Die anderen traten nacheinander ins Freie. Keiner sagte etwas.
»Es tut mir leid. Es tut mir leid«, rief Adelia in die Stille hinein. Sie sah Rowley an. »Es ist nämlich so, wenn ein Irrgarten durchgängig ist, wenn es keine Unterbrechungen gibt und wenn alle Hecken miteinander verbunden sind und du einer strikt folgst, egal, wohin sie geht, dann wirst du ihn schließlich durchqueren, das ist unvermeidlich, zwangsläufig, nur …« Ihre Stimme wurde leise und kläglich. »Ich hab mich für die linke Hecke entschieden. Und das war die falsche.«
Wieder Schweigen. Im verlöschenden Licht flatterten Krähen freudig über Ulmenwipfel hinweg, und ihre Schreie verspotteten die erdgebundenen Idioten da unten.
»Verzeihung«, sagte der Bischof von St. Albans höflich. »Verstehe ich das richtig, dass wir, wenn wir der rechten Hecke gefolgt wären, schließlich an dem verdammten Ziel angelangt wären, wo wir eigentlich hinwollten?«
»Ja.«
»Die rechte Hecke?«, hakte der Bischof nach.
»Na ja, wenn man jetzt von hier aus reinginge, wäre es natürlich wieder die linke … Ihr wollt doch wohl nicht wieder da rein?«
»Doch«, sagte der Bischof.
Ogottogott, er will wieder da rein. Wir werden die ganze Nacht brauchen. Ob es Allie wohl gutgeht?
In der Hoffnung, dass die Gestalt, die sie auf dem Laufgang des Turms gesehen hatten, inzwischen ein Einsehen gehabt haben könnte, läuteten sie noch einmal die große Glocke, doch nachdem sie ihre Pferde an dem Trog getränkt hatten, war offensichtlich, dass diese Hoffnung vergeblich war.
Niemand sprach, während Schwerter umgegürtet und Laternen angezündet wurden; es würde sehr dunkel da drin werden.
Rowley riss sich die Kappe vom Kopf und kniete nieder. »Herr, sei bei uns, um deines geliebten Sohnes willen.«
Und so drangen die vier wieder in den Irrgarten ein. Das Wissen, dass er ein Ende hatte, beruhigte sie, obwohl das Zurückweichen aus Sackgassen und die unablässigen Windungen und Biegungen sie jetzt, da sie müde wurden, noch mehr erschöpften.
»Wo habt Ihr das mit den Irrgärten gelernt, Mistress?«, erkundigte sich Walt.
»Von meinem Ziehvater. Er hat den Osten bereist und dort einige gesehen, wenngleich nicht so große.«
»Die alte Schlange is beachtlich, nich? Schätze, es gibt ’nen Weg hier durch, den wir nich sehen.«
Adelia pflichtete ihm bei. Es wäre viel zu unbequem, derartig von der Außenwelt abgetrennt zu sein, daher musste es einen geraderen Weg geben. Sie vermutete, dass einige der heckenbewachsenen Wände am Ende von Sackgassen gar keine Mauern waren, sondern mit Schlehdorn verhangene Tore, durch die man auf einen direkten Weg gelangen konnte.
Aber das half ihr und den anderen jetzt nicht. Es würde zu lange dauern, jede Mauer daraufhin zu untersuchen, ob sie sich öffnen ließe, und letztlich nur dazu führen, dass sie wieder zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden mussten, die im Nichts endeten.
Sie waren dazu verdammt, den langen Weg zu gehen.
Sie bewältigten ihn schweigend. Selbst Walt hörte auf zu reden.
Die Nacht erweckte den Irrgarten zum Leben. Der längst verstorbene Scharlatan, der ihn ersonnen hatte, versuchte noch immer, sie zu erschrecken, aber jetzt durchschauten sie ihn. Dennoch, der Ort hatte seine eigenen Mittel, um Grauen heraufzubeschwören. Das Licht der Laternen erhellte eine dicke Röhre aus verschlungenen Ästen, als schleppten sich die Männer und die Frau darin durch einen endlosen grauen Strumpf, der von Wesen bevölkert wurde, die, verborgen in seinem Gewebe, raschelnd ihr eigenes dürres Leben führten.
Als sie schließlich daraus auftauchten, war es zu dunkel, um sehen zu können, ob der ebenfalls spaltenförmige Ausgang genauso verziert war wie der Eingang. Inzwischen hatten sie ohnehin das Interesse verloren. Die Lust war ihnen vergangen.
Die Gänge hatten sie bis zu einem gewissen Grad vor der bitterkalten Luft geschützt, die ihnen jetzt entgegenschlug. Abgesehen von einer Eule, die, durch die Ankömmlinge aufgeschreckt, mit langsamen Flügelschlägen von einer Mauer aufflog, drang kein Laut von dem Turm herüber, der sich auf der anderen Seite des Burghofs erhob. Er war massiver, als er aus der Entfernung gewirkt hatte, und ragte glatt und hoch in den Himmel, wo die Sterne wie verstreute Diamanten eisig auf ihn herabfunkelten.
Jacques holte eine weitere Laterne und frische Kerzen aus seiner Satteltasche und führte sie zu den dunkleren Umrissen im Schatten am Fuße des Turmes, die sich als Stufen zu einer Tür herausstellten.
Seit dem letzten Schneefall hatte niemand den Burghof überquert. Zumindest kein Mensch – es gab nur reichlich Tierfährten und Vogelspuren. Aber der kleine Platz war ein Parcours voller Hindernisse. Verschneite Erhebungen entpuppten sich als liegengelassene Gerätschaften: ein zerbrochener Stuhl, Stoffe, ein Fass, dessen Dauben auf einer Seite eingedrückt waren, zerbeulte Töpfe, eine Kelle. Der Schnee bedeckte ein einziges Chaos.
Walt stolperte über einen Eimer mit einem toten Huhn darin. Der Kadaver eines Hundes, mit gefletschten Zähnen erfroren, lag am Ende seiner Kette.
Rowley versetzte dem Eimer einen Tritt, so dass das tote Huhn herausflog. »Treuloses, räuberisches Pack.«
War das die Erklärung?
Es wurde erzählt, dass die Diener von William dem Normannen ihrem König sofort nach dessen Tod die Kleider vom Leib gerissen hatten und mit so viel Diebesgut, wie sie tragen konnten, davongelaufen waren und dass seine Ritter den Leichnam des großen und schrecklichen Eroberers nackt auf dem Boden eines kahlen Palastzimmers gefunden hatten.
Hatte Rosamunds Dienerschaft das Gleiche getan, sobald ihre Herrin tot war? Rowley nannte es Treulosigkeit, doch Adelia fiel wieder ein, was ihr angesichts Rosamunds Vernachlässigung der armen Bertha durch den Kopf gegangen war. Treue konnte nur auf wechselseitiger Achtung beruhen. Niemand hatte Rosamund beweint? Warum nicht?
Die Tür zum Turm, vor der sie schließlich standen, war aus dickem dunklem Eichenholz und befand sich am oberen Ende einer bedrohlich glänzenden Treppe. Es gab keinen Türklopfer. Sie hämmerten gegen das Holz und hörten, wie das Geräusch auf der anderen Seite widerhallte, wie in einer leeren Höhle, und weder Lebende noch Tote antworteten ihnen.
Sie blieben zusammen – niemand schlug vor, dass sie sich verteilen sollten – und gingen im Gänsemarsch um den Turm herum, durch Bogengänge in Höfe, wo eine weitere Tür sich als ebenso unbeweglich erwies wie die erste. Diese war jedoch zumindest ebenerdig.
»Wir rammen das Mistding ein.«
Doch zuerst mussten die Pferde versorgt werden. Ein Pfad führte zu einem verlassenen Stallhof mit einem Brunnen, aus dem ein Plätschern drang, als Walt einen Stein hineinwarf, was ihm die Sorge nahm, das Wasser tief unten könnte gefroren sein. In den Pferdeverschlägen war Stroh, wenn auch recht schmutziges, und die Krippen waren offenbar noch kurz bevor die ursprünglichen Bewohner gestohlen worden waren mit Hafer aufgefüllt worden.
»Schätze, so geht’s erst mal«, sagte Walt mürrisch.
Die anderen überließen ihm die Arbeit, das Eis von der Brunnenwinde zu schlagen.
Die Plünderer waren wahllos und überhastet vorgegangen. In einem ansonsten verlassenen Kuhstall lag noch eine Kuh, die nicht mitgenommen worden war, weil sie gerade ein Kalb zur Welt gebracht hatte. Beide waren tot, das Kalb noch in der Fruchtblase. Sie duckten sich unter einer Wäscheleine hindurch, an der bretthart gefrorene Laken hingen, und erkundeten die Küchengebäude. In der Spülküche war der Bottich geraubt worden, und in der Hauptküche fehlte alles außer einem riesigen Tisch, der zu schwer zum Heben war.
Der Boden der Scheune bestand aus nackter Erde, und sie entdeckten Abdrücke, die erkennen ließen, wo einmal ein Pflug und eine Egge gestanden hatten. Und …