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Dieser Gedanke verursachte ein Gefühl der Kälte und der Leere und unglaublicher Einsamkeit in ihm. Er saß regungslos in den Schatten, schaute über das Land hinaus und wartete darauf, daß die Dunkelheit es verschlang.

24

Drei Tage zuvor war bereits schon einmal ein Unwetter vorübergezogen, ein deutlich heftigeres, ein wolkenbruchartiger, lang anhaltender Regen, der von explosionsartigem Donner und Blitzschlägen begleitet worden war und von einem rauhen, heulenden Wind getrieben wurde. Er hatte zu einer Überflutung geführt, wie sie regelmäßig mit dem Aufbau der spätsommerlichen Hitze im Grenzland kam und ging. Sie brach in der Dämmerung über Callahorn herein, überschwemmte das Land die ganze Nacht lang und verschwand bei Einbruch der Morgendämmerung gen Süden.

In ihrer Spur erhob sich eine einsame Gestalt vom durchnäßten Boden am Rande des Regenbogensees. Sie war bis zur Unkenntlichkeit beschmutzt und gebeugt, als würden Ketten sie niederdrücken.

Dunkle Augen blinzelten und versuchten, sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Der Tag erwachte spät, vielleicht aus Sorge, daß das Unwetter zurückkehren könnte, denn dunkel umrandete Wolken verweilten noch wie zufällig am bleiernen Himmel, und der Sonnenaufgang begann eisengrau und zaghaft und vermochte kaum die hartnäckigen Schatten der Nacht zurückzudrängen. Die Gestalt schaute über die weite Fläche des Sees hinweg. Eine Hand hielt ein Schwert, das nur an den Stellen schwach schimmerte, wo das Gras und der Schlamm, die an ihm klebten, bis auf das Metall abgeschabt worden waren. Die Gestalt zögerte unsicher, stolperte dann zum Rand des Sees, tauchte Hände und Gesicht ein und schließlich auch den Körper, wusch sich, bis nur noch ein Gewirr von Lumpen und bloßer Haut übrigblieb.

Schlamm und Dreck wirbelten im dunklen Wasser davon, und Coll Ohmsford erhob sich, um sich umzusehen.

Zunächst konnte er sich an nichts anderes erinnern als daran, wer er war – obwohl ihm das sehr wichtig war, als wäre seine Identität einmal fragwürdig gewesen. Er erkannte den Regenbogensee, den Boden, auf dem er stand, und das Land, das ihn umgab. Er stand am südlichen Ufer des Sees, westlich von Culhaven und nördlich des Battlemound. Aber er wußte nicht, wie er hierhergekommen war.

Er schaute auf die Klinge in seiner Hand hinab (Hatte er es geschafft, sich zu waschen, ohne sie loszulassen?) und erkannte, daß er das Schwert von Shannara hielt.

Und dann kamen die Erinnerungen so voller Wucht zu ihm zurück, daß er keuchte und zurückwich, als habe ihn ein Schlag in die Magengrube getroffen. Die Bilder hämmerten auf ihn ein. Er war von den Schattenwesen gefangengenommen und in der Südwache festgehalten worden. Es war ihm gelungen zu fliehen, aber in Wahrheit hatte Felsen-Dall diese Flucht für ihn ermöglicht. Man hatte ihn fälschlicherweise glauben lassen, daß das Spiegeltuch ihn verbergen würde, während es ihn in Wahrheit auf eine Art verwandelt hatte, an die er sich nicht erinnern mochte. Es hatte ihn langsam in einen von ihnen verwandelt, hatte ihn nach ihrem Bild geformt. Er hatte die Kontrolle über sich selbst verloren und war zu etwas geworden, was einem Tier sehr ähnlich war, hatte auf der Suche nach seinem Bruder das Land durchstreift, hatte ihn gesucht, ohne darüber nachzudenken oder einen Grund dazu zu haben, außer dem Wunsch, ihm Schaden zuzufügen. Die dunklen Falten des Spiegeltuchs um sich herumgelegt, hatte er ihn verfolgt, gefunden und angegriffen...

Er atmete heftig durch den Mund. In seiner Brust verkrampfte sich etwas, und sein Magen rebellierte.

Sein Bruder.

... und hatte versucht, ihn zu töten – und hätte es getan, wenn ihn nicht etwas aufgehalten und ihn dann fortgetrieben hätte.

Er schüttelte den Kopf und kämpfte sich durch das Labyrinth seiner Erinnerungen. Er war verwirrt und wie wahnsinnig vor Par geflohen, hin- und hergerissen zwischen dem, der er gewesen war, und dem, der er geworden war. Danach hatte er mit Par gespielt, ohne sich wirklich bewußt zu sein, was er tat, war bei Tage vor ihm geflohen und hatte ihn bei Nacht gesucht, hatte ihn stets gejagt, irgendwo tief in sich selbst verloren. Haß und Angst hatten ihn getrieben, aber ihr Ursprung war niemals deutlich geworden. Er konnte spüren, wie sich das Spiegeltuch, das ihn umklammert hielt, zu lockern begann, war jedoch noch unentschlossen, ob das gut war oder nicht. Er verwandelte sich allmählich wieder zurück, konnte aber nicht den ganzen Weg zurücklegen, denn er war noch immer von der Schattenwesenmagie gebunden, noch immer in ihrer Knechtschaft gefangen. In der Dunkelheit würde er zurückkehren, um seinen Bruder in der Absicht zu suchen, ihn zu töten, und gleichzeitig würde er daran denken, daß er so Erlösung finden konnte. Die Gedanken rankten sich umeinander wie Schlangen. Folge mir! hatte er Par gebeten – und dann versucht, so schnell und so weit zu laufen, daß sein Bruder ihn nicht erreichen konnte.

Er legte die Arme um sich selbst, als ihn Kälteschauer durchströmten, schaute über die dunstige Weite des Sees hinaus und erinnerte sich. Wie viele Tage war er gelaufen? Wieviel Zeit war verloren?

Folge mir!

Er hatte dann die Metallscheibe gestohlen, die Par um seinen Hals trug – hatte sie gestohlen, ohne zu wissen, warum, sondern nur, weil er gesehen hatte, wie Par sie in den dämmrigen Schatten gehalten und liebkost hatte, und hatte, als er ihre Bedeutung gespürt hatte, beschlossen, Par zu verletzen, indem er sie sich nahm. Er hatte aber auch gedacht, daß sein Bruder ihm folgen würde, wenn er ihm die Scheibe stahl.

Und so war es auch gekommen.

Er war in das zerstörte Land unterhalb der Südwache geflohen.

Warum war er hierhergelaufen? Der Grund entglitt ihm und blieb ein schwer erfaßbares Flüstern in seinem Unterbewußtsein. Er runzelte die Stirn, während er darum kämpfte zu verstehen. Er war von der Magie des Spiegeltuchs getrieben und gezwungen worden, zurückzukehren...

Seine Augen weiteten sich. Um Par hierherzubringen, weil...

Und Par hatte ihn dort unter dieser alten Eiche eingeholt, hatte ihn erschöpft und zerschlagen und vernichtet aufgefunden. Sie hatten ein letztes Mal miteinander gekämpft, hatten um das Schwert von Shannara gerungen, hatten versucht, durch die Barrieren hindurchzubrechen, die sie voneinander trennten, jeder auf seine eigene Art – Par, indem er darum kämpfte, die Magie des Schwertes anzurufen, damit Coll befreit werden könnte, Coll, indem er umgekehrt darum kämpfte, zu... zu...

Was?

Um es Par zu erzählen. Um es ihm zu erzählen.

»Par«, flüsterte er entsetzt, und seine Erinnerung an die Wahrheit, die das Schwert ihm offenbart hatte, brannte durch ihn hindurch wie weißes Feuer. Er sah auf die schlammbedeckte Klinge hinab, auf die Gravur unter seinen Fingern – die Hand mit der brennenden Fackel. Er sah sie im Wiedererkennen verwundert an, und seine Finger strichen an dem Emblem entlang, als könnten sie noch immer Geheimnisse entdecken.

All diese Monate, die sie mit der Suche nach dem Schwert von Shannara verbracht hatten, dachte er, und sie hatten es niemals erkannt. So viele Bemühungen, um es wiederzuerlangen, ein von verzweifelten Kämpfen und verlorenen Leben gekennzeichnetes Bemühen, und sie hatten niemals Verdacht geschöpft. Allanons Aufgabe hatte sie erbarmungslos vorangetrieben. Sie hatte Par getrieben, und Coll war ihm schnell gefolgt. Finde das Schwert von Shannara, hatte der Druidenschatten angeordnet. Nur dann können die Vier Länder geheilt werden. Finde das Schwert, hatte er in dem Wirbelwind der vom Hadeshorn widerhallenden Schreie geflüstert.

Und das hatte Par Ohmsford getan – ohne nur einmal zu argwöhnen, daß nicht er es gebrauchen sollte.

Coll Ohmsfords Herz raste, und er atmete langsam und tief durch, um sein heftig pulsierendes Blut zu beruhigen. Er verspürte einen fast überwältigenden Drang, daran zu verzweifeln, was diese Täuschung sie gekostet haben mochte, aber er wollte sich nicht in diesen Abgrund ziehen lassen. Beide Hände um den Talisman geschlungen, trat er vom Regenbogensee zurück an eine Stelle, wo eine Gruppe von Ahornbäumen verstreute Schatten über eine grasbewachsene Kuppe warf. Benommen und geschwächt ließ er sich da nieder, wo ihn das Sonnenlicht durch die Zweige hindurch finden konnte, und versuchte die Bilder, die er aus seiner Erinnerung befreit hatte, zu ergründen.