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»Wo seid Ihr?«

»In Gottes Namen, bleibt einfach stehen, ich komme zurück.«

Sie riefen immer wieder nach ihm, damit er eine Orientierung hatte. Er rief zurück, meistens Flüche. Er fluchte auf Arabisch, das er während eines Kreuzzugs gelernt hatte – seine Lieblingssprache fürs Fluchen. Manchmal klang seine Stimme so nah, dass sie zusammenzuckten, dann war sie wieder weiter weg und klang hohl. Rowley wetterte gegen Labyrinthe im Allgemeinen und dieses hier im Besonderen. Gegen die verrückte Dakers und ihre verdammte Schlange … Gegen Eva mit ihrer verdammten Schlange … Und nachdem er sich den Mantel am Schlehdorn zerrissen hatte, ging er sogar so weit, gegen Rosamund und ihre verdammten Pilze zu wettern.

Wächter spitzte die Ohren mal in die eine, mal in die andere Richtung, als bereitete ihm diese Tirade Freude, was vermutlich auch der Fall war, wie seine Herrin dachte, schließlich war er ja auch ein Männchen.

Die Frauen haben Schuld, immer die Frauen. Er kommt gar nicht auf die Idee, den Mann zu verfluchen, der diese Monstrosität gebaut hat, oder den König, der Rosamund mittendrin praktisch wie eine Gefangene hielt.

Dann dachte sie: Sie haben Angst. Na ja, Walt vielleicht nicht, aber Rowley. Und Jacques ganz offensichtlich.

Endlich tauchte im Halbdunkel vor ihnen eine hohe Gestalt auf, die ein Pferd führte, auf sie zukam und sie sogleich anherrschte: »Was steht Ihr hier rum, Weib? Los, zurück. Wir hätten bei der letzten Biegung anders gehen müssen.«

Wieder war sie schuld. Wieder rührte ihre Stute sich nicht vom Fleck, bis der Bischof sie am Zaumzeug packte und nach hinten schob.

Um ihn nicht vor den anderen zu blamieren, senkte Adelia die Stimme. »Rowley, das hier ist kein Labyrinth.«

Er senkte seine Stimme nicht. »Nein, allerdings nicht. Das hier sind die verdammten Eingeweide von Grendels Mutter, und wir stecken mittendrin, verflucht noch mal.«

Es fiel ihr wieder ein. Beowulf. Ja, genau. Beowulf, so hieß Ulfs Lieblingsheld unter den vielen legendären Kriegern der Angelsachsen. Er erschlug Wyrm und das halbmenschliche Ungeheuer Grendel und Grendels grässliche, nach Rache dürstende Mutter.

»Miststück, Grenzgängerin.« So hatte Ulf Grendels Mutter genannt und damit gemeint, dass sie in Frauengestalt die Grauzone zwischen Erde und Hölle durchstreifte.

Adelia wurde allmählich böse. Wieso trugen Frauen an allem die Schuld … an allem, vom Sündenfall bis zu diesen verdammten Dornenhecken?

»Wir sind nicht in einem Labyrinth, Mylord«, sagte sie überdeutlich.

»Und wo sind wir dann?«

»In einem Irrgarten.«

»Ist doch dasselbe.« Er fauchte das Pferd an: »Zurück mit dir, du fette Kuh.«

»Nein, eben nicht. Ein Labyrinth hat nur einen einzigen Weg, dem man bloß folgen muss. Es symbolisiert das Leben oder, besser gesagt, Leben und Tod. Labyrinthe sind verschlungen, aber sie haben einen Anfang und ein Ende, durch Dunkelheit zum Licht.« Sie wurde ruhiger und hoffte, er auch, deshalb fügte sie hinzu: »Wie das von Ariadne. Eigentlich sind sie sehr schön.«

»Mir steht der Sinn nicht nach Mythologie, Mistress, ob schön oder nicht, ich will zu diesem vermaledeiten Turm. Was ist denn nun ein Irrgarten?«

»Ein Trick, der einen verwirren soll. In die Irre führen.«

»Und ich vermute, Mistress Schlaukopf weiß auch, wie wir hier wieder rauskommen?«

»Allerdings, ja.«

Herrje, er grinste sie höhnisch an, höhnisch.

Sie hätte nicht übel Lust gehabt, einfach zu bleiben, wo sie war; sollte er sich doch weiter abrackern.

»Worauf wartet Ihr dann, in Christi Namen, bringt uns hier raus.«

»Hört auf, mich anzubrüllen«, schrie sie. »Ihr brüllt mich an.«

Sie sah, dass er trotz eines bemüht beschwichtigenden Lächelns die Zähne zusammenbiss. Er hatte noch immer schöne Zähne. Gepresst sagte er: »Der Bischof von St. Albans bittet Mistress Adelia ehrerbietig und in aller Form, ihn doch bitte bitte aus diesem Hexenloch zu führen. Wie wollt Ihr das anstellen?«

»Das ist meine Sache.« Sie würde es ihm nicht sagen, verdammt noch mal. Frauen waren auch so schon schwach genug, selbst wenn sie ihre Geheimnisse nicht preisgaben. »Ich muss die Führung übernehmen.«

Sie waren gezwungen, ihre Pferde bis zu einer Kreuzung zurückzudrängen, wo der Platz knapp ausreichte, um die Tiere unbeschadet zu wenden, aber nicht, um sie aneinander vorbeizuführen, so dass Adelia nun Walts Pferd führte, hinter ihr Walt das des Boten, dahinter Jacques das ihre und schließlich Rowley sein eigenes.

Das Manöver löste bei den Männern sichtlich Unwillen aus. Selbst Jacques, ihr Verbündeter, fragte: »Wie werdet Ihr uns denn hier rausbringen, Mistress?«

»Ich kann es.« Sie stockte. »Aber es könnte eine Weile dauern.«

Sie stapfte vorneweg, die Zügel von Walts Pferd in der rechten Hand. In der anderen hatte sie ihre Reitpeitsche, die sie betont beiläufig hängen ließ, so dass sie an der Hecke zu ihrer Linken entlangstrich.

Beim Gehen grummelte sie vor sich hin. Gott, wie werde ich in diesem Land missachtet. Wie werden alle Frauen missachtet.

Sie war wieder bei den gleichen Überlegungen angelangt, die sie veranlasst hatten, Rowleys Heiratsantrag abzulehnen. Damals hatte er damit gerechnet, dass der König ihm nicht die Bischofswürde, sondern eine Baronie antragen würde, wodurch ihm eine Ehefrau gestattet gewesen wäre. Sie war nach ihm verrückt gewesen, ja, aber wenn sie den Antrag angenommen hätte, wäre sie in den sprichwörtlichen goldenen Käfig gesperrt worden und hätte hilflos mit ansehen müssen, wie er ihn abschloß. Als seine Frau hätte sie nie mehr sie selbst sein können, eine Medica aus Salerno.

Adelia verfügte über keine der erforderlichen weiblichen Fertigkeiten: Sie konnte nicht tanzen oder Laute spielen, hatte noch nie einen Stickrahmen angefasst – wenn sie nähte, dann nur, um die Leichen wieder zusammenzuflicken, die sie seziert hatte. In Salerno hatte sie die Fähigkeiten entfalten können, die ihr entsprachen, doch in England war dafür kein Raum. Die Kirche verurteilte jede Frau, die sich nicht an ihre Regeln hielt, und im Interesse ihrer eigenen Sicherheit war Adelia gezwungen gewesen, heimlich als Ärztin zu arbeiten und jemand anderem die Anerkennung dafür zu überlassen.

Als Baron Rowleys Frau wäre sie gefeiert und umschwärmt und bewundert worden, doch sie hätte ihr wahres Wesen verleugnen müssen. Und wie lange hätte sie das wohl durchgehalten? Ich bin, die ich bin.

Absurderweise hatten Frauen umso größere Freiheiten, je tiefer sie in der gesellschaftlichen Rangordnung standen. Die Ehefrauen von Tagelöhnern und Handwerkern konnten Seite an Seite mit ihren Männern arbeiten und manchmal sogar, wenn sie verwitwet waren, das Geschäft ihres Gatten übernehmen. Gyltha zum Beispiel hatte einen florierenden Handel mit Aalen betrieben, bis sie Adelias Freundin und Allies Kindermädchen wurde, und keinen Mann über sich gehabt.

Adelia trottete weiter. Hexenloch. Eingeweide von Grendels Mutter. Wieso war dieser schreckliche Ort für die Männer, die darin herumirrten, weiblich? Weil er tunnelartig war? Wie ein Schoß? Ist das die Zauberkraft einer Frau? Der große Schoß?

Ist das der Grund, warum die Kirche mich hasst, alle Frauen hasst? Weil wir der Ursprung aller wahren Macht sind? Des Lebens?

Sie vermutete, wenn sie die Männer hinausführte, wäre das für sie nur eine Bestätigung, dass Frauen die Geheimnisse des Labyrinths kannten und sie nicht.

Großer Gott, dachte sie, es geht gar nicht um Hass. Es geht um Angst. Sie haben Angst vor uns.

Und Adelia lachte leise, was ein leises Echo durch den Gang nach hinten warf, als würde ein Steinchen über Wasser hüpfen, und jeder Mann erschrak, als es an ihm vorbeikam.

»Was zum Teufel war das?«