Выбрать главу

Es war nicht leicht gewesen, noch vor Ende der Kapitelversammlung angehört zu werden, doch Adelia hatte sich geweigert, länger zu warten. »Es geht um eine Angelegenheit des Königs«, hatte sie gesagt. Und das stimmte auch. Jeder Mord fiel unter die königliche Gerichtsbarkeit, ganz gleich, wo er geschah.

Master Mansur, so erzählte sie ihnen, war darin geübt, Verbrechen aufzudecken, und ursprünglich von Henry II. nach England gerufen worden, um den Tod einiger Kinder in Cambridgeshire zu untersuchen – na ja, das hatte er ja auch in gewisser Weise –, und der Mörder war entlarvt worden.

Mansurs mangelnde Sprachkenntnisse hatte sie als Erklärung angeführt, dass sie für ihn übersetzen müsse. Adelia hatte die Nonnen angefleht, sich selbst die Spuren an Berthas Hals anzusehen, hatte ihnen die Beweise für den Mord vorgelegt … und regelrecht hören können, wie ihre Worte ebenso ins Leere gingen wie Berthas Finger, die nach der Kette gegriffen hatten, die sie strangulierte.

Sie beantwortete Mutter Edyves Frage: »Nein, Master Mansur klagt Dakers nicht an. Er sagt nur, dass jemand Bertha erhängt hat. Sie hat sich nicht selbst aufgehängt.«

Es war einfach zu grässlich für die Nonnen. Hier, in ihrem vertrauten englischen Kapitelsaal mit den mächtigen Holzstreben, stand eine hochragende Gestalt in fremdländischer Kleidung – ein Heide, ob nun vom König gerufen oder nicht – und erzählte ihnen mit Hilfe einer Frau von zweifelhaftem Ruf Dinge, die sie nicht hören wollten.

Sie hatten keinen Forschergeist. Anscheinend besaß keine von ihnen, nicht mal ihre kluge alte Äbtissin, die zügellose Neugier, von der Adelia getrieben wurde; eigentlich waren sie überhaupt nicht neugierig. Für sie hatten alle Fragen mit der Auferstehung Christi und den Regeln des heiligen Benedikt ihre Antwort gefunden.

Außerdem lag ihnen die irdische Gerechtigkeit nicht sonderlich am Herzen. Der Mörder, so es denn einen gab, würde weitaus schrecklicher bestraft werden – wenn er einst vor den göttlichen Richter trat, der um alle Sünden wusste –, als ein irdisches Gericht das je vermocht hätte.

Der Gürtel, die zerrissene Kette und die Kordel zum Messen lagen zusammengerollt auf dem Tisch vor ihnen, doch sie wandten die Augen ab.

Gut und schön, sagten sie, aber war der Abstand zwischen Berthas Füßen und dem Melkschemel denn wirklich wichtig? Das arme irregeleitete Mädchen hätte doch gewiss auch mit dem Gürtel um den Hals auf eine der Trennwände im Kuhstall steigen und von dort springen können? Wer konnte schon ermessen, wie viel Kraft die Verzweiflung einem Menschen verlieh? Ja, Bertha hatte sich davor gefürchtet, was die Haushälterin ihr antun könnte, aber sprach das denn nicht gerade für Selbsttötung?

Rowley, wenn du doch hier wärst …

»Es war Mord«, beharrte Adelia, »Master Mansur hat bewiesen, dass es Mord war.«

Mutter Edyve sagte nachdenklich: »So viel Kraft hätte ich Dakers gar nicht zugetraut.«

Adelia verzweifelte. Es war wie mit einer Röstgabel, bei der immer abwechselnd eine Seite dem Feuer zugewandt wurde. Falls Bertha ermordet worden war, dann von Dakers, die Rosamunds Tod rächen wollte – von wem auch sonst? Falls Dakers nicht die Mörderin war, dann hatte Bertha sich eben selbst getötet.

»Vielleicht war es ja einer von Wolvercotes oder Schwyz’ Flamen«, warf Schwester Bullard, die Cellerarin, ein. »Das sind lüsterne, gewalttätige Männer, besonders, wenn sie berauscht sind. Dabei fällt mir ein, Mutter, wir müssen unseren Keller bewachen lassen. Die Fremden stehlen unseren Wein.«

Prompt setzte eine Flut von Klagen ein: »Mutter, wie sollen wir sie bloß alle satt bekommen?«

»Mutter, die Söldner … ich bange um unsere jungen Frauen.«

»Und um unsere Freunde und Nachbarn – bedenkt nur, wie sie den armen Müller verprügelt haben.«

»Die Höflinge sind noch schlimmer, Mutter. Was für unanständige Lieder die singen …«

Adelia hatte Mitleid mit ihnen. Als ob sie nicht schon genug Sorgen hätten, standen jetzt auch noch zwei Fremde vor ihnen, die mit einem auf der Brücke gefundenen Ermordeten in Godstow aufgetaucht waren und ihnen nun erklärten, dass ein weiterer Mörder in ihrer Abtei sein Unwesen trieb.

Die Schwestern gaben ihnen an keinem der beiden Todesfälle die Schuld – das konnten sie auch gar nicht –, doch Adelia hatte einige schiefe Blicke unter den Nonnenschleiern erhascht und wusste, dass ihr und Mansur jetzt Aasgeruch anhaftete.

»Selbst wenn Master Mansur die Wahrheit sagt, Mutter«, gab Schwester Gregoria, die Almosenpflegerin, zu bedenken, »was können wir tun? Wir sind eingeschneit. Erst wenn Tauwetter einsetzt, könnten wir den Leichenbeschauer des Sheriffs kommen lassen.«

»Und solange der Schnee liegenbleibt, kann König Henry uns nicht befreien«, stellte Schwester Bullard fest. »Bis dahin ist unsere Abtei, unser Fortbestand in Gefahr.«

Das war ihre Hauptsorge. Ihre Abtei hatte einen Krieg zwischen Monarchen überstanden, einen zweiten würde sie vielleicht nicht überstehen. Falls es der Königin gelang, den König zu stürzen, wäre sie gezwungen, Wolvercote zu belohnen, der ihren Sieg ermöglicht hatte. Und Lord Wolvercote gelüstete es schon lange nach Godstow und seinen Ländereien. Den Nonnen drohte eine Zukunft, in der sie sich ihr Brot auf den Straßen würden erbetteln müssen.

»Erlaubt Master Mansur, mit seinen Ermittlungen fortzufahren«, bettelte Adelia. »Zumindest begrabt Bertha nicht in ungeweihter Erde, bis alle Fakten geklärt sind.«

Mutter Edyve nickte. »Bitte sagt Master Mansur, dass wir ihm für seine Bemühungen danken«, sagte sie mit ihrer klaren, emotionslosen Stimme. »Überlasst es uns, Dakers zu befragen. Danach werden wir in dieser Sache um Gottes Rat beten.«

Sie waren entlassen. Mansur und Adelia mussten sich verneigen und gehen.

Noch ehe sie die Tür erreichten, ging hinter ihnen schon wieder die Debatte weiter – aber sie drehte sich nicht um Bertha … »Ja, aber wo ist der König? Wie soll er uns zu Hilfe kommen, wenn er nicht mal weiß, dass wir sie benötigen? Wir können nicht darauf vertrauen, dass Bischof Rowley ihn erreicht hat – ich fürchte, er ist tot.«

Als sie den Kapitelsaal verließen, sagte Mansur: »Die Frauen haben Angst. Sie werden uns nicht helfen, den Mörder zu finden.«

»Ich hab sie nicht mal davon überzeugt, dass es überhaupt einen Mörder gibt«, sagte Adelia.

Sie gingen gerade um das Hospital herum, als eine Stimme hinter ihnen Adelias Namen rief. Es war die Priorin. Sie kam atemlos angelaufen. »Auf ein Wort, bitte, Mistress.« Adelia nickte, verabschiedete Mansur mit einer Verbeugung und drehte sich um.

Eine Weile gingen die beiden Frauen schweigend nebeneinander her.

Adelia fiel erst jetzt auf, dass Schwester Havis während der Debatte im Kapitelsaal kein Wort gesagt hatte. Sie war sich auch darüber im Klaren, dass die Nonne sie nicht mochte. Neben ihr zu gehen war, als begleitete sie die Verkörperung der Kälte, die die Abtei fest im Griff hatte, eine Gestalt, die aller Wärme beraubt war, so frostig wie die Eiszapfen, die von jedem Dach hingen.

Vor der Kapelle der Nonnen blieb die Priorin stehen. Sie hielt das Gesicht von Adelia abgewandt, und ihre Stimme klang hart. »Ich kann Euch nicht billigen«, sagte sie, »und ich habe Rosamund nicht gebilligt. Die Duldsamkeit, die unsere Mutter Äbtissin gegenüber den Sünden des Fleisches zeigt, teile ich nicht.«

»Wenn das alles ist, was Ihr zu sagen habt …«, unterbrach Adelia sie und wandte sich ab.

Schwester Havis kam ihr nach. »Das ist es nicht, aber es musste gesagt werden.« Sie zog eine behandschuhte Hand unter ihrem Skapulier hervor und streckte sie aus, um Adelia zum Bleiben zu bewegen. Darin lagen die gerissene Kette, die Kordel und der Gürtel. »Ich beabsichtige, diese Gegenstände so zu nutzen, wie Ihr es getan habt, nämlich um Nachforschungen anzustellen. Ich werde zum Kuhstall gehen. Was auch immer Eure Schwächen sein mögen, Mistress, ich erkenne eine analytische Seele.«