»Und wer bist du? Ha, du bist einer von denen.« Wütend bugsierte Gyltha den Mann raus auf den Flur. »Sie geht nirgendwo mit dir hin, du Pirat, das kannst du deinem dämlichen Wolvercote von mir bestellen.«
Der Söldner wehrte sich taumelnd gegen ihre Attacke. »Ich bin keiner von Wolvercotes Leuten, ich gehör zu Schwyz.« Er wandte sich Adelia zu. »Sagt ihr das.«
Gyltha schob ihn immer noch weg. »Du bist so ein verfluchter Flame, egal, zu wem du gehörst. Hau ab.«
»Schwester Jennet schickt mich.« Wieder richtete er sich an Adelia. Schwester Jennet war Godstows Infirmarin, die Leiterin des Klosterspitals. »Der Doktor braucht Euch für irgendwas. Dringend.«
Gyltha wurde friedlicher. »Welcher Doktor?«
»Der Braunkopf. Ich dachte, der wär Kahnführer, aber nun hat sich rausgestellt, dass er Arzt is.«
»Ein Patient«, sagte Adelia erleichtert. Damit zumindest konnte sie umgehen. Sie bückte sich, gab Allie einen Kuss und holte ihre Tasche. »Wo müssen wir hin? Worum geht’s?«
Cross sagte: »Na, um Poyns«, als müsste sie das doch wissen. »Er hat ’nen schlimmen Arm.«
»Was heißt schlimm?«
»Is irgendwie grün geworden.«
»Hmm.« Adelia packte ihr Bündel Messer mit in die Tasche.
Als sie schon in Begleitung von Wächter zur Tür hinausgingen, versetzte Gyltha dem Söldner kleine Stöße. »Und du bringst sie mir gesund wieder, du widerlicher Schmarotzer, sonst kriegst du’s mit mir zu tun. Und was is mit dem verdammten Ausgangsverbot?«
»Is nich meins«, schrie Cross zurück. »Is das von Wolvercote.«
Es war schon in Kraft. Wächter knurrte einmal, als ein Fuchs irgendwo draußen auf den Feldern bellte, doch ansonsten war die Abtei totenstill. Sie gingen um die Kirche herum, und als sie die Scheune passierten, trat eine Wache aus dem Eingang des kleinen kreisrunden Häuschens, das als Arrestzelle des Klosters diente.
Die Fackel über der Tür beschien seinen Helm. Er hielt eine Pike in der Hand. »Wer da?«
»Zum Spital, Kumpel«, erklärte Cross. »Das hier is eine Pflegerin. ’nem Freund von mir geht’s schlecht.«
»Losung?«
»Was für ’ne Losung, Mann? Ich bin Soldat der Königin, genau wie du.«
»Im Namen von Lord Wolvercote, sag die Losung, oder ich spieß dich auf.«
»Hör mal, mein Freund …« Cross trottete an der Pike vorbei auf den Wachmann zu, als wollte er mit ihm reden, und verpasste ihm einen Kinnhaken.
Cross war ein kleiner Kerl, aber der größere Mann kippte um, wie von einer Axt getroffen. Cross würdigte ihn keines Blickes mehr. Er winkte Adelia. »Nun komm endlich.«
Ehe sie gehorchte, vergewisserte sie sich rasch, dass der Wachmann atmete. Er tat es und begann schon zu stöhnen.
Na ja, dachte sie, immerhin eine Lösung ohne Losung.
»Ich komme.«
Schwester Jennet brachte ihre unsterbliche Seele in Gefahr, als sie wegen einem ihrer Patienten einen Mann um Hilfe bat, den sie für einen heidnischen Arzt hielt. Und sie tat ihr auch nichts Gutes damit, dass sie der Anwesenheit seiner »Assistentin« zustimmte, einer Frau, deren Beziehung zum Bischof den Schwestern Anlass für allerlei Spekulationen geliefert hatte.
Aber derselbe Bischof hatte bei seinem Besuch von den Möglichkeiten und Erfolgen der arabischen Medizin im Allgemeinen und dieses Arztes im Besonderen geschwärmt, und wenn Schwester Jennet auch Nonne war, so war sie doch auch eine verhinderte Ärztin. Es widersprach all ihren Instinkten, einen Mann an einem Leiden sterben zu lassen, gegen das sie nichts tun konnte, der Sarazene aber doch.
Die innere Schlacht, die in ihr tobte, äußerte sich in der Wut, mit der sie Adelia begrüßte: »Ihr habt Euch Zeit gelassen, Mistress. Und lasst diesen Hund draußen, ist schon schlimm genug, dass ich im Krankensaal Söldner dulden muss.« Die Infirmarin blickte Cross erbost an, der sich duckte.
Adelia hatte schon Krankensäle gesehen, in denen Wächters Erscheinen den Geruch verbessert hätte. Dieser war anders. Sie schaute sich um. Der lange Raum war makellos sauber. Frisches Stroh auf den Dielen, der Duft von brennenden Kräutern in den Kohlenbecken, weiße Laken, der Kopf jedes Patienten zum Schutz gegen Läuse kahlgeschoren, die ruhige Geschäftigkeit der helfenden Nonnen, all das zeigte, dass die Kranken hier gut versorgt wurden.
Sie sperrte Wächter aus. »Vielleicht könntet Ihr mir sagen, was ich tun kann.«
Schwester Jennet war verblüfft. Adelias Auftreten und die Schlichtheit ihrer Kleidung passten nicht zur Hure eines Bischofs. Ein wenig besänftigt, erklärte die Infirmarin, was sie von Dr. Mansur wollte. »… aber wir sind beide Gefangene des verfluchten Turmes zu Babel.«
»Aha«, sagte Adelia, »Ihr könnt ihn nicht verstehen.« Mansur verstand sie wahrscheinlich recht gut, konnte aber ohne Adelia nichts tun.
»Und er mich nicht. Deshalb hab ich nach Euch gesandt. Ihr sprecht seine Sprache, wie ich hörte.« Sie stockte. »Ist er so erfahren, wie Bischof Rowley gesagt hat?« Bei der Erwähnung seines Namens huschte ihr Blick ganz kurz über Adelias Gesicht.
»Ihr werdet nicht enttäuscht werden«, versprach Adelia ihr.
»Nun ja, alles ist besser als der Bader aus dem Dorf. Steht hier nicht rum. Kommt mit.« Wieder funkelte sie den Söldner an. »Und Ihr auch, wenn’s sein muss.«
Der Patient lag am hinteren Ende des Saales. Man hatte einen Sichtschutz aus Weidengeflecht um das Bett aufgestellt, doch der Geruch, der dahinter hervordrang, verriet den Grund für Schwester Jennets Bedarf nach unchristlichem Beistand.
Er war ein junger Mann, und seine Panik angesichts der Umstände wurde noch verstärkt durch die hohe, weißgewandete, dunkelhäutige Gestalt, die neben ihm aufragte. »Tut gar nich weh«, sagte er immer wieder. »Tut gar nich weh.«
Mansur fragte auf Arabisch: »Wo bist du gewesen?«
Adelia antwortete ebenfalls auf Arabisch: »Musste in die Kirche. Wir stehen unter Kriegsrecht.«
»Gegen wen kämpfen wir?«
»Weiß der Himmel. Schneemänner. Was haben wir hier?«
Mansur beugte sich vor und hob behutsam das dünne Baumwolltuch an, das den linken Arm des Jungen bedeckte.
»Höchste Zeit, denke ich.«
Allerhöchste Zeit. Der zerfetzte Unterarm war schwarz und sonderte übelriechenden gelben Eiter ab.
»Wie ist das passiert?«, fragte Adelia auf Englisch – und fügte dann, wie sie das so oft musste, hinzu: »Der Doktor will das wissen.«
Cross meldete sich zu Wort. »Is unter ein Wagenrad geraten, als wir zum Turm marschiert sind, der ungeschickte Junge. Da muss irgend ’ne Salbe drauf, nich?«
»Kannst du ihm den Ellbogen lassen?«, fragte Mansur.
»Nein.« Die verräterischen Anzeichen der Nekrose wanderten schon über das Gelenk weiter aufwärts.
»Wir können von Glück sagen, wenn wir sein Leben retten.«
»Wieso hat die kleine Frau das nicht schon längst getan?«
»Sie kann nicht, sie darf kein Blut vergießen.«
Das kirchliche Verbot von Amputation war rigoros, Schwester Jennet durfte es nicht missachten.
Mansur rümpfte die Hakennase. »Und da lassen sie ihn lieber sterben?«
»Sie wollten den Bader aus Wolvercote kommen lassen.« Die Vorstellung war einfach zu schrecklich. »Einen Bader, großer Gott.«
»Ein Bader, der Blut vergießt? Dann soll er mich bitte schön nicht rasieren, inschallah.«
Selbst wenn der Bader gerufen worden wäre, hätte er seine Arbeit in der Küche verrichten müssen, weil es eine Beleidigung für Gottes Nase gewesen wäre, Blut im heiligen Klosterbereich zu vergießen. Jetzt stand Adelia vor demselben Problem. Dieser zusätzliche Konflikt zwischen Medizin und ihrem Glauben wühlte Schwester Jennet dermaßen auf, dass sie wütend die erforderlichen Befehle blaffte, um die Operation vorzubereiten, und mit einem so finsteren Blick zusah, wie Mansur ihren Patienten aus dem Saal trug, als hasste sie sie beide. »Und Ihr«, schnauzte sie den vielgeschmähten Cross an, »kriecht zurück in Euren Zwinger. Die brauchen Euch nicht.«