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Das Bett nahm mehr Platz in der Mitte des Raumes ein, als nötig gewesen wäre, weil es gut einen Fuß von der Wand abgerückt stand. Dahinter hing ein Teppich mit Darstellungen des Gartens Eden – offenbar ein Lieblingsmotiv, denn ein weiterer und besserer mit demselben Sujet schmückte zwischen zwei Fenstern die Ostwand.

Als Adelia näher herantrat und schließlich zwischen Bett und Wandbehang stand, spürte sie eine köstliche Kühle.

Der Teppich war alt und so schwer, dass er sich nicht in dem starken Luftzug bewegte, der darunter hervorstrich. Während Adam und Eva auf dem an der anderen Wand fröhlich herumtollten, standen sie hier einander unbeholfen unter unwirklichen Bäumen gegenüber, ebenso erstarrt wie die arme Rosamund. Das Einzige, das wirklich lebendig wirkte, waren die geschmeidigen grünen Windungen der Schlange – und selbst die waren von Motten zerfressen.

Adelia trat noch näher heran, und der kühle Luftzug wurde kräftiger.

Dort, wo das Auge der Schlange hätte sein müssen, befand sich ein kleines Loch im Gewebe – und das war nicht von den Motten hineingefressen worden. Es war absichtlich gemacht, denn ringsum am Rand waren Knopflochstiche.

Ein Guckloch.

Sie musste einige Kraft aufwenden, um den Wandbehang zur Seite zu schieben. Eisige Luft wehte dahinter hervor und ein muffiger Geruch. Sie sah einen kleinen Raum vor sich, der außen an die Turmmauer angesetzt war. Rosamund musste keine Nachttöpfe benutzen, sie hatte den Luxus eines Aborts. In eine halbrunde Bank aus glänzendem Holz war ein gesäßförmiges, mit Samt gerändertes Loch eingelassen, unter dem es rund hundert Fuß senkrecht nach unten ging. In einem Halter lag ein Seifenstück in Form einer Rose neben einem kleinen goldenen Krug. Eine Schale mit Abwischtüchlein aus Lammwolle stand in Reichweite.

Ein Glück für Rosamund. Adelia befürwortete Aborte, solange die Grube darunter regelmäßig ausgehoben wurde. Sie ersparten es den Dienerinnen, widerliche Behältnisse, die oft genug überschwappten, die Treppen hinauf- und hinuntertragen zu müssen.

Von dem Gemälde auf den verputzten Wänden war sie dagegen weniger angetan. Seine Erotik wäre in einem Bordell angebrachter gewesen als auf einem Abtritt, doch vielleicht hatte es Rosamund Spaß gemacht, die Abbildungen zu betrachten, während sie hier saß, und Henry Plantagenet hatte sie ganz sicher goutiert. Obwohl, wenn sie recht drüber nachdachte, fragte sie sich, ob er überhaupt von der Existenz dieses Abortes mit dem Guckloch gewusst hatte.

Adelia trat hinter den Teppich, um von hinten durch das Loch zu spähen, und stellte fest, dass sie genau auf das Bett, den Schreibtisch und das Fenster dahinter blicken konnte.

Hier also hatte Dakers sich versteckt und – ein gruseliger Gedanke – Adelia bei ihren Untersuchungen beobachtet. Was für eine Geduld und was für ein Durchhaltevermögen, dass sie diese Kälte ertragen hatte. Nur die Wut, als sie sah, wie Eleanor ihrer Herrin die Krone vom Kopf riss, hatte sie hinausgetrieben.

Doch der sorgfältig genähte Rand des Gucklochs ließ vermuten, dass heute Nacht nicht zum ersten Mal jemand hindurchgelugt hatte.

Es mussten geladene Gäste gewesen sein, die hier heraufkamen – es war in England Sitte, dass die höheren Stände im Schlafzimmer Besucher empfingen. Falls Dakers sie heimlich belauert hatte, dann musste sie ihren Posten auf dem Abort mit Rosamunds Wissen und Erlaubnis bezogen haben.

Um die Gäste zu beobachten? Den König? Das Bett und das, was sich darin abspielte?

Solche Spekulationen eröffneten Möglichkeiten, die Adelia nicht näher erkunden wollte, und die Beziehung zwischen Herrin und Haushälterin gehörte ganz sicher dazu.

Zum Teufel mit der Erlaubnis der Königin; sie brauchte jetzt frische Luft. Sie schlüpfte unter dem Teppich hervor. Eleanor schien nichts bemerkt zu haben. Adelia ging zum nächstbesten Fenster, öffnete den Riegel und stieß die Fensterläden auf. Mit dem Fuß zog sie einen Hocker heran, stieg darauf und lehnte sich nach draußen.

Der bitterkalte Nachthimmel war mit Sternen übersät. Als sie nach unten blickte, sah sie vereinzelte Wachfeuer, um die sich bewaffnete Männer bewegten.

O Gott, wenn die am Fuß des Turms Reisig gelegt haben … wenn Wind aufkommt und einen Funken von diesen Feuerstellen herüberweht …

Sie und Eleanor saßen am oberen Ende eines Kamins.

Das reichte an frischer Luft. Fröstelnd, und zwar nicht nur durch die Kälte, schloss Adelia die Läden. Dabei belastete sie eine Seite des Hockers zu sehr und landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden.

Als sie zur Königin hinüberschaute, weil sie mit einem erbosten Tadel rechnete, fragte sie sich, ob Eleanor vielleicht in Trance gefallen war. Der Blick der Königin ruhte weiter unverwandt auf Rosamund. Auf dem Boden bewegte Montignard kurz die Beine, murmelte etwas und schnarchte dann weiter.

Adelia bückte sich, um den Hocker wieder aufzurichten, und sah, dass die mit Intarsien verzierte Sitzfläche verrutscht war und es sich dabei in Wahrheit um den Deckel einer Kiste auf Beinen handelte. Darin befanden sich Schriftstücke. Sie holte sie heraus und kehrte zu ihrem alten Platz auf der anderen Seite des Bettes zurück, um sie zu lesen.

Schon wieder Briefe, bestimmt ein halbes Dutzend, alle an Eleanor gerichtet, alle angeblich von Rosamund geschrieben, aber in derselben Handschrift verfasst wie der, den Adelia in ihren Stiefel geschoben hatte.

Jeder hatte dieselbe höhnische Anrede, und in dem hellen Licht konnte sie auch lesen, was danach kam. Es war nicht immer derselbe Wortlaut, doch die eigentliche Botschaft wurde ständig wiederholt.

»Heute hat mein königlicher Herr bei mir gelegen und seine Liebe beteuert …« »Gerade eben verließ mein königlicher Herr unser Bett …« »Er spricht voller Sehnsucht über die Scheidung von Euch …« »… der Papst wird die Scheidung gnädig gewähren, weil Ihr meinen königlichen Herrn verraten und seine Söhne gegen ihn aufgebracht habt.« »… die Vorkehrungen für meine Krönung in Winchester und Rouen.« »… mein königlicher Herr wird den Engländern verkünden, wer ihre wahre Königin ist.«

Giftige Tinte, Tropfen für Tropfen.

Und der Verfasser hatte sie niedergeschrieben, damit Rosamund sie in ihrer eigenen Schrift kopierte. Er oder sie – wahrscheinlich er – hatte sogar Anweisungen mitgeliefert.

»Bemüht Euch um Leserlichkeit, denn die Königin hat Eure Rechtschreibung verhöhnt und Euch als Dummkopf bezeichnet.«

»Schreibt rasch, damit dieses Schreiben die Königin an ihrem Jahrestag erreicht, da sie diesem Datum großen Wert beimisst und dadurch verwundbarer ist.«

»Eilt Euch, denn mein Bote muss Chinon erreichen, wo die Königin in Gewahrsam ist, bis der König sie an einen anderen Ort bringen lässt.«

Und, besonders verräterisch: »Wir obsiegen, Lady. Ihr werdet Königin sein, ehe der nächste Sommer kommt.«

An keiner Stelle nannte der Instrukteur seinen Namen. Aber, so dachte Adelia, er war jemand, der Eleanor nahestand, sonst hätte er nicht wissen können, dass sie sich über Rosamunds Schreibkünste lustig gemacht hatte.

Und er war ein Narr. Wenn er hoffte, eine Scheidung zwischen Henry und Eleanor herbeiführen zu können und Rosamund zur Königin zu machen, dann mangelte es ihm an grundlegendem Verständnis für Politik.

Henry würde sich nie von Eleanor scheiden lassen. Denn selbst wenn der Verrat der Ehefrau Grund für eine Scheidung war – und das glaubte Adelia nicht –, hatte Henry sich durch den Tod Beckets schon zu sehr mit der Kirche angelegt und dafür bezahlt; er würde es nicht wagen, sie ein weiteres Mal zu brüskieren. Außerdem achtete er die Ordnung der Dinge. Noch entscheidender für ihn war, dass er das große Herzogtum Aquitanien verlieren würde, wenn er Eleanor verlor, und Henry mochte ja ein Scheusal sein, aber er würde niemals Land aufgeben.