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Kein Wunder. Sie hatte mit ihrem ersten Mann, Ludwig von Frankreich, zwei Töchter gehabt, und seit ihrer Scheidung waren aus ihrer Ehe mit Henry Plantagenet noch acht weitere Kinder hervorgegangen, fünf davon Söhne.

Zehn Geburten. Adelia dachte daran, was die Schwangerschaft mit ihrer eigenen Taille angestellt hatte. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch so aussah.

Weitere Kinder würde es jedoch nicht mehr geben, auch wenn König und Königin sich nicht zerstritten hätten. Eleanor musste jetzt wie alt sein? Fünfzig?

Und Henry wohl noch keine vierzig.

»Fertig«, sagte die Königin und biss das Nadelende des Seidenfadens ab, der Adelias Handfläche nun zusammenhielt. Dann holte sie ein zartes Spitzentuch hervor, das ihr als Taschentuch diente, wickelte es geschickt um die Hand und band es mit einem letzten, schmerzhaften Ruck fest.

»Ich bin Euch dankbar, Mylady«, sagte Adelia aufrichtig.

Doch Eleanor hatte schon wieder ihren Posten bezogen und starrte die Leiche an.

Warum?, fragte sich Adelia. Warum diese obszöne Totenwache? Das ist unter deiner Würde.

Die Frau war aus einer Burg im Tal der Loire geflohen und durch das ihr feindlich gesinnte Territorium Henrys gereist, wo sie Anhänger und Soldaten um sich geschart hatte, ehe sie den Kanal überquerte und Südengland erreichte. All das, um zu einem einsamen Turm in Oxfordshire zu gelangen. Und das im Winter. Zugegeben, den größten Teil der Reise hatte sie bewältigt, als die Straßen noch nicht so unpassierbar waren wie jetzt – sie musste nicht allzu weit vom Turm entfernt ein Lager aufgeschlagen haben –, aber dennoch, es war eine strapaziöse Reise gewesen, die offenbar jeden erschöpft hatte, nur nicht Eleanor. Und wozu? Um hämisch über ihre Rivalin zu triumphieren?

Aber die Feindin ist besiegt, dachte Adelia, sie ist zu einer winterlichen Version der Salzsäule von Sodom und Gomorrha erstarrt. Ein Mordversuch wurde von mir und einem Eleanor behütenden Gott vereitelt. Rosamund hat sich als übergewichtig entpuppt. Das müsste doch genügen, um jeden noch so großen Rachedurst zu stillen. Der Königin genügte es anscheinend nicht. Sie muss hier sitzen und sich am Zerfall der Besiegten ergötzen. Warum?

Jedenfalls nicht, weil sie die jüngere Mätresse um die Möglichkeit beneidet hatte, noch Kinder bekommen zu können, denn Rosamund hatte keine gehabt.

Auch nicht, weil Rosamund die einzige königliche Geliebte gewesen wäre. Henry hatte in seinem Leben mehr Frauen geschwängert, als die meisten Männer warme Mahlzeiten zu sich nahmen. »Im wahrsten Sinne des Wortes der Vater seines Volkes«, hatte Rowley einmal voller Stolz über ihn gesagt.

Von Königen wurde das erwartet, fast wie eine Aufgabe, eine Verpflichtung – in Henrys Fall eine äußerst angenehme – gegenüber der Fruchtbarkeit seines Reiches.

Damit der Samen prächtig gedeiht, dachte Adelia säuerlich.

Doch auch Eleanors herzögliche Ahnen hatten zu ihrer Zeit nicht mit ihrem aquitanischen Samen gegeizt. Sie war dazu erzogen worden, keine eheliche Treue zu erwarten. Ja, als sie einen treuen Gatten hatte, und zwar den betfreudigen, mönchischen König Ludwig, war sie so gelangweilt gewesen, dass sie die Scheidung verlangte.

Und war sie Henry nicht entgegengekommen, indem sie einen seiner Bastarde in ihren Hof aufnahm und ihn aufzog? Der junge Geoffrey, Sohn einer Londoner Prostituierten, war seinem Vater treu ergeben und überaus hilfreich. Rowley schätzte ihn mehr als jeden anderen der vier noch lebenden legitimen Söhne des Königs.

Rosamund, nur Rosamund hatte einen Hass gedeihen lassen, der jetzt die Hitze in diesem schrecklichen Zimmer schürte – es war, als pumpte Eleanors Körper die Hitze quer durch den Raum, damit das Fleisch der Frau auf der anderen Seite noch rascher faulte.

Lag es daran, dass Rosamund länger als die anderen durchgehalten hatte, dass der König ihr eine größere Zuneigung, eine tiefere Liebe gezeigt hatte?

Nein, sagte sich Adelia. Es lag an den Briefen. Eleanor, die in die Wechseljahre gekommen war, hatte ihre Botschaft geglaubt; eine andere Frau wurde dazu aufgebaut, ihren Platz einzunehmen. Nicht nur in der Liebe drohte ihr Entmachtung, sondern auch im Königreich.

Wenn Eleanor Rosamund tatsächlich vergiftet hätte, dann hätte sie es ihr mit gleicher Münze heimgezahlt, denn in gewisser Weise hatte Rosamund auch Eleanor vergiftet.

Und doch hatte Rowley recht gehabt: Diese Königin hatte niemanden ermordet.

Natürlich gab es dafür keinen Beweis, nichts, was sie entlasten würde. Der Mord war aus großer Entfernung geplant worden. Die Leute würden sagen, dass sie ihn angeordnet hatte, als sie noch in Frankreich war. Und außer Eleanors Wort gab es nichts, was das Gerücht aus der Welt geschafft hätte.

Aber ein derartiger Mord war nicht ihr Stil. Das hatte Rowley gesagt, und jetzt pflichtete Adelia ihm bei. Wenn Eleanor das Verbrechen ausgeheckt hätte, dann hätte sie die letzten Todeskrämpfe ihrer Rivalin mit eigenen Augen miterleben wollen. Dass sie sich jetzt auf diese seltsam naive und schreckliche Art an deren Zerfall ergötzte, sollte sie wohl für das entschädigen, was sie verpasst hatte.

Aber, verdammt, ich muss mir das nicht mit dir gemeinsam ansehen. Plötzlich wurde Adelia von der Obszönität der Situation übermannt. Sie war müde, ihre Hand brannte wie Feuer, sie wollte zu ihrem Kind. Allie hatte bestimmt schon Sehnsucht nach ihr.

Sie stand auf. »Lady, es ist nicht gesund für Euch, hier zu sein. Lasst uns nach unten gehen.«

Die Königin blickte an ihr vorbei.

»Dann gehe ich allein«, sagte Adelia.

Sie schritt entschlossen vorbei an Montignard, der auf dem Boden schnarchte, und zur Tür. Zwei Spieße klirrten, als sie gekreuzt wurden und ihr den Durchgang versperrten. Ein zweiter Waffenknecht hatte sich zum ersten gesellt.

»Lasst mich durch«, sagte sie.

»Wenn du pinkeln musst, such dir ’nen Topf«, sagte einer der Männer grinsend.

Adelia wandte sich an Eleanor. »Ich bin nicht Eure Untertanin, Lady, sondern die des Königs von Sizilien.«

Die Augen der Königin ruhten weiterhin auf Rosamund.

Adelia kämpfte zähneknirschend gegen ihre Verzweiflung an. So geht das nicht. Wenn ich Allie wiedersehen will, muss ich Ruhe bewahren und das Vertrauen dieser Frau gewinnen.

Nach einer Weile begann Adelia, gefolgt von ihrem Hund, durchs Zimmer zu schlendern, nicht auf der Suche nach einem Ausweg – es gab keinen –, sondern weil sie die Zeit, die sie hier in der Falle saß, nutzen wollte, um herauszufinden, wo Dakers sich versteckt gehalten hatte.

Unter dem Bett konnte sie nicht gewesen sein, sonst hätte Wächter sie gewittert. Er hatte nicht gerade die feinste Spürnase, da sie durch seinen eigenen Geruch ein wenig beeinträchtigt wurde, aber so etwas wäre ihm bestimmt nicht entgangen.

Außer dem Bett befanden sich in dem Zimmer noch ein Betpult, kleiner als das im bischöflichen Gemach von St. Albans, aber mit ebenso prächtigen Schnitzereien, sowie drei riesige Truhen voller Kleidung.

Auf einem kleinen Tisch stand ein Tablett mit dem Nachtmahl, das man der Königin gebracht hatte: Hühnchen, Kalbfleischpastete, Käse, Brot – leicht angeschimmelt –, getrocknete Feigen, ein Krug Ale und eine verkorkte Flasche Wein. Eleanor hatte nichts davon angerührt. Adelia, die zuletzt im Kloster etwas gegessen hatte, bediente sich kräftig an dem Hühnchen und gab Wächter ein Stück ab. Sie trank Ale, um ihren Durst zu stillen, und goss sich ein Glas Wein ein, an dem sie nippte, während sie das Zimmer erkundete.

Ein Wandschränkchen enthielt hübsche Fläschchen und Phiolen mit Etiketten: Rosenöl, Märzveilchen, Himbeeressig für weiße Zähne. Walnussöl für weiche Hände. Fast alle waren kosmetischer Natur, doch Adelia registrierte, dass Rosamund Atemprobleme gehabt – wundert mich nicht bei deinem Gewicht – und dagegen Alantwurzel genommen hatte.