»So sind sie alle hübsch aufgeteilt, und keiner von denen in der Nähe von irgendwelchen Frauen«, sagte Gyltha anerkennend. »Ganz schön durchtrieben, diese Ma Edyve.«
Gyltha war es gewesen, die der Äbtissin von den Ereignissen in Wormhold berichtet hatte. Adelia war zu müde dazu und fühlte sich außerdem nicht in der Verfassung, ihr von Rowleys Tod zu erzählen.
»Sie glaubt nich dran«, sagte Gyltha bei ihrer Rückkehr. »Genauso wenig wie ich. So, und jetzt kümmer ich mich erst mal um euch beide.«
Mansur mochte es nicht, wenn er umsorgt wurde, und beteuerte immerzu, dass es ihm gutgehe, doch anders als Adelia, Jacques und Walt war er, als er die Barkasse stakte, der Kälte im Freien ausgesetzt gewesen, und sie und Gyltha waren beunruhigt.
»Sieh dir an, was du mit deinen Händen gemacht hast, du großer Tölpel«, sagte Gyltha, deren Sorge sich stets in Form von Ärger äußerte. Mansurs Hände bluteten an den Stellen, wo das Holz der Stakstange erst seine Handschuhe und dann seine Haut durchgescheuert hatte.
Adelia hatte eher Angst um seine Finger, die da, wo sie aus den kaputten Handschuhen geragt hatten, weiß und glänzend waren. »Erfrierung.«
»Sie bereiten mir keine Schmerzen«, sagte Mansur stoisch.
»Werden sie aber bald«, versprach Adelia.
Gyltha lief zu Mansurs Unterkunft, um ihm trockene Kleidung zu holen, und brachte einen Eimer warmes Wasser aus der Küche mit, in das sie die Hände ihres Geliebten tauchen wollte, doch Adelia bremste sie. »Warte, bis es etwas abgekühlt ist.«
Sie hielt Gyltha auch davon ab, das Kohlenbecken näher an ihn heranzuziehen. Ihr Vater hatte Frostbeulen und Erfrierungen genauer untersucht, nachdem er diese Erscheinung in den Alpen beobachtet hatte, wo sie jedes Jahr einige Wochen verbrachten – einmal hatte er sogar allein wegen seiner Studien einen ganzen Winter dort überstanden –, und er war zu dem Schluss gelangt, dass das Erwärmen der befallenen Körperpartien ganz allmählich zu erfolgen hatte.
Die kleine Allie, der das Vergnügen, sich am Kohlenbecken zu verbrennen, stets versagt blieb – es stand in einem Schutzgitter –, unternahm den Versuch, sich den Eimer über den Kopf zu stülpen. Adelia hätte das daraus resultierende Gerangel zwischen Gyltha und diesem ungewöhnlichen Kind sicherlich genossen, wenn ihr selbst die Zehen nicht schrecklich wehgetan hätten, da das Blut anfing, in steif gefrorene Muskeln zurückzuströmen.
Sie dachte darüber nach, ob sie sich und Mansur mit einem schmerzlindernden Sud aus Weidenrinde behandeln sollte, und verwarf den Gedanken dann wieder. Sie waren beide Stoiker, und da ihre Zehen und Finger rot wurden, ohne Blasen zu werfen, konnten die Erfrierungen nicht allzu schlimm sein. Sie sollte die Arznei besser für diejenigen aufheben, die es schlimmer erwischt hatte.
Sie kroch ins Bett, um behaglicher zu leiden. Wächter folgte ihr mit einem Satz, und sie hatte weder die Kraft noch den Willen, ihn wegzuscheuchen. Der Hund hatte auf dem Boot seine Körperwärme mit ihr geteilt; was waren da schon ein paar Flöhe, wenn sie jetzt ihre mit ihm teilte?
»Was habt ihr mit Dakers gemacht?«, fragte sie.
»Ach die.« Gyltha war nicht angetan gewesen von diesem Skelett auf zwei Beinen, das Adelia durch das Klostertor gezerrt hatte, ohne überhaupt zu merken, dass sie es zerrte, doch sie hatte erkannt, eben weil Adelia sich mit diesem Geschöpf abplagte, dass es möglichst am Leben erhalten werden sollte. »Ich hab sie Schwester Havis übergeben, und die hat sie an Schwester Jennet im Klosterspital übergeben. Sie wird versorgt, das hässliche Ding.«
»Gut gemacht.« Adelia schloss die Augen.
»Willst du denn nich wissen, wer hier alles aufgetaucht is, als ihr weg wart?«
»Nein.«
Als sie aufwachte, war es Nachmittag. Mansur war ins Gästehaus der Männer gegangen, um sich auszuruhen. Gyltha saß neben dem Bett und strickte – eine Fertigkeit, die sie während ihrer Zeit als Aalhändlerin bei ihren skandinavischen Kundinnen abgeguckt hatte.
Adelias Augen ruhten auf Allies rundlicher kleiner Gestalt, die sich auf dem Allerwertesten über den Boden schob, den Hund jagte und Grimassen schnitt, um den einsamen kleinen Zahn zu zeigen, der in ihrem Unterkiefer zum Vorschein gekommen war, nachdem ihre Mutter sie das letzte Mal gesehen hatte. »Ich schwöre, ich lass dich nie wieder allein«, versprach sie ihr.
Gyltha schnaubte. »Wie oft soll ich dir noch sagen, es war bloß ein Tag und eine Nacht.«
Doch Adelia wusste, dass die Trennung länger gewesen war. »Fast wäre es für immer gewesen«, sagte sie und fügte schmerzerfüllt hinzu: »Für Rowley ist es das.«
Gyltha war da anderer Meinung. »Der kommt wieder, putzmunter und quicklebendig. Von so ein bisschen Schnee lässt sich dieser Bursche nich unterkriegen.« Für Gyltha würde der Hochwürdige Bischof von St. Albans immer nur »dieser Bursche« sein.
»Von mir aus kann er wegbleiben«, sagte Adelia. Sie klammerte sich an ihren Groll auf ihn wie an ein Rettungsfloß, um nicht in Trauer unterzugehen. »Ihm war alles egal, Gyltha, sein Leben, Allies, meines.«
Außer dass du die Sonne aufgehen lässt.
»Ist ja auch kein Wunder. Er will einen Krieg verhindern, der mehr Leben kosten würde als bloß deins. Das ist Gottes Werk, jawohl, und deshalb wird der Herr auch auf ihn aufpassen.«
Auch Adelia klammerte sich an diese Hoffnung, aber sie war zutiefst verängstigt. »Ist mir egal. Wenn es Gottes Werk ist, dann soll er es gefälligst selbst erledigen. Wir verschwinden hier. Sobald das Wetter es zulässt, verdrücken wir uns ins Sumpfland.«
»Ach ja?«, sagte Gyltha.
»Komm mir nicht so. Ich mein’s ernst.« In den Sümpfen war ihr Leben angenehm, geregelt, nützlich gewesen. Sie war dort weggeholt worden, war körperlichen und seelischen Qualen ausgesetzt und dann damit allein gelassen worden, und zwar durch den Mann, auf dessen Bitte hin sie sich überhaupt erst auf das alles eingelassen hatte. Und zu allem Übel hatte er in ihr wieder ein Gefühl geweckt, das sie längst tot geglaubt hatte, tot gewünscht hatte.
Außer dass du die Sonne aufgehen lässt.
Verflucht soll er sein, denk nicht dran.
Mit wachsendem Zorn sagte sie: »Es geht sowieso nur um hohe Politik. Das steckt hinter Rosamunds Tod, wie ich das sehe – ein Mord, der mit Königinnen und Königen und politischem Kalkül zu tun hat. Das übersteigt meine Fähigkeiten. Waren es die Pilze? Ja, vermutlich. Weiß ich, wer sie geschickt hat? Nein, tu ich nicht, Schluss, Ende, aus. Ich bin Ärztin, ich lass mich nicht in ihre Kriege mit hineinziehen. Meine Güte, Gyltha, Eleanor hat mich entführt, mich entführt – um ein Haar wäre ich bei ihrem verdammten Heer gelandet.«
»Hättest ihr vielleicht nich das Leben retten sollen.«
»Was hätte ich denn tun sollen? Dakers wollte mit einem Messer auf sie los.«
»Willst du wirklich nich wissen, wer sonst noch alles hier aufgetaucht is?«
»Nein. Ich will nur wissen, ob uns irgendwer am Aufbruch hindern wird.«
Doch allem Anschein nach waren alle Reisenden, selbst Eleanor, bei ihrer Ankunft im Kloster praktisch zusammengebrochen, und so hatte niemand einen Gedanken an die Frau verschwendet, die der Königin das Leben gerettet hatte – und auch nicht an die Frau, die es ihr fast genommen hätte.
Vielleicht, so dachte Adelia, hatte die Königin Dakers und sie ja völlig vergessen und würde, sobald die Straßen wieder passierbar waren, ihren Weg nach Oxford fortsetzen, ohne sich weiter um sie beide zu kümmern. Sie selbst würde sich dann schleunigst mit Gyltha, Mansur und Allie davonmachen und sich auch nicht mehr um Dakers und deren böse Pläne scheren.
Gyltha ging das Essen aus der Küche holen.