schrie über dem See auf, strich als Blitz silberner Helligkeit aus dem Dunst heraus und verschwand wieder.

»Ein zweifaches Leuchten«, sagte Morgan und schüttelte den Kopf. »Und eines davon ist Schwindel.«