Schattenwesen. Schattenwesen.
War es möglich, daß er eines war?
Er rollte sich auf seinem Bett zusammen und ließ sich davontreiben.
Er träumte erneut, und dieser zweite Traum war eine Variation des ersten, war genauso düster und erschreckend. Er wachte schweißgebadet, zitternd und völlig erschöpft auf und sah durch seine Fenster, wie das Tageslicht den Himmel erhellte. Essen und Trinken wurden von einem schwarz gewandeten, lautlosen Schattenwesen gebracht, und er dachte einen Moment lang daran, das Wesen mit seiner Magie zu vernichten und zu fliehen. Aber er zögerte, denn er war sich der Weisheit so eines Plans nicht sicher, der Moment verging, und die Tür schloß sich für ihn einmal mehr.
Er aß und trank und fühlte sich nicht besser. Er saß in der Düsterkeit seines Gefängnisses und lauschte auf die Stille. Hin und wieder konnte er die Schreie der Reiher und Kraniche von dort draußen hören und ein leises Pfeifen des Windes an der Festungsmauer. Er trat an die Fenster und sah hinaus. Er schaute gen Osten in die aufgehende Sonne hinein. Unter ihm wand sich der Mermidon aus dem Runne heraus und setzte seinen Weg zum Regenbogensee hinab fort. Seine Wasser waren angeschwollen von dem Unwetter und mit Schutt versetzt. Die Fenster waren tiefliegend und erlaubten nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf das umliegende Land, aber er konnte die Bäume und Gräser riechen und das Vorüberfließen des Flusses hören.
Danach setzte er sich erneut auf sein Bett und versuchte darüber nachzudenken, was er tun sollte. Während er das tat, wurde ihm ein Summen aus den Tiefen der Festung bewußt, eine seltsame Vibration, die wie Donner bei einem Unwetter durch das Gestein und das Eisen lief. Sie klang tief und beharrlich und schien wie eine stetige, unaufhörliche Woge zu verlaufen, aber hin und wieder dachte er, er könne es brechen spüren und in seinem Wimmern etwas anderes hören. Er lauschte sorgfältig darauf, spürte seine Bewegung in seinem Körper und fragte sich, was es war.
Der Tag strebte dem Mittag zu, als Felsen-Dall zurückkehrte. So dunkel, daß er das Licht um sich herum zu absorbieren schien, glitt er wie ein Schatten durch die Tür und materialisierte sich erneut auf dem Stuhl. Er fragte Par, wie er sich fühle, wie er geschlafen habe, ob er genug zu essen und zu trinken bekommen habe. Er war freundlich und ruhig und bestrebt, sich zu unterhalten, aber auch abweisend, als fürchte er, daß jeder Versuch, zu nah heranzukommen, vorhandene Wunden nur verschlimmern würde. Er sprach erneut von den Schattenwesen und der Föderation, von dem Fehler, den Par beging, wenn er diese beiden verwechselte, daß es gefährlich sei, wenn er glaubte, daß sie beide Feinde wären. Er sprach erneut von seinem Mißtrauen gegenüber den Druiden, von den Arten, wie sie manipulierten und täuschten, von ihrer Besessenheit von der Macht und ihrem Gebrauch. Er erinnerte Par an die Geschichte seiner Familie – wie die Druiden die Ohmsfords benutzt hatten, um Ziele zu erreichen, die sie für notwendig gehalten, und dabei die Leben jener für immer verändert hatten, die sie benutzten.
»Du würdest nicht unter der Wandelbarkeit des Wunschgesangs leiden, wenn nicht das gewesen wäre, was Wil Ohmsford vor Jahren angetan wurde«, erklärte er, und seine Stimme war wie immer leise und zwingend. »Du kannst genausogut darüber nachdenken wie ich, Par. Alles, was du in diesen letzten Wochen durchgemacht hast, wurde von den Druiden und ihrer Magie herbeigeführt. Wer trägt die Schuld daran?«
Dann sprach er von der Krankheit der Vier Länder und den Schritten, die unternommen werden mußten, um eine Heilung zu beschleunigen. Es seien nicht die Schattenwesen, die diese Krankheit verursachten. Es sei die Mißachtung der Rassen durch jene, die einst so vorsichtig geschützt und bewahrt hatten. Wo waren die Elfen, als sie gebraucht wurden? Fort, weil die Föderation sie vertrieben hatte, voller Angst wegen der Magie, die ihnen als Vermächtnis hinterlassen worden war. Wo waren die Zwerge, die immer die besten Hüter gewesen waren? In der Sklaverei, von der Föderation unterworfen, damit sie keine Bedrohung für die Südlandregierung mehr darstellen konnten.
Er sprach eine Zeitlang, und dann war er plötzlich wieder fort, in das Gestein und die Stille der Festung verschwunden. Par saß da, wo er zurückgelassen worden war, und bewegte sich nicht. Er hörte das Flüstern des Ersten Suchers in seinem Geist – den Rhythmus seiner Stimme, den Klang seiner Worte und die Litanei seiner Argumente, wie sie begann und endete und erneut begann. Der Nachmittag verging, und die Sonne versank im Westen. Die Dämmerung brach herein, und sein Abendessen wurde gebracht. Er nahm an, was ihm von dem schweigsamen Träger gebracht wurde, und dieses Mal dachte er nicht an einen Fluchtversuch. Er aß und trank, ohne darauf zu achten, betrachtete die Mauern seines Raumes und dachte nach.
Die Nacht brach herein, und mit ihr kam Felsen-Dall erneut zu ihm. Par sah ihm dieses Mal entgegen, erwartete ihn, spürte ihn im voraus wie den Donner bei einem Unwetter. Er hörte den Türgriff nachgeben, sah, wie die Tür sich öffnete, und beobachtete, wie der Erste Sucher hindurchtrat. Die schwarzgekleidete Gestalt ging wortlos zu dem Stuhl und setzte sich. Sie sahen einander schweigend an und maßen einander.
»Was habe ich dir noch nicht erzählt, was ich dir erzählen sollte?« fragte Felsen-Dall schließlich reglos aus den zunehmenden Schatten. »Welche Antworten kann ich geben?«
Par schüttelte den Kopf. Der Erste Sucher hatte ihm zu viele Antworten und zu viel zu überlegen gegeben, und das alles taumelte in seinem Geist umher wie gefärbtes Glas in einem Kaleidoskop. Ein Teil von ihm widerstand weiterhin allem, was er hörte, blieb starrsinnig und unbeugsam. Diese Seite seines Wesens wollte ihn nichts glauben lassen, wollte ihn nicht einmal nachdenken lassen. Par wünschte, er würde das Grübeln beenden können. Sein Schlaf war von Alpträumen erfüllt, und sein Wachen war von einem sinnlosen Kampf der Möglichkeiten bevölkert. Er wollte, daß dies alles bald endete.
Doch das sagte er Felsen-Dall nicht. Er fragte statt dessen nach den Geräuschen in der Festung, dem Summen, das durch die Mauern drang, dem Schreien und Jammern, dem Gefühl, daß sich dort etwas bewegte. Der Erste Sucher lächelte. Die Erklärung war einfach. Was Par hörte, war der Mermidon, der unter dem Keep durch einen unterirdischen Tunnel hindurchströmte und dessen Wasser gegen die Mauern uralter Höhlen dort unten schlug. Manchmal konnte man die Vibration meilenweit spüren. Manchmal konnte man sie in seinen Knochen spüren.
»Stören sie deinen Schlaf?« fragte der große Mann.
Par schüttelte den Kopf. Die Alpträume störten seinen Schlaf. »Wenn ich beschließen sollte, Euch zu glauben«, sagte er und ließ die Worte herausschlüpfen, bevor seine starrsinnige Seite es sich anders überlegen konnte, »was würdet Ihr dann tun, um mir bei der Kontrolle über die Magie des Wunschgesangs zu helfen?«
Felsen-Dall saß vollkommen still. »Ich würde dich lehren, sie zu beherrschen. Ich würde dich lehren, dich damit wohl zu fühlen. Du könntest lernen, wie du sie wieder gebrauchen und dabei sicher sein kannst.«
Par starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen. Er wollte glauben. »Ihr denkt, Ihr könntet das tun?«
»Ich habe jahrelang Zeit gehabt, zu lernen, wie das möglich ist. Ich war gezwungen, es mit meiner eigenen Magie zu tun, und die Lektionen waren nicht an mich verschwendet. Die Magie ist eine mächtige Waffe, Par, und sie kann sich gegen dich wenden. Du brauchst Disziplin und Verständnis, um sie richtig beherrschen zu können. Das kann es dich lehren.«
Pars Geist fühlte sich bleiern an, und seine Augen fielen zu. Seine Müdigkeit war eine dunkle Wolke, die ihn nicht nachdenken lassen wollte. »Ich denke, wir könnten darüber sprechen«, sagte er.
»Sprechen, ja. Aber auch ausprobieren.« Felsen-Dall beugte sich gespannt vor. »Kontrolle über die Magie erwächst aus Übung, sie ist ein erworbenes Können. Die Magie ist ein Geburtsrecht, aber sie braucht Übung.«
»Übung?«