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Außerdem war es unwichtig, was sie gegen die Föderationsarmee unternahm, wenn sie nicht zuvor einen Weg fand, die Kriecher aufzuhalten. Obwohl sie noch immer ein Stück weit entfernt waren, waren sie doch die gefährlichste und unmittelbarste Bedrohung. Wenn sie zuließ, daß sie den Rhenn oder auch die Westlandwälder direkt südlich von ihnen erreichten, würde nichts mehr sie daran hindern können, sich einen Weg direkt bis nach Arborlon zu bahnen. Die Kriecher würden sich nicht die Mühe machen, eine in die Stadt hineinführende Straße zu suchen. Sie würden sich nicht mit Hinterhalten und Fallen aufhalten. Sie brauchten keine Kundschafter oder Patrouillen, um den Feind ausfindig zu machen. Die Kriecher würden die Elfen finden, wo auch immer sie sich verbergen würden, und sie auf die gleiche Art vernichten, wie sie fünfzig Jahre zuvor die Zwerge vernichtet hatten. Wren kannte die Geschichten. Sie wußte, was für einem Feind sie gegenüberstanden.

Der Schweiß lag auf ihrem Gesicht wie eine feuchte Maske. Sie atmete langsam aus, gab den anderen ein Zeichen und begann sich von dem Hügel zurückzuziehen. Als sie sich erneut im sicheren Schutz der Bäume befanden, erhoben sie sich und gingen zu der Stelle, an der ihre Pferde von Elfenjägern festgehalten wurden. Niemand sprach. Niemand hatte etwas zu sagen. Wren führte sie an und versuchte den Eindruck zu vermitteln, als hätte sie etwas geplant, auch wenn das nicht der Fall war. Sie war besorgt, daß sie das Vertrauen verlieren könnte, das sie sich mit dem Angriff vor drei Nächten erworben hatte, Vertrauen, das sie brauchte, wenn sie die Ereignisse auch dann noch unter Kontrolle halten wollte, wenn erst Barsimmon Oridio hier eintraf. Sie war Königin der Elfen, sagte sie sich. Aber sogar eine Königin konnte versagen.

Sie saßen auf und ritten zum Elfenlager zurück. Wren dachte an all das zurück, was seit dem Kommen Coglines geschehen war, und fragte sich, was aus dem alten Mann geworden war – und was aus den anderen geworden war, die er am Hadeshorn versammelt hatte, um mit dem Schatten Allanons zu sprechen. Sie verspürte ein schwaches Gefühl des Bedauerns, weil sie so wenig über deren Schicksale wußte. Vielleicht sollte sie sie suchen, sie aufspüren und ihnen die Wahrheit über den Ursprung der Schattenwesen mitteilen. Sie hielt es für wichtig, daß sie sie erführen. Etwas davon, wer und was die Schattenwesen waren, würde zu ihrer Vernichtung führen. Soviel hatte Allanon gewußt, wie sie glaubte. Aber wenn er es gewußt hatte, warum hatte er es ihnen dann nicht einfach erzählt? Sie schüttelte den Kopf. Es war sicherlich komplizierter als das. So mußte es sein. Aber war das nicht alles bei diesem Kampf?

Sie erreichten das Lager der Vorhut, das mehrere Meilen nördlich errichtet worden war, stiegen ab und gaben ihre Pferde in die Obhut der Jäger. Wren zog sich ein wenig zurück, noch immer ohne etwas zu sagen, nahm sich von einem Tisch etwas zu essen, nicht weil sie hungrig war, sondern weil sie wußte, daß sie essen mußte, setzte sich allein an das Ende einer Bank und ließ den Blick in die Bäume abschweifen. Die Antworten waren irgendwo dort draußen, sagte sie sich. Sie dachte noch immer, daß sie irgendwie an die Vergangenheit geknüpft waren, daß sich die Geschichte wiederholte, daß man aus dem lernen konnte, was zuvor geschehen war. Morrowindls Lektionen zogen in Form lebloser Gesichter und kurzer Bilder von unendlichen Opfern an ihren Augen vorbei. So vieles hatte aufgegeben werden müssen, um die Elfen sicher aus dieser Todesfalle herauszubringen. Es konnte nicht nur dafür gewesen sein. Es mußte noch für etwas anderes gewesen sein, als hier zu sterben anstatt dort.

Sie sehnte sich plötzlich nach Garth. Sie vermißte seine beruhigende Gegenwart, die Art, wie er jedes Problem angehen und es lösbar erscheinen lassen konnte. Egal, wie düster alles geworden war, Garth hatte immer weitergemacht, hatte sie mitgezogen, wenn sie klein war, hatte sie führen lassen, wenn sie gewachsen war. Sie vermißte ihn so. Tränen traten in ihre Augen, und sie wischte sie unsicher fort. Sie würde nicht wieder um ihn weinen. Sie hatte versprochen, es nicht zu tun.

Sie erhob sich und brachte ihren Teller zu dem Tisch zurück, während sie sich nach Erring Rift umsah. Sie würde erneut gen Süden fliegen, beschloß sie, um einen weiteren Blick auf die Kriecher zu werfen. Es mußt eine Möglichkeit geben, sie aufzuhalten oder zumindest zu behindern. Vielleicht würde sich von selbst etwas ergeben. Es war eine schwache Hoffnung, aber es war alles, was sie hatte. Sie wünschte, Tiger Ty wäre hier. Er bot ein wenig von jener Beruhigung, die sie bei Garth erfahren hatte. Aber der knorrige Flugreiter war von seiner Suche nach den Geächteten noch nicht zurückgekehrt, und die Geächteten zur Hilfe der Elfen herzubringen, war wichtiger, als ihr Trost zu spenden.

Sie erblickte Rift und rief ihn herüber.

»Wir werden aufsteigen, um noch einmal einen Blick auf die Kriecher zu werfen«, verkündete sie mit entschlossenem Blick, während sie ihn ansah. Sein bärtiges Gesicht umwölkte sich. »Ich muß es tun. Streitet nicht mit mir.«

Rift schüttelte den Kopf. »Das würde mir nicht im Traum einfallen«, murmelte er. »Mylady.«

Sie nahm seinen Arm und führte ihn durch das Lager. »Wir werden nicht lange draußen bleiben. Laßt uns einfach nachsehen, wo sie sind, in Ordnung?«

Obsidianfarbene Augen schauten zu ihr herüber und wieder fort. »Sie sind verflixt zu nah, das ist es, wo sie sind. Das wissen wir bereits beide.« Er rieb seinen Bart. »Das ist kein Geheimnis. Wir müssen sie aufhalten. Ihr habt nicht zufällig einen Plan dafür, nicht wahr?«

Sie lächelte ihn zaghaft an. »Ihr werdet es als erster erfahren.«

Sie gingen auf die Lichtung zu, auf der die Rocks standen, als Tib Arne atemlos und rot im Gesicht auf sie zugerannt kam.

»Mylady! Mylady! Fliegt Ihr mit einem der großen Vögel? Nehmt Ihr mich dieses Mal mit, bitte? Das nächste Mal, wenn Ihr hinauffliegt, würdet Ihr mich mitnehmen, sagtet Ihr. Bitte? Ich bin es müde, herumzusitzen und nichts zu tun.«

Sie wandte sich um und sah ihn an. »Tib«, begann sie.

»Bitte?« bat er und blieb abrupt vor ihr stehen. Er strich seine blonde Haarmähne zurück. Seine blauen Augen funkelten aufgeregt. »Ich werde Euch keine Schwierigkeiten bereiten.«

Sie sah Rift an, der sie düster und warnend anblickte. Aber sie fühlte sich ausgelaugt und seltsam losgelöst von allem, und sie mußte ihre Perspektive wiedergewinnen. Warum nicht? dachte sie. Vielleicht würde es helfen, Tib dabeizuhaben. Vielleicht würde es etwas bewirken.

Sie nickte. »In Ordnung. Du kannst mitkommen.« Tibs Lächeln verbreitete sich von einem Ohr zum anderen. Es entsprach fast Erring Rifts Stirnrunzeln.

Sie flogen vor dem Hintergrund der Berge südwärts und hielten sich tief und dicht über dem Land. Sie flogen an der sich vorwärts mühenden, sich in einer dichten Staubwolke in einer Kette über die kargen Ebenen hinziehenden Föderationsarmee entlang und dann weiter an der öden Weite der Matted Brakes vorbei auf das blaue Band des Mermidon zu. Der Wind blies ihnen in tröstlichen, kühlenden Wogen entgegen, und das Land breitete sich als Flickwerk von Erdenfarben unter ihnen aus. Teiche und Flüsse reflektierten das Sonnenlicht in blitzenden Einsprengseln. Wren saß zwischen Erring Rift und Tib. Sie konnte die Anspannung an dem Jungen spüren, als er sich bemühte, an Grayls Schwingen vorbei hinabzusehen, als er das Land in sich aufnahm, zuerst die eine und dann die andere Seite absuchte, während kleine Ausrufe der Begeisterung seinen Lippen entschlüpften. Sie lächelte und verlor sich in Erinnerungen.

Nur einmal kehrten ihre Gedanken zur Gegenwart zurück. Das zweite Mal hintereinander hatte sie Faun auf einem Flug mit Erring Rift nicht mitgenommen. Faun hatte darum gebeten, mitkommen zu dürfen, und sie hatte es ihm verweigert. Vielleicht hatte sie Angst um den Baumschreier und befürchtete, daß er vom Rücken des Rock herabfallen würde. Vielleicht war es aber auch noch etwas anderes. Sie war sich wirklich nicht sicher.