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»Die hat viel gesagt, hat immer da hinten so rumgemurmelt, dass man ’ne Gänsehaut kriegen konnte, aber mir hat das nix ausgemacht.«

Adelia erreichte den Verschlag, in dem Bertha gehaust hatte. Hier war es dunkel. Sie stellte die Laterne vorsichtig auf eine Zwischenwand und begann, auf allen vieren im Stroh herumzutasten bis auf die festgetrampelte Erde darunter.

Sie hörte, wie Peg zu ihrer Kuh sagte: »Ihr seid dann fertig, Madam«, und das freundliche Klatschen aufs Hinterteil, als die Melkerin zum nächsten Tier ging, und das Geräusch von anderen Schritten, als ein Neuankömmling den Stall betrat, und schließlich Pegs Stimme: »Einen schönen guten Morgen, Master Jacques.«

»Auch Euch einen schönen guten Morgen, Mistress Peg.«

Die beiden Stimmen hatten etwas spielerisch Kokettes an sich, das den Tag ein klein wenig aufhellte. Jacques, so dachte Adelia, hatte trotz seiner abstehenden Ohren und seines atemlosen Übereifers eine kleine Eroberung gemacht.

Er kam rasch die Stallgasse hoch und blieb stehen, um Adelia bei ihrer Suche zu beobachten. »Ich hab ihn vergraben, Mistress.«

»Was? Ach so, gut.«

»Kann ich Euch irgendwie helfen, Mistress?« Allmählich gewöhnte er sich an ihre Überspanntheiten.

»Nein.«

Denn sie war fündig geworden. Ihre Finger hatten das grobe, dünne Metallband ertastet, klein und zerbrochen – das Kreuz wurde vom Verschluss gehalten, doch ein Stückchen weiter waren die Glieder gerissen.

Gott steh uns bei. Hier also war es passiert. In diesem dunklen Verschlag hatte Bertha sich selbst den Hals zerkratzt, als sie versuchte, die Kette zu lockern, mit der starke Hände sie strangulierten.

Ach, das arme, arme Kind.

Adelia sah wieder, wie Bertha auf sie zugekrochen kam, schnüffelte und zu ihr sagte, die Alte im Wald, die ihr die Pilze für Rosamund gegeben hatte, habe so gerochen wie sie.

»Hat gut gerochen. Wie Ihr.«

Die Erinnerung war unerträglich. Das kurze, traurige Leben, das durch Gewalt beendet worden war … Warum? Wer?

»Mistress?« Ihr Schweigen gab Jacques zu denken.

Adelia rappelte sich auf. Die Halskette fest in der Hand, ging sie mit dem Boten zu Peg zurück, die gerade die Milch aus ihrem vollen Eimer schäumend in ein größeres Behältnis goss und kurz aufmunternd mit dem Hinterteil wackelte, als Jacques näher kam.

Der Melkschemel. Sie wusste jetzt, dass Bertha ermordet worden war, aber es gab noch einen weiteren Beweis …

Als Peg den Schemel aufheben und damit zur nächsten Kuh gehen wollte, kam Adelia ihr zuvor. »Kann ich den einen Moment haben?«

Peg und Jacques starrten sie an, als sie den Schemel nahm und ihn direkt unter den Haken am Balken stellte. Sie wickelte sich die Kordel von der Hand und hielt sie Jacques hin. »Messt mich.«

»Euch messen, Mistress?«

»Ja.« Sie wurde ungeduldig. »Vom Scheitel bis zur Sohle.«

Mit einem Achselzucken hielt er das eine Ende der Kordel oben an Adelias Kopf und ließ sie herunterhängen. Dann bückte er sich und machte einen Knick an der Stelle, wo die Kordel den Boden berührte. »Bitte sehr. Ihr seid nicht sehr groß, Mistress.«

Sie rang sich ein Lächeln ab – seine eigene geringe Körpergröße störte ihn. Ohne seine Stiefelabsätze hätte er sie kaum überragt. Sie betrachtete die Kordel und sah, dass der Knick ein kleines Stück unterhalb des Knotens war, den sie gemacht hatte, als sie die Leiche auf dem Katafalk gemessen hatte. Sie war fast zwei Zoll größer als Bertha.

Jetzt wollen wir mal sehen.

Peg sagte: »Wenn ich drüber nachdenk, fällt mir ein, dass sie gestern auf einmal ganz aufgeregt war, so ungefähr beim Abendmelken.«

»Wer? Bertha?«

»Ja. Hat gesagt, sie müsste der Lady mit dem Kreuz was erzählen und is rausgerannt. Bestimmt hat sie eine von den Nonnen gemeint, weil sie kein anderes Wort dafür wusste.«

Nein, dachte Adelia, sie hat mich gemeint. Ich war die Lady mit dem Kreuz. »Wo ist sie denn hingelaufen?«

»Kann nich weit gewesen sein«, sagte Peg, »weil sie gleich wieder da war und so getan hat, als hätte sie den Teufel mit seinem Schwefelgestank gerochen.«

»Bestimmt hat sie Dakers gesehen«, sagte Jacques. »Sie hatte eine Todesangst vor dieser Frau.«

Adelia fragte: »Und sie hat nicht verraten, was sie der Nonne erzählen wollte?«

»Sie hat dauernd was gemurmelt von es war nich sie, es war er.«

Adelia stützte sich am Pfosten des Verschlages ab, umklammerte ihn fest. »Hat sie vielleicht gesagt: ›Es war keine Sie, es war ein Er?‹«

»Kann schon sein.«

»Hmm.« Sie wollte darüber nachdenken, doch die Kühe weiter hinten brüllten schon vor Unbehagen, und Peg wartete ungeduldig auf ihren beschlagnahmten Melkschemel.

Adelia schob das Gürtelende durch die Schnalle, legte sich die Schlinge um den Hals und zog sie fest. Dann stieg sie auf den Schemel und versuchte, das freie Gürtelende an den Haken zu hängen, doch es gelang ihr nur, mit dem Lederrand an den Haken zu stoßen. Zwischen dem Loch zum Einhängen und dem Haken war eine Lücke. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen; noch immer blieb ein Abstand zwischen Loch und Haken – und sie war größer als Bertha.

»Er ist zu kurz«, sagte sie. »Der Gürtel ist zu kurz.«

Genau das hatte sie gestört. Der Anblick des baumelnden Körpers war im ersten Moment zu schockierend gewesen, doch ihr Verstand hatte es trotzdem registriert – Berthas Füße hätten den Schemel gar nicht erreichen können, um ihn wegzutreten.

Sie begann zu würgen und versuchte hektisch, die Schnalle zu öffnen, ehe ungesehene Arme sie hochhoben und den Gürtel an den Haken hängten; sie bekam keine Luft mehr.

Jacques’ Hände griffen nach ihrem Hals, und sie wehrte sich, so wie Bertha sich gegen die Hände des Mörders gewehrt hatte. »Ist ja gut, Mistress«, sagte er. »Ruhig. Ganz ruhig.« Als er den Gürtel gelöst hatte, streckte er den Arm aus und strich ihr über den Rücken, wie einer verängstigten Katze. »Ganz ruhig. Ruhig.«

Peg starrte sie beide an, als wären sie verrückt geworden. Jacques nickte ihr zu, deutete auf den Schemel, und sie schnappte ihn sich erleichtert und ging wieder zu ihren Kühen.

Adelia blieb wie angewurzelt stehen, lauschte, als Pegs geschickte rissige Hände die Euterzitzen zusammendrückten und losließen, so dass die Milch mit der Gleichmäßigkeit eines langsamen Trommelwirbels in den Eimer schoss.

»Es war keine Sie, es war ein Er.«

Jacques’ Augen blickten sie fragend an. Er zumindest hatte verstanden, worum es ihr gegangen war.

»Nun denn«, sagte Adelia. »Zumindest kann Bertha jetzt in geweihter Erde begraben werden.«

»Kein Selbstmord?«

»Nein. Sie wurde ermordet.«

Wieder sah sie, wie sein junges Gesicht jäh altern konnte.

»Dakers«, sagte er.

Kapitel neun

Die Nonnen waren derselben Ansicht.

»Hab ich Euch richtig verstanden?«, sagte Mutter Edyve. »Ihr sagt, Mistress Dakers hat das arme Kind erhängt?«

Sie waren im Kapitelsaal, wo die Äbtissin sich mit ihren ältesten Nonnen beriet.

Sie hatten Adelia nicht gerade freudig begrüßt. Immerhin gab es wichtigere Dinge zu besprechen: Ihre Abtei war praktisch besetzt worden, und das von gefährlichen Söldnern; an ihrer Brücke baumelten Erhängte; falls sie weiter eingeschneit blieben, würden die Vorräte bald zur Neige gehen. Da waren sie weiß Gott nicht darauf erpicht, sich auch noch den seltsamen und beunruhigenden Bericht über einen Mord – Mord? – in ihrer Mitte anzuhören.

Dennoch, eines hatte Adelia richtig gemacht: Sie hatte Mansur mitgebracht. Dazu hatte Gyltha sie überredet. »Auf dich werden die nich hören«, hatte sie gesagt, »aber von dem alten Araber lassen sie sich vielleicht beeindrucken.« Und damit hatte sie recht behalten, wie Adelia nach ein paar Stunden Schlaf befand. Mansur war den Nonnen von ihrem Bischof empfohlen worden, er sah geheimnisvoll aus, er stand bei ihrer Infirmarin in hohem Ansehen. Vor allem war er ein Mann und genoss als solcher mehr Achtung als sie, auch wenn er Ausländer war.