Aber es war nicht umsonst. Er wußte, daß es das nicht war. Der Wagen war nicht leer. Es gab keinen Grund für die Sucher, einen leeren Wagen zur Südwache zu eskortieren. Der Wagen würde etwas beherbergen. Die innere Stimme, die Stimme, die ihn vorwärts drängte, versprach es ihm.
Darauf hast du gewartet.
Einen Moment lang schien es ihm, als sei es Quickenings Stimme, die er hörte, die aus irgendeiner Unterwelt zu ihm sprach oder vielleicht aus der Erde, in die sie zurückgekehrt war. Es war, als ob sie ihn leitete und behütete, ihn dem entgegenführte, was nur sie allein sehen konnte. Aber der Gedanke schien nur ein Wunsch und irgendwie auch gefährlich, und er schob ihn sofort beiseite. Die Stimme war seine eigene und nicht die eines anderen, sagte er sich. Die Entscheidung und ihre Konsequenzen mußte er tragen.
Er erreichte das kleine Tal, durch das die Reiter und ihr Wagen hindurchkommen würden, die Stelle, an der er sie aufhalten wollte, und er blieb in der Stille abrupt stehen, um zu lauschen. In der Ferne, irgendwo dort hinten im Nebel, erklangen die Geräusche ihres Herannahens. Er stand in der Mitte des Tales und versuchte, die ihm verbleibende Zeit abzuschätzen. Dann schritt er das Tal ab, hielt sich auf einer Seite in den Schatten, damit seine feuchten Fußabdrücke vor dem Licht nicht zu sehen sein würden, und atmete die neblige Kühle, um seinen Kopf freizubekommen. Pläne kamen und gingen wie der Wind, wurden aussortiert und so schnell beiseite geschoben wie Träume beim Erwachen. Keiner gefiel ihm. Keiner schien richtig zu sein. Er erreichte das Ende des kleinen Tales und begann wieder zurückzugehen. Doch dann blieb er stehen.
Er stand am Eingang der engsten Stelle des Tales.
Hier, sagte er sich. Hier würde es beginnen, nachdem der Wagen in das kleine Tal gelangt war, nachdem die ersten Reiter davor gefangen waren und nicht zurückkehren konnten, um den hinteren zu helfen. Das würde ihm wertvolle Hilfe sein, zumindest zwei Reiter außer Gefecht zu setzen und vielleicht auch noch jene, die den Wagen lenkten. Er hoffte, jeden und alles zu erwischen, was dazwischen lag. Wenn er nichts fand, konnte er schnell wieder fort sein...
Und doch wußte er in dem Moment, als er das dachte, auch, daß er es nicht fertigbringen würde, denn die anderen würden ihn aufspüren. Nein, er würde bleiben und kämpfen müssen, egal was er in dem Wagen fand. Es würde kein Davonlaufen, kein Entrinnen geben.
Er fühlte sich, als würde das Pochen in seiner Brust sein Herz explodieren lassen, und etwas lag ihm schwer im Magen. Er fühlte sich benommen bei dem Gedanken daran, was er plante, und gleichzeitig entsetzt und begeistert und unfähig, auch nur eine der unzähligen Empfindungen zurückzuhalten, die ihn durchströmten.
Aber die Stimme flüsterte immer noch. Darauf hast du gewar- tet. Darauf.
Das Geräusch der herannahenden Schattenwesen wurde lauter. Das Licht im Osten blieb schwach und entfernt. Hier in dem kleinen Tal hing der Nebel dicht und unbeweglich. Er würde genug Deckung haben, sagte er sich. Er trat zurück in die Bäume, zog das Schwert von Leah aus der Scheide und kauerte sich hin.
Bitte habe recht. Bitte irre dich nicht. Laß in diesem Wagen Par sein. Laß es nicht umsonst sein.
Die Worte wiederholten sich als Litanei in seinem Geist und vermischten sich mit dem Flüstern, das ihn an seinen Plan band, an die Gewißheit, daß er richtig war. Er konnte das Gefühl nicht erklären: Es war wie eine Frage des Glaubens, den man manchmal nicht in Frage stellt, den man einfach akzeptiert und nicht rechtfertigt. Er wurde von der Wahrheit, die er darin spürte, und der Möglichkeit, daß sie eine Täuschung war, hin- und hergerissen. Der Verstand riet ihm zur Vorsicht, aber das Gefühl beharrte auf blinder Einlassung. Die Gefühle, die in ihm kämpften, während er wartete, zerrten an ihm und verwirrten sich.
Er sprang abrupt auf und eilte durch die Bäume zurück und den dahinterliegenden Hügel hinauf, hielt sich in den tiefsten Schatten, während er voraneilte, atmete durch den Mund, um schnell Luft zu bekommen. Auf dem Kamm des Hügels kroch er zu einer Stelle, von der aus er gen Westen schauen konnte. Sein Körper war erhitzt und angespannt. Die Reiter und ihr Wagen schienen aus einem Vorhang weißen Reifs langsam und stetig näher zu kommen. Nacheinander wollten sie das Tal durchqueren. Sie zeigten kein Zögern und keine Besorgnis. Sie sahen sich nicht um und ritten auch nicht vorsichtig heran. Zu nah an zu Hause, um sich noch Sorgen zu machen, dachte Morgan. Er wünschte erkennen zu können, was in dem Wagen war. Er spähte darauf hinab, als könne er dadurch das Segeltuch durchdringen, das die Sicht ins Innere verdeckte, aber nichts zeigte sich. Er verspürte ein Brennen in sich, und der Kampf zwischen Zweifel und Sicherheit ging weiter.
Er glitt in die Schatten zurück und kauerte sich dort schwitzend nieder. Was sollte er tun? Es war die letzte Gelegenheit, seine Meinung zu ändern, die Weisheit seines Entschlusses erneut zu überdenken. Wie wahr war die Stimme, die ihn drängte? Was waren die Chancen, die sie vortäuschte?
Dann stand er erneut auf und ging weiter, glitt wieder durch die Schatten hinab und auf das kleine Tal zu, ließ alles Denken hinter sich, nachdem der Kurs für sein Handeln festgelegt war. Unternimm etwas. Unternimm etwas. Das Flüstern wurde zu einem Schrei. Er nahm ihn auf und hüllte sich darin ein wie in eine Rüstung.
Er erreichte wieder eine Deckung und fiel auf die Knie. Beide Hände ergriffen den Knauf seines Schwertes, des Talismans, den er so oft verleugnet hatte und auf den er sich jetzt erneut verlassen mußte. Wie schnell und leicht war er darauf zurückgekommen, dachte er verwundert. Schweiß rann seine Stirn hinab, kitzelte ihn, und er wischte ihn fort. Die kühle Luft der Dämmerung schien seine Körperhitze nicht mildern zu können, und er schluckte die Luft in tiefen Atemzügen, um seinen Herzschlag zu beruhigen. Er fühlte sich, als fiele er auseinander. Was würde die Magie des Schwertes tun – ihn retten oder ihn verschlingen? Was würde es dieses Mal sein?
Das Geräusch des herannahenden Wagens erklang jetzt sehr deutlich, die Räder schlugen auf den Pfad auf und donnerten über die Unebenheiten, und die Pferde schnaubten in der Stille. Er gefror in den Schatten seiner Deckung, den Blick auf den Vorhang aus Nebel gerichtet. Eine Hand glitt die Obsidianfläche des Schwertes von Leah hinab, und er erinnerte sich daran, wie sich die Magie des Schwertes gezeigt hatte, als sein Vorfahre Rone Leah Allanon um die Magie gebeten hatte, damit er Brin Ohmsford beschützen konnte, wie der Druide dem Wunsch nachgekommen war, indem er die Klinge des Schwertes in das Wasser des Hadeshorn getaucht hatte. So vieles war daraus entstanden, so viele Leben hatte diese einzige Handlung verändert.
Er legte beide Hände um das geschnitzte Heft und festigte seinen Griff, bis die Knöchel weiß hervorstanden.
Der Nebel teilte sich vor ihm, und die schwarzgewandeten Reiter erschienen. Ihre Kapuzen hatten sie hochgezogen, und sie waren gesichtslos und größer, als er erwartet hatte. Der Atem der Pferde bewölkte die Luft, und Dampf stieg von ihren erhitzten Flanken auf, als sie in das kleine Tal herabkamen. Vier ritten voraus, dann folgte der quietschende, schwankende Wagen mit seiner Begleitung, und zwei ritten hinterher. Morgan Leah war jetzt ruhig, die Zeit des Abwartens lag hinter ihm, und die Geschehnisse waren greifbar nah. Die Geister saßen auf ihren Reittieren und auf dem Wagen vornübergebeugt, still und regungslos. Weder von ihren Gesichtern noch von ihren Gedanken war etwas zu erkennen. Auf jeder Brust schimmerte das Wolfskopfemblem wie weißes Metall. Morgan zählte sie erneut, es waren zusammen acht. Aber es befanden sich vielleicht noch andere in dem Segeltuchaufbau des Wagens, dessen Planen zugezogen und festgezurrt waren. Der Wagen war vielleicht voll von ihnen.