Sie winkte den Männern hinter Rowley, und die begannen, ihn hinauszuzerren.
Als sie die Tür erreicht hatten, sagte sie klar und deutlich: »Ihr seid Henry Plantagenets Mann, St. Albans. Das wart Ihr immer, und das werdet Ihr immer bleiben.«
»Und der Eure, Lady«, rief er zurück. »Und Gottes.«
Man hörte sein Fluchen, als die Männer ihn die Treppe hinunterschleiften. Das Geräusch wurde schwächer. Stille trat ein, wie die Ruhe nach dem Zusammenbruch eines Gebäudes, wenn sich der Staub allmählich legt.
Schwyz blieb noch. »Der Schweinehund hat recht, Lady, wir sollten schleunigst aufbrechen.«
Die Königin achtete gar nicht auf ihn. Sie ging aufgebracht im Kreis und murmelte vor sich hin.
Mit einem resignierten Achselzucken wandte Schwyz sich ab und verschwand.
»Er würde Euch niemals schaden, Lady«, sagte Adelia. »Tut ihm nichts an.«
»Liebe ihn nicht!«, zischte die Königin.
Tu ich nicht, will ich nicht. Nur, tut ihm nichts an.
»Erlaubt mir, ihm die Augen auszustechen, meine Königin.« Montignard atmete schwer. »Er wollte Euch durch diesen Dämon ermorden lassen.«
»Das wollte er natürlich nicht«, sagte Eleanor – und Adelia seufzte vor Erleichterung. »Rowley hat die Wahrheit gesagt. Diese Frau, diese Dakers … Ich hatte Erkundigungen eingezogen, und es ist sattsam bekannt, dass sie verrückt nach ihrer Herrin war, igitt. Selbst jetzt noch würde sie mich am liebsten gleich zehnmal töten.«
»Wirklich?« Montignard war fasziniert. »Sie waren Sapphos?«
Die Königin schritt weiter im Kreis. »Bin ich eine Mörderin von Huren, Monty? Welche Anschuldigungen wird man als Nächstes gegen mich erheben?«
Der Höfling verneigte sich, hob den Saum ihres Umhangs auf und küsste ihn. »Ihr seid der gesegnete Engel des Friedens, der erneut nach Bethlehem gekommen ist.«
Das brachte sie zum Lächeln. »Nun gut, wir können nichts weiter tun, bis der junge König und der Abt eintreffen.« Von unten drang Lärm herauf, als würden krachend Möbel umgestürzt und Fensterläden zugeschlagen. »Was treibt Schwyz denn da unten?«
»Er postiert zur Verteidigung Bogenschützen an jedes Fenster. Er fürchtet, der König könnte herkommen.«
Die Königin schüttelte nachsichtig den Kopf, als hätte sie es mit übereifrigen Kindern zu tun. »Selbst Henry kommt bei diesem Wetter nicht schnell voran. Gott hat dem Schnee für mich Einhalt geboten, und nun schickt er ihn, um den König aufzuhalten. Wohlan, ich werde hier in diesem Zimmer bleiben, bis mein Sohn kommt.« Sie schaute Adelia an. »Und du auch, ja?«
»Madam, mit Eurer Erlaubnis werde ich zu den anderen …«
»Nein, nein. Gott hat dich mir als Glücksbotin geschickt.« Eleanor lächelte sehr schön. »Du wirst hier bei mir bleiben und …« Sie trat zu der Leiche und riss ihr den schützenden Umhang vom Kopf. »… gemeinsam werden wir zusehen, wie die Schöne Rosamund verfault.«
Und das taten sie dann auch.
Was Adelia später von dieser Nacht in Erinnerung bleiben sollte, waren die endlosen Stunden tiefen Schweigens, als sie und die Königin – bis auf den schlafenden Montignard – allein waren und Eleanor von Aquitanien scheinbar unermüdlich und kerzengerade dasaß, die Augen auf die Leiche der Frau gerichtet, die ihr Mann geliebt hatte.
Sie erinnerte sich zudem, wenn auch ungläubig, dass irgendwann ein junger Höfling mit einer Laute hereinkam, durch den Raum schlenderte und entzückend auf Okzitanisch sang, dann jedoch, als er kein Lob von der Königin bekam und erst recht nicht von der Leiche, wieder verschwand.
Und die Hitze. Adelia erinnerte sich an die Hitze von Kohlenbecken und einhundert Kerzenflammen. Irgendwann bettelte sie förmlich um Linderung. »Könnten wir nicht einen Moment lang die Fenster öffnen, Madam?« Sie fühlte sich wie in einem Brennofen.
»Nein.«
Und so blieb Adelia, die Glücksbringerin, die durch ihren Status als gottgesandte Retterin das Recht erworben hatte, in der Nähe der Königin zu sein, auf dem Boden hocken, ihren Umhang unter sich, während die Königin, noch immer in Pelze gehüllt, auf einem Stuhl saß und den Leichnam betrachtete.
Eleanor ließ ihn nur einmal aus den Augen, als der Weinbrand gebracht wurde und Adelia ihn nicht trank, sondern ihn über den Schnitt in ihrer Hand goss und dann aus dem Reisetäschchen mit ihren Instrumenten, das sie in ihrem Beutel trug, Nadel und Seidenfaden nahm.
»Wer hat dich gelehrt, Wunden mit Weinbrand zu reinigen«, wollte Eleanor wissen. »Ich selbst nehme dafür doppelt gebrannten Bordeaux … Ach, warte, lass mich das machen.«
Mit einem missbilligenden Zungenschnalzen, als Adelia versuchte, die Wunde mit der linken Hand zu nähen, nahm sie ihr Nadel und Faden aus der Hand und machte sieben Stiche, wo Adelia sich mit fünf begnügt hätte, wodurch die Naht zwar ordentlicher, die ganze Prozedur aber auch schmerzhafter wurde. »Wir, die wir auf dem Kreuzzug waren, mussten lernen, Verwundete zu behandeln. Es waren so viele«, sagte sie resolut.
Und für die meisten war die Unfähigkeit ihres Heerführers, des Königs von Frankreich, verantwortlich, wie Rowley nach seiner eigenen, sehr viel späteren Kreuzfahrt ins Heilige Land gesagt hatte.
Die Kirche hatte Ludwig deswegen keine Vorhaltungen gemacht, sondern sich lieber auf den Skandal konzentriert, den Eleanor als seine damalige Gattin ausgelöst hatte, indem sie darauf bestand, ihren Gemahl zu begleiten und ein ganzes Gefolge ähnlich abenteuerlustiger Frauen mitzunehmen.
»Die Lady lässt sich ebenso wenig zähmen wie Funken, die zum Himmel stieben«, hatte Rowley nicht ohne Bewunderung über sie gesagt. »Sie und ihre Amazonen. Und als sie in Antiochia ankamen, hatte sie eine Affäre mit ihrem Onkel Raymond von Poitiers. Was für eine Frau.«
Ein Rest dieser Verwegenheit war geblieben, das zeigte schon allein ihre Anwesenheit hier, doch die Zeit, so dachte Adelia, hatte diesen Rest in Verzweiflung verwandelt.
»Ist das … aah.« Adelia wollte tapfer bleiben, doch die Königin setzte die Nadel eher geschickt als behutsam ein. »Habt Ihr dort gelernt … wie man durch einen Irrgarten kommt? Im … uuuff … Osten?« Es gab nämlich keine Anzeichen dafür, dass Eleanor ebenso lange zwischen Wormholds Hecken herumgestolpert war wie sie selbst und ihre Gefährten.
»Mylady«, mahnte die Königin.
»Mylady.«
»Ja, in der Tat. Die Sarazenen verstehen sich auf dergleichen, wie auch auf so vieles andere. Ich bin überzeugt, dein Bischof hat das ebenfalls im Osten gelernt. Rowley ist auf meinen Befehl dorthin gereist … vor langer Zeit.« Ihre Stimme war weicher geworden. »Er hat das Schwert meines toten kleinen Sohnes nach Jerusalem getragen und es dort auf den Altar Christi gelegt.«
Adelia war beruhigt. Offenbar hatte diese Stellvertreterkreuzfahrt ein festes Band zwischen Eleanor und Rowley geschmiedet. Es mochte ja unter den gegebenen Umständen bis zum Zerreißen gespannt sein, aber es hielt noch immer. Die Königin hatte ihn gefangen genommen. Sie würde nicht zulassen, dass man ihn tötete.
Sie ist eine Mutter, dachte Adelia, sie wird mich wieder zu meinem Kind lassen. Bestimmt würde sie sie darum bitten können, wenn sie und die Königin sich erst ein wenig besser kennengelernt hatten. Unterdessen musste sie noch möglichst viel über den Mord an Rosamund herausfinden. Eleanor hatte ihn nicht angeordnet. Wer dann?
Das schwächere Licht hatte der Königin stärker geschmeichelt als die strahlende Beleuchtung, die sie jetzt umgab. Sie war anmutig und würde es immer bleiben, sie hatte einen schönen, blassen Teint und kastanienbraunes Haar, das jetzt versteckt war, aber Falten kräuselten ihren Mund, und der enge Gazeschleier konnte nicht ganz den Ansatz eines Doppelkinns kaschieren. Eine schlanke Figur, ja, ein zarter Knochenbau, ja. Und doch schien auch oberhalb der Stelle, wo ein juwelenbesetzter Gürtel ihre Taille umschlang, das Gewebe zu erschlaffen.